Happy Endstadium. Jan Off

Happy Endstadium - Jan Off


Скачать книгу
ihr nicht zu früh da seid. Sobald wir uns begegnet sind, legt ihr los.«

      Kleingeld quittierte diese Sätze mit einem knappen Nicken, dann sah er mich an.

      »Fertig?«

      »Fertig«, sagte ich, wobei ich mich bemühte, meinen alkoholgesättigten Atem nicht in seine Nase steigen zu lassen. Für eine Sekunde fühlte ich mich, als ob wir eine x-beliebige amerikanische Krimiserie nachspielen würden – Fertig, Sergeant? Fertig! Gleich würden wir dieser Bande abgebrühter Crackdealer gepflegt die Tür eintreten. Ich hatte Mühe, ein Kichern zu unterdrücken.

      Während Kleingeld den Reißverschluss seiner Jacke hochzog und sich die Mütze aufsetzte, musterte ich meine Mitstreiter. Sie sahen aus wie ich selbst: gut verpackt in sportliche, schwarze Klamotten, die kaum etwas von ihrer Identität preisgaben. Beim jährlichen Maskenball des Polizeisportvereins hätten sie uns sicher zu unserer gelungenen Kostümwahl gratuliert.

      Kleingeld nahm einen letzten Schluck Mate. Dann zogen wir ab.

      Da mein Begleiter einen Umweg wählte, war es uns möglich, ein zügiges, aber nicht zu hohes Tempo einzuschlagen. Auf Passanten mussten wir wie zwei Kino- oder Kneipengänger wirken, die nach der Spätvorstellung oder dem letzten maßvoll genossenen Glas Wein festen Schrittes ihrer Wohnstatt entgegenstrebten. Aber Passanten waren keine zu sehen. Für eine Montagnacht selbst in unserem als Amüsierviertel geltenden Bezirk nichts Ungewöhnliches, zumindest in den Seitenstraßen, durch die wir uns bewegten.

      Nachdem wir seit dem Verlassen des Hauses geschwiegen hatten, unterbrach Kleingeld meinen Gedankenstrom urplötzlich mit einer Frage, deren Sinn ich nicht gleich verstand: »Und? Hast du dir was Hübsches einfallen lassen?«

      »Bitte?«

      »Weißt du schon, was du gleich sprühen wirst?«

      »Ja, klar«, log ich mit vorgetäuschter Selbstsicherheit. Ich verspürte keinerlei Drang, mich über die dürftige Ausbeute meines bisherigen Denkprozesses zu verbreiten. Nicht, dass hier auf der Straße noch eine Diskussion losbrach. Oder noch schlimmer: Dass Kleingeld meinte, mir vorsagen zu müssen.

      Zum Glück fragte er nicht weiter nach.

      In meinem biergesättigten Köpfchen herrschte auch so genug Betrieb. Verpisst euch nach Entenhausen – das klang doch zünftig! Aber was konnte ich ans Ende stellen? Ihr Bastarde? Ihr Hurensöhne? Nein, deutlich zu sexistisch und außerdem vom Thema wegführend. Vielleicht ihr Krämerseelen? Ohne Zweifel ein klangvoller Ausdruck, aber schwang da nicht ein zu großer Happen verkürzte Kapitalismuskritik mit? Verdammt, roch nicht die ganze Aktion genau danach?! Egal, hier ging es ohnehin nicht um Politik. Hier ging es um Herzensbildung. Jedenfalls für mich. Julia sollte das gefallen, was da in ein paar Minuten wie ein böser Ausschlag von der Fassade abstrahlen würde, nicht mir. Ich entschied, das Ende einfach wegzulassen. Das sparte nebenbei noch Zeit. Und Zeit war schließlich ein nicht unbedeutender Faktor im Kampf gegen die Zeitverwertungsmaschinerie.

      Nicht minder wichtig war selbstverständlich das Timing. Unseres schien heute zu stimmen. Denn als Kleingeld und ich in die Morbus Hansen-Straße einbogen, sahen wir unsere Hausgenossen schon auf uns zukommen. Beide trugen Sporttaschen, Julia die ihre leger über der Schulter, Jan die seine in der Rechten. Wir passierten uns keine zehn Meter vom Laden entfernt, natürlich ohne uns eines Blickes zu würdigen.

      Kleingeld schlüpfte in seine Handschuhe und zog sich das Halstuch über die Nase, ich tat es ihm gleich, und dann standen wir auch schon vor den liebevoll dekorierten Schaufenstern des Markenanbieters. Freundlicherweise war zwischen der Eingangstür und der rechten der beiden verglasten Präsentationsflächen ein Streifen sauber verputztes Mauerwerk verblieben, dessen Breite für meine Zwecke völlig ausreichte – zumindest, wenn ich die Worte untereinander schrieb.

      Ich zog die Sprühdose aus meiner Hosentasche, schüttelte sie kurz und machte mich an die Arbeit. Während ich der Weltöffentlichkeit die ersten drei Buchstaben überantwortete, sah ich Kleingeld aus den Augenwinkeln am Türschloss herumwerkeln. Ich nahm an, dass er irgendwas Metallisches in den Schließkanal schob (eine umgebogene Büroklammer oder ein Stück Draht beispielsweise), das er mit einer Zange gleich dergestalt abbrechen würde, dass nichts mehr aus dem Schloss herausragte, bevor er sein perfides Werk mit einer Ladung Sekundenkleber zum Abschluss brachte. Bei diesem Gedanken richtete ich meine Konzentration wieder auf meine eigene Aufgabe. Nichts war bei dem, was ich hier tat, schließlich schlimmer als das Produzieren von Rechtschreibfehlern. Noch mal schnell den Inhalt der Dose in Bewegung gebracht, schon ging es an die zweite Silbe. Ein hübsch geschwungenes p, gefolgt von einem munteren i – dann versiegte der Farbstrahl schlagartig.

      Ich setzte ab, gab ein weiteres Mal den Barmixer und versuchte es erneut. Nichts! Also noch mal geschüttelt. Diesmal so heftig, dass mir das dadurch ausgelöste Klackern wie der Widerhall sich drehender Panzerketten in den Ohren dröhnte. Das Ergebnis blieb niederschmetternd. Da musste irgendwas mit der Düse sein. Sicher verstopft. Ich zog mir den rechten Handschuh von der Flosse und begann, mein Arbeitsgerät zu untersuchen. Kleingeld, dem meine Schwierigkeiten nicht entgangen waren, warf mir einen missbilligenden Blick zu. Ich zuckte in stummer Verzweiflung die Schultern. Was sollte ich machen? Zur nächsten Tag- und Nachttankstelle laufen und eine neue Dose erwerben?!

      Unterdessen hatte ich einen größeren Klumpen getrockneten Lacks geortet und kratzte mit dem Zeigefingernagel an dem Plocken herum wie ein Grabräuber an der oxidierten Schicht eines metallenen Fundstücks. Es half nichts. Auch nachdem ich die Verunreinigung entfernt hatte, wollte das Behältnis seinen Inhalt nicht mehr preisgeben.

      Kleingeld hatte seine Solidarmaßnahme für die regionalen Schlüsseldienste unterdessen zum Abschluss gebracht und nun ausreichend Muße, sich mit mir zu beschäftigen.

      »Lass es sein!«, raunte er mir zu und griff mir an den Oberarm, um zu verhindern, dass ich die Dose erneut als ruhestörende Rassel einsetzte.

      Ich wollte energisch protestieren, schließlich ging es in diesem Moment um nichts Geringeres als um meine Befähigung für weitere nächtliche Strafexpeditionen, aber dann vernahm ich hinter mir das Geräusch sich rasch nähernder Schritte und ich wusste, dass ich verloren hatte. Ich drehte mich um und sah Julia und Jan auf uns zukommen – beide hielten ihre Sporttasche nun in der Linken, während die Rechte fest um einen Pflasterstein geschlossen war. Noch bevor sie uns erreicht hatten, holten sie aus und ließen ihre Wurfgeschosse durch die Luft segeln. Ich vernahm dieses dumpfe Knirschen, das immer dann entsteht, wenn Glas nicht vollständig zersplittert, sondern nur eingedrückt wird, gefolgt vom Poltern der auf den Gehweg zurückschnellenden Steine. Dann verstärkte Kleingeld den Druck auf meinen Bizeps und gemahnte mich im Flüsterton, der mir nach dem gerade abgeebbten Lärm reichlich albern vorkam, dass wir jetzt abzuhauen hätten.

      Ich riskierte einen letzten Blick, sah Jan mit beiden Händen eine halbe Gehwegplatte aus der inzwischen abgestellten Tasche heben, und nahm die Beine in die Hand.

      Gemeinsam rannten Kleingeld und ich bis zur nächsten Straßenkreuzung, dann trennten wir uns. Ich überquerte die Fahrbahn, wobei ich vom Galopp in ein ruhiges Ausschreiten wechselte, während mein Begleiter nach links abbog.

      Unter normalen Umständen wäre ich nach ein oder zwei Haken auf dem kürzesten Weg in unser trautes Heim zurückgekehrt. Angesichts des gerade erlebten Waterloos erfüllte mich dieser Gedanke jedoch mit Schaudern. Und so lief ich stattdessen an die zwanzig Minuten in die immergleiche Richtung. Um ein Haar hätte ich dabei vergessen, die Sprühdose zu entsorgen. Ich versenkte das hundertfach verfluchte Stück Hexenwerk im Müllcontainer einer Dönerbude.

      Als ich schließlich umkehrte, tat ich das im Bewusstsein der absoluten Niederlage. Hohn und Spott würden noch das Geringste sein, was ich mir von den anderen würde anhören müssen. Vielleicht hatte ich ja Glück und sie waren schon zu Bett gegangen.

      Eine närrische Hoffnung, wie ich nach meinem Eintreten in den Flur erkennen musste. Denn meine Mitstreiter schienen offenkundig auf mich zu warten. Sie saßen bei Kerzenlicht in der Küche und reagierten auf mein Erscheinen mit einer Mischung aus Erleichterung und angestauter Aggression.

      »Na, endlich«, entfuhr


Скачать книгу