Happy Endstadium. Jan Off
sich seine Performance ihrem Höhepunkt.
»Ihr seid schlimmer als Hitler, du und diese anderen Muttersöhnchen. Nicht zu vergessen: die Fotze. Die Fotze, die euch alle bei den Eiern hatte. Hat euch wahrscheinlich immer schön reihum rangelassen, das kleine Miststück, hä? Ins Gas müsste man euch schicken. Aber den Hahn schön langsam aufdrehen, damit ihr über eure verschissenen kleinen Leben noch mal nachdenken könnt, während ihr verreckt. Und das Ganze dann weltweit im Fernsehen übertragen. Ich würd’s mit meinen Kindern schauen, hörst du, du gottlose Missgeburt, mit meinen Kin-dern!«
Einer mehr, der nichts verstanden hat, denke ich, während ich zeitgleich versuche, die Drohkulisse nicht persönlich zu nehmen. Der Staatsdiener erledigt hier nur einen Job. Er muss Leuten wie mir Angst machen. Aber dann schlägt er wieder zu – auf dieselbe Stelle wie beim ersten Mal –, und Schmerz ist immer persönlich.
»Du verschissener Nazi!«, entfährt es mir, ohne dass ich darüber hätte nachdenken können.
Darauf hat er zweifellos spekuliert.
»Na, komm. Komm her, verpass mir eine.« Er grinst mich an und wedelt – die Arme in Hooliganmanier ausgebreitet – herausfordernd mit den Händen.
Entgegen jeder Vernunft beginne ich, tatsächlich meine Chancen abzuwägen, überlege mir, was geschehen würde, wenn ich jetzt aufstünde. Mein linkes Ohr fühlt sich taub an, dafür pfeift und rauscht es in meinem Schädelinneren, als ob man meinen Kopf an einen Kurzwellensender angeschlossen hätte. Gut möglich, dass ich das Gleichgewicht verlöre, noch bevor ich mich vom Stuhl gewuchtet hätte. Dann könnte mir der Bulle, dieser fleischgewordene Albtraum in Gestalt eines bäuerlichen Gabba-Jüngers, mit seinen Angeberturnschuhen gepflegt die Fresse eintreten. Dazu kommen noch die Zerrung oder der Faserriss im rechten Oberarm; oder was auch immer ich mir da während der Verhaftung eingefangen habe. Keine Frage, mein Gegner hätte leichtes Spiel. Trotzdem sollte ich vielleicht einen kleinen Ringelpietz wagen. Je sichtbarer die Verletzungen, desto besser lässt sich die Misshandlung später öffentlich machen. Aufstehen scheint dafür ohnehin nicht mehr vonnöten. Mein Peiniger ist bereits spürbar ungeduldig.
»Na, keine Traute? Oder willst du’s im Sitzen besorgt bekommen?« Er tänzelt überraschend leichtfüßig auf mich zu.
Ich bereite mich schon mal darauf vor, der nächsten Attacke wenigstens mit einem Ausweichmanöver zu begegnen, als sich plötzlich die Tür öffnet und der Spuk ein jähes Ende nimmt.
»Ist gut«, sagt eine sanfte weibliche Stimme, deren Besitzerin ich nicht erkennen kann, da mir die Fettschichten des Schergen die Sicht nehmen.
Zu meinem Erstaunen gehorcht der Versorger des Speckmantels ohne Widerrede. Er tritt einen Schritt zurück und gibt seinem Armfleisch die Möglichkeit, schlaff und lappig herunterzuhängen.
»Sie können uns allein lassen.«
Der Bulle folgt auch diesem Befehl und trabt aus dem Raum, ohne mich noch eines Blickes zu würdigen. Ich muss an den Beginn seines Monologs denken und komme an einem Lächeln nicht vorbei. Sieht ganz so aus, als ob er derjenige wäre, den eine Fotze bei den Eiern hat.
Nun erst komme ich dazu, meine Retterin in Augenschein zu nehmen. (Und Retterin ist in diesem Moment tatsächlich der Ausdruck, der sich mir ins Hirn drängt.) Ich habe eine Frau erwartet, deren Äußeres nicht allzu sehr vom Schönheitsideal unserer Tage abweicht. Sicher, weil das bei Fernsehkommissaren häufig der Fall ist, so sie denn paarweise agieren. Ist der eine älter und von eher skurriler Gestalt, kommt der andere meist jünger und vergleichsweise ansehnlich daher. Die Dame, mit der ich es hier zu tun habe, ist allerdings weder jünger noch hübscher noch dünner als der Appetitzügler, den sie gerade des Zimmers verwiesen hat. Vielleicht bin ich in einer Dienststelle gelandet, die nebenher als Endlagerstätte für adipöse Beamte fungiert. Meine neue Aufsichtsperson jedenfalls bringt bei einer geschätzten Körpergröße von 1,70 Meter sicher ihre zweihundert Pfund auf die Waage. Um davon abzulenken, hat sie sich eine blasslila Strähne in die herausgewachsene Dauerwelle färben lassen und sich eine Brille ins Gesicht geschraubt, die mit ihren übergroßen Gläsern an einen dieser wahnsinnigen, von dunklen Welteroberungsplänen zerfressenen Wissenschaftler erinnert, wie sie häufig in Comics zu finden sind. Mir soll das egal sein. Mir genügen ihre mütterliche Stimme und die Tatsache, dass sie mir den Schläger vom Hals geschafft hat. Darüber hinaus entspannt mich der Gedanke, dass ich es nun mit dem angenehmeren Teil des Duos zu tun habe. Was die psychologische Raffinesse angeht, scheint sich das Arsenal der Wächterameisen nicht wesentlich vergrößert zu haben: Erst trommelt der Höhlentroll ein bisschen auf seiner (und/oder deiner) Brust herum, dann lassen sie den Teesieder aus der Kiste, um dich einzuseifen.
»Rösner«, sagt der Teesieder und reicht mir die Hand.
Ich sehe keinen Grund, unhöflich zu sein, und schüttle die dargebotenen Engerlinge.
Nachdem das erledigt ist, zieht sich Frau Rösner einen Stuhl an den Tisch und nimmt Platz.
»So«, sagt sie, »dann fangen Sie mal ganz von vorne an.«
»Ich fange mit gar nichts an«, entgegne ich, wild entschlossen, bei ihr erst gar keine Hoffnungen aufkommen zu lassen. »Ich will den Anruf machen, der mir zusteht. Außerdem verlange ich, einem Arzt vorgeführt zu werden.«
»Sie wollen einen Arzt? Sind Sie krank?« Während sie das sagt, schaut sie mir derart besorgt in die Augen, dass ich an ihrem Wahrnehmungsvermögen zu zweifeln beginne. Ihr kann doch das, was ihr Kollege gerade mit mir veranstaltet hat, unmöglich entgangen sein.
Ich zeige auf mein zermatschtes Ohr.
»Krank trifft es nur bedingt, wenn ich auch gewissermaßen ein Opfer der Schweinegrippe geworden bin. Darüber hinaus haben es sich Ihre Häscher nicht nehmen lassen, mir schon während der Verhaftung eine Verletzung zuzufügen.«
»Eine Verletzung?« Obwohl ich das für unmöglich gehalten hätte, gelingt es ihr, noch eine Spur betroffener zu gucken. Sie muss wirklich einen an der Murmel haben.
»Wo denn?«, fragt sie.
Und ich Narr bin aufgrund ihres seltsamen Gebarens derart abgelenkt, dass ich für einen Augenblick meine Deckung vergesse.
»Am rechten Oberarm«, entgegne ich reflexartig.
»Ach. Lassen Sie mal seh’n!« Sie langt blitzschnell über den Tisch, packt mein rechtes Handgelenk und zieht dann mit einer solchen Gewalt an meinem Arm, als ob sie ein Stück davon mit nach Hause nehmen wollte.
Das tut so weh, besonders an der defekten Stelle zwischen Ellenbogen und Schultergelenk, dass ich schreien muss.
»Also ich kann da nichts entdecken«, sagt sie, nachdem sie losgelassen hat und mein Schrei zu einem kläglichen Wimmern verebbt ist. »Wahrscheinlich nur der Schock angesichts ihrer neuen Lebenslage – so eine Art Phantomschmerz … Und jetzt wollen wir mal anfangen.«
Ich bin fassungslos; ich habe im wahrsten Sinne des Wortes die Fassung verloren und größte Mühe, meine Tränen zurückzuhalten. Die Frau, die mir da gegenübersitzt und mich so aufmunternd anlächelt, ist nicht der Weichspüler, der Lindenblütentee, der Mutterersatz, für den ich sie gehalten habe. Das alte Spiel böser Bulle/guter Bulle hat – zumindest hier und heute – ausgedient. Stellt sich nur die Frage, wie das neue Spiel heißt: Gestapo-Ähnlichkeitswettbewerb? Fakir-Erlebniswochen?
Wir hatten oft darüber gesprochen, wie eine Verhörsituation am besten zu bewältigen sein würde, und waren uns schnell einig geworden, dass jeder letztlich seine eigene Strategie entwickeln müsse. Der eine beamt sich weg, indem er Kindheitserinnerungen oder Landschaftsbilder abruft, der andere murmelt ohne Pause vor sich hin oder weiß sich dadurch zu behelfen, dass er seine unfreiwilligen Zuhörer mit Fußballgesängen beschallt. So oder so waren nahezu all unsere Überlegungen darauf angelegt, endlos quälenden Befragungen zu begegnen, nicht körperlicher Drangsal. Und wenn wir diesen Aspekt doch mal thematisiert hatten, dann immer als Beiwerk, dem aufgrund der bestehenden Gesetze ein gewisser Rahmen vorgegeben war. Natürlich fielen Menschen hin und wieder auf Polizeiwachen Treppenstufen hinunter, schlugen sich durch eigenes Ungeschick die