Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht. Marie Brennan

Lady Trents Erbe: Aus der Finsternis zum Licht - Marie  Brennan


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aus irgendeiner Privatsammlung erforscht. Aber nach dem, was Simeon gesagt hat, wird das hier keine schnelle Arbeit. Ich werde monatelang hier sein.

      Ich konnte jedoch kaum diskutieren. »Völlig in Ordnung. Ich glaube nicht, dass ich viel brauche. Ich bin es gewohnt, auf Schiffen zu leben, wo all meine Besitztümer in eine einzige Truhe gestopft werden und ein Großteil davon Bücher sind.«

      Er nickte auf eine Art, die klarstellte, dass er an meinem persönlichen Leben überhaupt nicht interessiert war. »Die Zweite ist, dass ich nicht möchte, dass irgendetwas über den Inhalt der Tafeln durchsickert, bis ich bereit bin, sie in ihrer Gesamtheit zu präsentieren. Wenn man ihnen kleine Stücke gibt, werden die Leute spekulieren und alle möglichen Theorien entwickeln. Mir wäre lieber, dass sie den ganzen Text auf einmal bekommen.«

      Tagebuch, ich habe vor Frust beinahe gekreischt! Natürlich will er eine grandiose Enthüllung des Gesamttexts veranstalten – und um ehrlich zu sein, kann ich es ihm nicht ganz verdenken. Es wird viel aufregender, wenn die Leute alles gleichzeitig lesen können, selbst wenn es üblicher wäre, Teile zu veröffentlichen, während ich arbeite. Aber in Anbetracht der Länge des Haupttexts bedeutet das, dass ich Ewigkeiten warten muss, bevor ich ihn mit der Welt teilen kann!

      Dann durchdachte ich, was er gesagt hatte. »Wenn Sie ›durchsickern‹ sagen …«

      »Ich meine, dass Ihnen nicht erlaubt wird, Informationen darüber mit irgendjemandem zu teilen. Nicht, bis Sie fertig sind. Ich fürchte, ich muss auf Sicherheitsmaßnahmen bestehen, Miss Camherst – ich bin überzeugt, Sie verstehen das.«

      Oh ja, ich verstehe. Er ist ein gieriger alter Wurm, so viel ist klar, und er hat nicht die geringste Ahnung, wie solche Dinge funktionieren. »Aber was, wenn ich Schwierigkeiten bekomme? Es ist übliche Praxis, während der Arbeit andere Forscher zu konsultieren.«

      Er tat überrascht. »Man hat mir zu verstehen gegeben, Miss Camherst, dass Sie einer der hellsten Köpfe auf Ihrem Gebiet sind. Ihr Großvater war ein Pionier in der Entzifferung der Sprache, und Ihre Großmutter – nun, ihr Ruf ist auf der ganzen Welt bekannt. Dr. Cavall vom Tomphries hat mir erzählt, dass Sie angefangen haben, die drakoneische Schrift zu studieren, als Sie sechs waren. Aber wenn Sie andere konsultieren müssen, dann sollte ich vielleicht stattdessen an einen von diesen herantreten.«

      Mir wurde ganz heiß. »Was ich meine, ist – antike Texte sind oft sehr unklar. Ich muss vielleicht das, was Sie haben, mit unterschiedlichen Tafeln vergleichen, die im Tomphries oder in privater Hand sind.« Da ist nur einer der Gründe, aber es war der Einzige, der mir einfiel, den er nicht als Eingeständnis von Inkompetenz aufgefasst hätte.

      Er sagte: »Sicherlich können Sie das tun, ohne verraten zu müssen, was Sie selbst erfahren haben.«

      Das kann ich. Es wird nur fürchterlich lästig. Und doch … Die Alternative ist es, überhaupt nicht an diesen Tafeln zu arbeiten. Er weiß sehr gut, wie sehr sie mich in Versuchung führen und wie sehr er meinen Stolz angestachelt hat.

      Also habe ich eingewilligt. Natürlich habe ich eingewilligt. Wie hätte ich etwas anderes tun können?

      »Ausgezeichnet!«, rief er so erleichtert, dass ich glaube, er war wohl ernsthaft besorgt, dass ich mich weigern würde. »Dann können Sie gleich morgen früh mit der Arbeit anfangen. Ich habe sogar eine Assistentin für Sie organisiert.«

      Die Scheinheiligkeit dieses Mannes! Erst muss ich alles geheim halten. Dann drängt er mir irgendeine Fremde auf und sagt gar nichts dazu, außer dass ich sie morgen kennenlernen werde. Und bevor ich ihm erklären konnte, was ich davon hielt, fragte er mich, wie bald ich meiner Meinung nach fertig sein könnte.

      Mein erster Instinkt war es, ihm ins Gesicht zu lachen. Wie kann ich so etwas voraussagen, ohne zuerst den Text anzuschauen? Aber ich besitze eine gewisse Selbstbeherrschung, egal was Simeon sagt. Und ich habe Simeons Bericht über die Größe der Tafeln, wie dicht sie beschrieben sind, und ihre archaische Schrift, was reicht, um zumindest eine grobe Schätzung abzugeben. »Sehr viel wird davon abhängen, wie obskur der Text ist, verstehen Sie. Aber ich würde schätzen, wahrscheinlich zwei Tafeln pro Monat.«

      »Wunderbar«, sagte Lord Gleinleigh und klatschte sich aufs Knie. »Das passt ganz gut, Miss Camherst.«

      Er war tatsächlich so zufrieden, dass ich ihn misstrauisch ansah. »Ich sollte etwas klarstellen. Zwei Tafeln pro Monat, wenn es gut läuft, was es vielleicht nicht tut. Und das ist nur für einen ersten Entwurf – etwas, das einen klaren Eindruck von der Bedeutung des Texts gibt. Ihn zu polieren und sicherzustellen, dass meine Übersetzung so akkurat ist, wie ich es erreichen kann, wird wesentlich länger dauern.«

      Lord Gleinleigh winkte bei meinem Kommentar ab. »Natürlich – ich bin sicher, dass man in Zukunft weitere Forschung brauchen wird –, aber das Wichtige ist zu wissen, was da steht, ja? Die Feinheiten können warten. Könnten Sie wohl, sagen wir, nächsten Gelis zur Veröffentlichung bereit sein?«

      In zehn Monaten. Wenn er nur die einfache Arithmetik von sieben Monaten für vierzehn Tafeln berechnet hätte, hätte er Fructis gesagt. Wenn er allgemein gesprochen hätte, hätte er ein Jahr oder so gesagt. Gelis ist sowohl zufällig als auch spezifisch.

      Und ich konnte mir denken, warum.

      Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich es nicht gesagt hätte. Aber ich rechnete im Kopf, und als ich zu meiner Schlussfolgerung kam, platzte sie mir direkt aus dem Mund. »Sie meinen vor dem Kongress in Falchester.«

      Wirklich, ich hätte es kommen sehen sollen. Warum sonst wäre er so begierig, diese Tafeln von jemandem übersetzen zu lassen, wenn er seine Sammlungen bis jetzt verborgen hat, sodass nur er selbst und seine Freunde sie genießen können? Weil der Kongress nächsten Winter stattfindet. Alle werden dann über die Drakoneer nachdenken, weil deren Delegation hierherkommt und die Zukunft des Refugiums zur internationalen Debatte steht. Die Übersetzung wird wahrscheinlich schneller aus den Regalen gegriffen sein, als man sie hineinstellen kann.

      Er hustete delikat. »Das wäre praktisch, ja.«

      Ganz zu schweigen von profitabel. Bei der Art, wie er Geld für Antiquitäten ausgibt, würde man annehmen, dass er im Reichtum schwimmen muss, aber wie ich höre, haben heutzutage viele Hochadlige Schwierigkeiten, ihre Anwesen zu unterhalten. Vielleicht hat er sich verschuldet. Oder vielleicht will er einfach nur mehr Geld, um damit mehr Antiquitäten zu kaufen. So oder so, das wird er tun können, wenn diese Übersetzung rechtzeitig herauskommt – um nicht zu erwähnen, dass er berühmt sein wird.

      Und ich auch.

      Das sollte nicht das Erste sein, was mir durch den Kopf geht. Ich sollte mir mit diesem Text Zeit nehmen und sicherstellen, dass er erst veröffentlicht wird, wenn ich absolut überzeugt bin, dass ich das Beste abgeliefert habe, zu dem ich fähig bin – selbst wenn das bedeutet, dass er erst herauskommt, wenn ich vierzig bin. Ruhm bedeutet gar nichts, wenn die Leute später sagen: »Ach, Audrey Camherst? Meinst du diejenige, die vor einigen Jahren diesen traurigen kleinen Versuch einer Übersetzung geschrieben hat?«

      Aber es ist so schwierig, wenn ich spüren kann, wie mich alle anschauen und darauf warten zu sehen, was ich tun werde. Nicht meine Familie natürlich. Wenn ich beschließen würde, mich in ein Häuschen auf dem Land zurückzuziehen und mein Leben damit zu verbringen, Rosen zu züchten – nicht einmal prämierte Rosen; mittelmäßige, von Blattläusen zerfressene –, würden sie mich umarmen und mir alles Gute wünschen. Es ist der Rest der Welt, der von mir erwartet, etwas Spektakuläres zu vollbringen, weil Papa das getan hat, und Mama, und Großpapa, und besonders Großmama. Wann werde ich mein Recht beweisen, neben ihnen zu stehen?

      Ich muss überhaupt nichts beweisen.

      Außer für mich selbst.

      Und ich weiß, dass ich das hier schaffen kann. Wenn es bedeutet, lange Stunden zu arbeiten, um es rechtzeitig fertigzubringen … Tja, genau dafür gibt es Kaffee.

       Aus dem Notizbuch von Cora Fitzarthur

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