Cajetan Schaltermann. Max Herrmann-Neisse

Cajetan Schaltermann - Max Herrmann-Neisse


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      Max Herrmann-Neiße

      Cajetan Schaltermann

      Saga

      Cajetan SchaltermannCoverbild//Illustration: Shutterstock Copyright © 1920, 2020 Max Herrmann-Neiße und SAGA Egmont All rights reserved ISBN: 9788726594409

      1. Ebook-Auflage, 2020

      Format: EPUB 3.0

      Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von SAGA Egmont gestattet.

      SAGA Egmont www.saga-books.com und Lindhardt og Ringhof www.lrforlag.dk

      – a part of Egmont www.egmont.com

      »Werle: Gregers, – ich glaube, kein Mensch auf der Welt ist dir so zuwider wie ich.

      Gregers (leise): Ich habe dich zu sehr in der Nähe gesehen.«

      I

      Es war so, daß er diese seine Heimatstadt, zu der er mit allem und jedem in Gegensatz stand, rechtschaffen haßte. Aber wenn er sich herzhafter zusammengerafft hatte, ihr zu entfliehn, fand er sich schließlich immer wieder auf dem Punkte, wo sie ihn zäher denn je umklammert hielt. Diese Stadt besaß eine unerklärliche Gewalt über die Feinde wie über die Freunde, und auch der hartnäckig Widerstrebende fühlte sich bald von der Wehmut ihrer vielen Glocken wie von einem Netze umsponnen und in den Dornröschenschlaf ihres um hundert Jahre zurückgeschraubten Klosterdaseins unentrinnbar verstrickt.

      Cajetan Schaltermann überdies war in der Stadt geboren. Er verbrachte da seine Schulzeit, die nicht so schlimm war, wie er selbst meinte, aber auch nicht so angenehm, wie seine Lehrer hofften. Immer ward ihm, auf hundsföttische Weise, etwas verdorben. Die Benefizvorstellung der schüchtern angebeteten Soubrette fiel natürlich auf den Abend, der mit einer schwierigen schriftlichen Arbeit belastet war, und sprang man Sonnabend mittags nach Haus, so bildeten die Wagenburgen der Bauern ärgerliche Hindernisse, und sicherlich trug eine Marktfrau ihren vollgepackten Korb so ungeschickt, daß mancherlei Unheil, eh man sich’s noch versehen konnte, geschehen war. Aber damals maß er die Schuld an solchen Mißfällen, wenn überhaupt von Schuld bei ihm die Rede sein konnte, mehr einzelnen Personen oder Dingen zu, als der hinterhältigen Zauberkraft der Stadt selbst. Erst ein Ereignis, das ihn viele Zeit später betraf, erhellte in einem erschütternden Augenblick die für ihn so verhängnisvolle Geste der ganzen Siedelung. Cajetan saß in Oberprima und hatte sich an den gleichmäßigen Gang des Schulbetriebes so gewöhnt, daß ihm der Gedanke des nahen Abschiedes fast weh tat; auch das Schwerste, was verlangt wurde, l8ief ihm leicht ein, und sein Platz in der hintersten Bank war ihm wie ein ererbter Kirchenstuhl zu etwas Heimischem geworden, aus dessen Besitz er sich Sicherheit und Beruhigung schöpfte. Was die Kirchen betraf, so gab es da Abendandachten mit Musik und Stimmung und einem dunkel verborgenen Chor, wo kleine Briefchen durch viele willige Hände zu einem Mädchen mit zwei langen Hängezöpfen und hübsch blöden Augen flossen, und die vielen Offiziere, hinter denen man im Theater wie bloß geduldet zurücktrat, und zu deren aufreizend verhüllten Stuben seltsame Wege führten, waren auf offenem Platze zu anderen Stunden demütiger Untergebene, als vor Kathedern oder an schwarzen Tafeln je gefunden werden konnten.

      Die Kaisergeburtstagsfeier begann mit einer Andacht in der Gymnasialkirche. Man mußte lange in Reih’ und Glied stehen in dem langen Korridor. Einige kamen zu spät und wurden beschimpft, bis man endlich in den Kirchenbänken verstaut war und hinzudämmern begann in der Gewöhnung des alten Rhythmusses und nachzuholen versuchte, was vielleicht an Schlaf im Bette versäumt worden war. Cajetan mummelte sich in sich selbst ein und fühlte den leeren Raum seiner einmal ganz von Gedanken befreiten Trägheit wie eine angenehme Wölbung, in der sich behaglich schaukeln ließ. Plötzlich empfand er, daß ein Blick, stechend wie das jähe Licht einer elektrischen Lampe, die Schülerreihen ableuchtete, und hörte im selben Augenblick, daß häßlich eine breite, falsche Stimme die Harmonie seiner Träumerei unterwühlte. Und mit einem Mal wußte er, daß alles von dem Manne am Altar herrührte. Er hatte die Religionsstunden dieses Pfarrers wie etwas über sich ergehn lassen, das nicht sonderlich erfreulich war, aber was, wie Mücken im Sommer, so und nicht anders sein mußte. Jetzt erinnerte er sich, daß dieser Mann von dem Mädchen mit den sehr langen Hängezöpfen und den hübsch blöden Augen zornviolett als von einem »Frauenzimmer« gesprochen hatte. Er schaute auf, und nun sah er hinter dem eigentlichen Antlitz des Religionslehrers wie hinter einer Maske eine Art zweites Gesicht, hämisch und von steinernem Zwange verzerrt, und hörte hinter seiner wirklichen Stimme das monoton feindselige, schleppende Geräusch durch den Stadtpark tappender Gruppen von Pensionären. Und auch, daß die Mitschüler grinsten, wenn sie vom »Pater Aloysius« munkelten, und der Name einer Witwe, bei der er als gerichtlich bestellter Vormund oft zu tun hatte, in eigen kitzelnder Art mit dem seinen zusammen genannt wurde, fuhr dem wie aus dem Gleis geworfenen Cajetan von ungefähr gleichzeitig durch den Geist. Und schon traten sprunghaft, indes er mit dem Strom der andern auf den Gang zurück und nach der Aula schritt, Bilder an sein inneres Auge, die er seit Jahren gesehen hatte, in diesem Augenblicke aber erst mit der Leidenschaftlichkeit der sinnvollen Vision wahrhaft erschaute. In ganz neuer Beleuchtung und Umrißschärfe stieg jetzt auch die tragikomische Figur jenes Potzpuch vor ihm auf, jenes eigenartig verwilderten Schwarmgeistes, den man von der Schule gejagt hatte, weil er zu stolz gewesen war, das mit kleinen Lügen zu erhalten, was ihm groß erschien. Sonderlich war eine Szene, die schon um drei Jahre zurücklag, und welcher er damals so gut wie gar keinen Wert zugemessen hatte, heut dem Cajetan bis zur plastischen Nähe gegenwärtig. Es handelte sich um einen abendlichen Besuch Cajetans bei eben jenem Potzpuch, und wie er die steile, enge Holztreppe in dem dunklen, altertümlichen Gebäude bis zu der Kammer sich hinauf tastete, die Potzpuch mit zwei kleineren Schülern teilte, wie die beiden Knaben mit der Ehrfurcht der Jünger dem Potzpuch nach seinem leisesten Wink zur Hand waren, wie besagter Potzpuch ein dickes Manuskript hervorholte und in der mangelhaft erleuchteten Kammer vorzulesen begann, die beiden Stubengenossen aber mäuschenstill saßen, und Stunde um Stunde verging, indes jener begeistert las und dem Cajetan fremde Namen wie »Stirner, Lassalle, Kierkegaard« durch die dumpfe, stickige Atmosphäre des Zimmerchens schwirrten, wie das Abendessen den Knaben darüber kalt ward, ohne daß sie auch nur mißvergnügte Gesichter zu zeigen wagten – alles das spielte sich noch einmal in Cajetans verwandelter Seele wie auf einer günstigeren Bühne ab. Und wie war das mit Victor von Kreibnitz gewesen, dem Sohn des Korpskommandeurs, als man ihn auf einer nächtlichen Orgie mit Offizieren und Schauspielerinnen ertappt hatte? Leitete man diesen Vorfall nicht sachte in ein Attest des zuständigen Arztes ab? Cajetans Erregung ging jetzt wie ein Mühlrad zur Überschwemmungszeit. Alle die Potzpuchschen Namen »Stirner, Lassalle, Kierkegaard« ‒ und er wunderte sich, daß er sich seitdem nie wieder darum gekümmert hatte ‒ mußten doch irgendwie eine Macht darstellen, feindlich jener, mit der man ihn und seinesgleichen dressierte. Wer hatte Eisenstäbe zwischen ihn und diese Werte gerammt? Hastig wollte er »die Schule« antworten, da las er, wie frisch gedruckt, jene alten Perfidien der die Stadt beherrschenden Zeitung, durch welche eine ganze Gesellschaft von Männern mit einem einzigen Federstrich abgetan wurde. Und war der Vater General nicht mit Orden und Ehrenzeichen behangen zum Mathematiker geklirrt, und sein Sohn doch noch nach Oberprima versetzt worden? Cajetan schnappte unwillkürlich zusammen; eben wuchtete der Mathematiker in seiner Reservehauptmannsuniform durch die Aula, an der Spitze der Kollegen, neben dem Direktor, der wie unter einer heimlichen Bürde geknickt einherknarrte. Gesang schwoll an. Jetzt erst kam Cajetan voll zum Bewußtsein dessen, wo er sich befand. Die Oberprimaner standen ganz im Hintergrunde der Aula, um den Ofen herum, lümmelten sich an der Wand hin oder hockten bei dem Tischchen, auf dem in einer Nische die Noten aufgestapelt waren. Vor ihnen befand sich das Klavier, betreut vom Zeichenlehrer, der sich in Gehrock und weißen Handschuhen wichtig tat. Dann breiteten sich Bänke mit den Schülern der »niederen Klassen« bis vorn zum Podium, auf dem rechts das Lehrerkollegium thronte, links irgendwie ehrgeizige Angehörige von Gymnasiasten und die würdevoll auf Draht gezogenen Familien des »Lehrkörpers« ein doch mehr peinliches Dasein von Nurgeduldeten führten.

      Der musikalische Teil (der immer dieselbe Mischung aus Langeweile und offiziellem Drill darstellte und je nach der Signatur des Festes »Die Himmel rühmen« oder »Nun laßt die Glocken« oder »Wir treten zum Beten« hieß) war


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