Cajetan Schaltermann. Max Herrmann-Neisse

Cajetan Schaltermann - Max Herrmann-Neisse


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jenes Veterinärs mit dem Schakalgesicht, der im Rufe eines belesenen Mannes stand. Dort erfuhr er, daß ein gebrechlicher, verwitterter Kauz, hinter dem die Kinder auf der Straße »Gewittermänndl« herriefen, weil sein Spaziergang nach gutem oder schlechtem Wetter bis auf die Sekunde geregelt war, ein in ganz Deutschland und darüber hinaus berühmter Forscher sei. Der eitle und geschwätzige Viehdoktor labte sich schmatzend an diesem ihm wohlgefälligen Thema, erzählte, wie er des Einsamen einziger Freund sei, und auch über den Grund, aus dem die Stadtzeitung ihren berühmtesten Mitbürger einfach ignorierte, ließ sich der Tierarzt weitläufig aus, und jene Macht, die Cajetan das erstemal dunkel in den Aulastunden geahnt hatte, und mit der er sich auseinandersetzen wollte, trat wiederum einen Schritt deutlicher aus ihrer gefährlichen Tarnkappe heraus. Es verhielt sich also derart, daß in dieser Stadt ein einziger Wille herrschen mußte; wer dem gegenüber sein eigenes Gesetz zu behaupten sich erdreistete, wurde so oder so erledigt, zermalmt oder beiseite geschleudert und liegen gelassen. Für den Augenblick glaubte er, alle Niedertracht greifbar vor seinen Fäusten zu haben, und sein Zorn und der Ehrgeiz, Sieger zu werden, wuchs ihm übers Haupt wie eine Palme; unbeherrschter schlug er auf den Schenkentisch und prahlte mit den Bierfreunden von großen, erstaunlichen Dingen, die bald geschehen würden, und wurde zudringlicher zu den Mädchen. Aber wenn er ohne Zeugen sich selbst gegenüber saß, fühlte er, wie die alten Bedrängnisse und Beängstigungen aufs neue an ihn herankrochen, und seine Seele immer leerer wurde, und wie er sich bald ganz und gar würde verloren haben. Er fing an, sich zu verachten, und spottete seiner eigenen Scham. Er gönnte sich keine Sekunde der Entspannung mehr und war immer wach, dem Prinzip der Stadt seine Schliche abzulauschen. Von nun an belauerte er in der Klasse jede Gebärde der Lehrer, wie ein Jagdhund sprungfertig, und in der Konferenz hieß es: »Wenigstens die alte Aufmerksamkeit ist geblieben.«

      Die Erscheinungen wechselten in reichster Mannigfaltigkeit, aber soviel ward dem Cajetan immer gewisser, daß ein Regisseur, der alles bestimmte, doch sich einmal würde erraten lassen. Er hielt sich also unbeweglich und sah. Sein Gesicht war so bereit zur Aufnahme eines Ergebnisses, daß jeder eigene Ausdruck daraus verschwunden war; nachher kniff er stets die Augen zusammen, um besser überlegen zu können, und ließ unwillkürlich die Unterlippe hängen – so hatte er bei der verschlagensten Spionage eine harmlos dämliche Physiognomie. Aber hinter dieser Eselsvisage arbeitete es unablässig. Er sah und sah. Der kleine schiefschultrige Geschichtsprofessor fuhr zur Klasse herein wie eine Napoleon-Karikatur, versuchte jede etwaige Rebellion von vornherein mit einem als niederschmetternd gedachten Blicke zu vernichten und machte sich endlich im Katheder, wie in einem Herrschersessel, der ihm allein zukam, breit, als ob dieser arme Mensch nichts von der mannshohen Kluft merkte, die zwischen dem, was er war, und dem, was er vorzustellen sich getraute, klaffte. Oder betäubte er etwas in sich selbst und war Dünkel hier Notwehr gegen die eigne Verzweiflung? Seit zwanzig Jahren machte er zur selben Zeit dieselben Witze, die keine waren, war entzückt, wenn alle pflichtschuldigst grinsten, brachte dieselben pedantischen Übungen und Arbeiten, deren Lösung jede Klasse von der vorhergehenden empfing, und vernachlässigte im übrigen sein Fach über alle Möglichkeit. »Lächerlich ist er, nichts als lächerlich!« sagte sich Cajetan – doch da war auch noch etwas Verstecktboshaftes, dem jeder, der ihm irgendwie widerstand, zum Opfer fiel, und war nicht eben auch der Potzpuch letzten Endes über die verletzte Überheblichkeit dieses Gernegroßes gestolpert? Wirklich, in dieser Schule und in dieser Stadt half Lachen überhaupt zu nichts: jener Muchoreck, dem seine eigene Klasse ins Gesicht prustete, und den sogar die Herren Kollegen nur mit einem verstohlenen Lachen im Mundwinkel ansprachen, saß heute als Direktor in einer der begehrtesten Großstädte. Humpelnd wand sich und leisetretend der Lateiner durch die nur halbgeöffnete Tür, salbte die Herzen wie mit warmer Butter zu jeglicher Gefügigkeit, setzte sanftmütig die zutraulich gemachten Seelchen auf seine geschickt kaschierten Leimruten und schlang ihnen hübsch gemütlich die Schlinge seiner arggedenklich vorgefaßten schlimmen Meinung um den bloßen Hals, daß sie, ein letztes, blödes Nichtbegreifen im Blick, vor seiner milden Schadenfreude kommode verröchelten. Aber der rächte sich vielleicht nur dafür, daß er grundsätzlich von dem jüngeren Schulrat gedemütigt wurde und jedesmal mit beschämender Gründlichkeit den kürzeren zog. Da hatte der Geograph besser für seine eigene Haut gesorgt; er tat von Glockenschlag zu Glockenschlag – weder darüber, noch darunter – nicht mehr, als seines Amtes war, verzeichnete phlegmatisch ohne jede verächtliche oder lobende Glosse schlechte und gute Noten in sein Merkbuch und schritt gefühllos über in Todesängsten Verzuckende und über frische Leichen aus der Zensurenberatung zum gewohnten Stammtisch. Nur wenn ihm einer seine urkundlich festgelegten Einschätzungen anzutasten wagte, wehrte er sich, als sollte ihm die einzige Waffe entwunden werden gegen eine Macht, die ihm selber gefährlich werden könnte. – Nachts hockte Cajetan wieder mit denen in der »Roten Wage«. Aber je toller sie über »Schulzwinger« und »Pauker« ihre Knüppel schwangen, desto offenbarer war ihm so, als wüßte er etwas besser. Gab es da nicht auch noch ein Zusammenstehen gegen Erwachsene, die anders wollten, ebensogut als die Bande gegen die Knaben hielt? Ja, den alten Sonderling, der den Homer auf seine Art burschikos vorgetragen hatte, in saftigen Späßen Junge war mit seinen Jungens und die Stupidität des Betriebes mit scharfkantiger Satire zerfetzte, hatten sie unter sich unmöglich gemacht. Und betrank sich der verhaßte »Sägebock« nicht heimlich? Und bei dem feindseligen »Spulwurm« lärmten lauter schmutzige Kinder durch die schlampig verwahrlosten Stuben, und dem widerlichen »Ajax« siechte die Gattin gelähmt dahin. Opfer schienen auch sie, alle, alle, von einem Gewaltigeren, und erst, wenn die Genossen auf die Stadt zu schimpfen begannen, schwante dem Cajetan, daß das Geheimnis ihm näher trete. Jedenfalls legte er sich auch an diesem Saum in Hinterhalt.

      Aus einem Silvesterabend sogar, der in Punsch und Zigarettenrauch wie ein Herbstfeld im Nebel unterging, schien das Unbekannte zu lugen. Cajetan und Ferdinand waren die ersten in der »Roten Wage«: Ferdinand wohnte bei einer grauen, vergeizten Tante, die auch am letzten Abend des Jahres Licht sparte und mit den Hühnern schlafen ging, und Cajetans Eltern besaßen die schöne Honoratiorenschenke am Ring, feierten jetzt unten im Lokal mit den Stammgästen und überließen überhaupt den Sohn mehr sich selbst. Die beiden, der Lange und der Kleine, durch Körperhaftes in ihrer auffälligen Zusammenstellung unverkennbar, waren also die für sie allzu helle Mautstraße hinuntergegangen und ganz offenkundig in »ihr Lokal« eingeschwenkt, indes die andern noch zu Haus »familiensimpelten«. Denn wenn die Mitschüler sich in die Schatten der Häuser drückten, hoffend, wenn schon gesehen, doch vielleicht nicht erkannt zu werden, gaben Cajetan und Ferdinand ihrer prägnanteren Gestaltung gemäß diese klägliche Verklausulierung von Anfang an auf und schritten wie andere Erwachsene, die nicht unter der Fuchtel einer unzeitgemäßen Unmündigkeit gehalten werden, durch den erleuchteten Flur gradewegs ins Hinterzimmer. Augenblicklich befanden sich hier erst der Kolonialwarenhändler Klinke mit seiner Frau, die, das Nützliche mit dem Angenehmen verbindend, Silvester bei ihren besten Kunden zu feiern gedachten, und an einem anderen Tische fünf oder sechs junge Leute, Kommis aus einer Eisenhandlung, Buchhalter in Speditionsgeschäften, die sich von ihresgleichen wieder als etwas Besseres absonderten, einen sogenannten »Klub« bildeten, der bei Tanzkränzchen und Festtagskonzerten »korporativ« auftrat und sich bestrebte, die gravitätische Solidarität von Studentenverbindungen in Formeln und Allüren nachzuahmen. Cajetan und Ferdinand setzten sich an einen leeren dritten Tisch. Sie sprachen, wie nicht anders zu erwarten, von der Schule, insonderheit von den Aussichten für das Abiturium. Ferdinand, der sich nur kümmerlich in der Überflutung mit Latein, Griechisch, Mathematik über Wasser hielt, hatte große Bange vor den entscheidenden Arbeiten. Er rechnete immer wieder sein Soll und Haben zusammen, und versuchte auf alle Arten da einen Posten einzuschieben, dort einen auszumerzen, um doch noch eine einigermaßen erträgliche Bilanz für sich herauszuschlagen. »Wenn ich wenigstens noch die zwei letzten griechischen Arbeiten halbwegs genügend schreibe . . .« murmelte er, und »Hauptsache, ich schaff’ die lateinische Klausur . . .!« und »Im Französischen kann ich mich vielleicht noch mündlich rausreißen . . .!« Cajetan, der sich ja, trotz allem, durch die früheren günstigen Leistungen so stand, daß er schlechterdings nicht verlieren konnte, blieb ungerührt. »Das ist mir alles Wurscht,« erwiderte er, » ob ich das Examen besteh’ oder nicht, das nützt mir einen Dreck, bloß wissen möcht’ ich . . . bloß wissen . . . ich halt das einfach nicht mehr aus, wie der Ochse vorm Berg zu stehn! Wo liegt denn der Hund begraben, hä?« Ferdinand hörte kaum hin und buchte für sich kummervoll weiter Plus


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