Cajetan Schaltermann. Max Herrmann-Neisse

Cajetan Schaltermann - Max Herrmann-Neisse


Скачать книгу
sei. Sie hatten ja beide ihre Erfahrungen. Und »Freund, ich bin zufrieden, ’s gehe, wie es will, unter meinem Dache leb’ ich froh und still«, sang die Mutter oft.

      Cajetan, der schwächlich und anfällig geblieben war, wurde während der ersten Knabenjahre in der Obhut des Papas gehegt und gepflegt; früher als gewöhnlich ward ihm bereits das Lesen beigebracht, und da der Junge die Studier-Neigung zu des Alten großer Freude geerbt hatte, vermißte er nichts, wenn er nur über Karl-May-Schwarten oder Bilderschmökern kauern durfte, und so blieb ihm das Herumtollen mit Kindern gleichen Alters ganz und gar unbekannt. Dann kam er auf das Gymnasium, und die Reaktion trat ein. Cajetan wurde zwar von Anbeginn ein Musterschüler, aber was an Lesbarem nicht mit dem von der Schule Geforderten zusammenhing, lehnte er ab – er war vorderhand übersättigt. Statt dessen machte er mit dem Vater Spaziergänge, botanisierte, sammelte Steine, zuerst immer ganz hingegeben, aber desto gründlicher schlief nach einiger Zeit jedesmal der allzu stürmische Enthusiasmus für diese Dinge ein. Und das machte sich auch ziemlich unauffällig, und ohne daß eigentlich beide Teile etwas davon merkten: der Vater war im Geschäft, die Mutter in der Küche, und Cajetan kam oder ging, war da oder nicht da – er hätte selber keine Auskunft darüber geben können. Die Zeit der ersten Liebe überstand er besser als mancher Altersgenosse, sei es, daß er erblich so gut wie garnicht belastet war, sei es, daß Gott es besonders gut mit ihm meinte: es zwitscherten da bei seiner Mutter Kochfräuleins aus bester Familie herum, Förstertöchter haben heißes Blut, und der schüchterne Cajetan konnte als verlockender Gegensatz gelten – genug: Cajetans Erkenntnis lautete im tiefsten, weiter nicht nachhaltig berührten Herzen: So viel ist gar nicht einmal dran! Und mit diesem Punktum blieb er, nichtssagende, mehr aus Neugierde geborene Ablenkerchen ausgenommen, für immer gefeit. Im übrigen: er lernte, und er erlebte sich selbst. Dabei trug und beschützte ihn der geregelte Apparat dieses ihm so geläufigen Bezirkes und sorgte dafür, daß nichts störte; in Wahrheit freilich war er eigentlich für das sichere Glück solcher Umhürdung bis zu dem Zeitpunkt blind geblieben, an dem er, als vom Schulzwange frei, die Augen weiter zu öffnen sich anheischig machte, hatte es stets als etwas Gebührendes hingenommen.

      Jetzt, da er von der Etikette einer fatalen Schein-Untergebenheit erlöst war, ward er auch mehr unter die Leute gemischt und die Leute mischten sich zu ihm. Der Vater reichte ihn unten am Stammtisch herum und verstaute ihn hinter einem Maßkrug, der Cajetans Initialen am Deckel trug. Da taten sich Gesichter, die lange für Cajetan nur wenn es hochkam die flüchtige Bedeutung konstanter Orientierungspunkte gehabt hatten, weiter auf, und aus wichtigen oder tolpatschigen Gebärden deuteten sich Entdeckungen an, die dicht bei dem Pole zu liegen schienen, an dem die dem Cajetan verheißene oder vielmehr angedrohte Urmacht verankert sein mußte. Natürlich ging es darum, was Cajetan studieren sollte. Der Vater behandelte mit Ausdauer und Gründlichkeit die Aussichten und Zweckmäßigkeiten aller vier Fakultäten, wobei er der ihm von seiner Lehrerzeit gebliebenen Unart, häufig schwungvolle Zitate als Ornamente anzubringen, wollüstig frönte: oft flocht er auch Statistiken ein oder rannte nach dem Konversationslexikon und las eigensinnig Tabellen vor. Der reich gewordene Wachszieher begann drocksend von seinem Sohne zu erzählen, der in Breslau Kaplan war; den Ausdruck »Dogmatik«, den er auf der ersten Silbe betonte, umknixte er mit besonderer Scheu, und die Worte blieben ihm wie die Biertropfen am Barte hängen, bis er sie mit einem schnurzlichen »Mein Herr filius« sauber ableckte. Da steckte der Landmesser mit dem Kropf ein spöttisches, wohlfeilnachsichtiges Zucken auf. Zu Haus war er nur geduldet: die Seinen – eine Frau, die Büfettdame gewesen war, und eine Tochter, die es lieber hätte werden sollen – warfen ihm plebejische Manieren vor und begleiteten noch seine Geste des Zahlens, die einzige, die ihm erlaubt war, mit Vorwürfen über mangelndes Handelstalent. So war der Stammtisch ein Zufluchtshafen für ihn, in welchem er sich gleich immer für alles schadlos hielt. Doch selbst hier noch war ihm volle Ellbogenfreiheit nicht vergönnt; er durfte seine Witze nur sehr versteckt loslassen, denn durch verschiedene Spekulationen in Schwierigkeiten geraten, war er dieses und jenes Schuldner geworden, und das »Hüte dich, feins Blümelein!« klang immer warnend in seinen Ohren. Jetzt nahm er das Thema wie eine Waage in die Hand und belastete die andere Schale mit seinem Egon, der eben Fahnenjunker geworden war, daß die Schale mit dem Kaplan des Wachsziehers hoffnungslos sank und der Vater Schaltermann den Brockhaus mit der Rangliste vertauschen mußte, denn die meisten hatten gedient und legten nun die Nummern von Regimentern wie sorglich aufbewahrte Schmuckstücke hin, deren Goldgehalt jeder eingehenden Prüfung standhalten wollte. Bis der krummbeinige Jonschert sich an die Unterhaltung machte und sie sich wie einen Schemel unter das Gesäß schob, den er nun lange nicht mehr zu verlassen gedachte. Seine Glanzperiode, von der er bis an sein Lebensende zehren würde, war ihm als einem Ratsmanne von Winzig geblüht, und dort hatte er es sich angewöhnt, so pratschig laut zu reden, als ob immer alle schliefen. Er wischte erst die Zunge einmal durchs Maul und schob mit der gepolsterten Hand die Manschette zurück. »Der . . . der . . . der . . . also betreffende . . . Herr Professor Nimmschick, der hat . . . hat . . . neulich mit mir gesprochen über die . . . die . . . also betreffenden Abiturienten. Ich war . . . war . . . vor dem Essen noch mal über den Damm gegangen, nämlich, die Inf antristen, die kamen von Buxdorf, und da . . . da . . . da traf ich, also den Herrn . . . betreffenden Herrn Professor Nimmschick, und da kamen wir also so drauf zu sprechen, ich weiß nicht mehr, wovon’s alles ging, und da sagte der: Nein . . . nein . . . nein . . . nein, die . . . die . . . die betreffenden Philologen, die haben nämlich gar keine Aussicht jetzt auf Anstellung, für . . . für fünf, sechs Jahre ist alles überfüllt . . . aber . . . aber die . . . die Ingenieure, die Ingenieure also betreffend, die sind heut’ noch am besten dran! . . . prost, prost, prost, pröstchen . . . zum Wohle . . . zum Wohle . . .« Cajetan dachte nach, warum sich alle von dem alten Kracher so tyrannisieren ließen, und warum sich niemand dieses unhöfliche Schreien verbat; in Winzig, wo er sich durch Wucher und Güterschlächterei ein beträchtliches Vermögen zusammengegaunert hatte, durfte sich der »verpuchte Kravattenmacher« nicht mehr blicken lassen, und nun thronte er hier und führte das große Wort, und alle wußten doch, wie es um ihn bestellt war. »Das . . . das . . . das beste, also, ist heutzutage wirklich noch ein betreffender praktischer Beruf . . . die, die anderen Karrieren dauern . . . dauern immer länger . . .« Und plötzlich sprach er von seinem eignen Sohne, einem gutmütigen Dümmlinge, der unter des Erzeugers Schäbigkeit am schwersten zu leiden hatte, der sitzen geblieben war und jetzt auf einer sogenannten »Presse« zum Examen gedrechselt wurde, und fing ganz zügellos an, gegen irgendeinen Lehrer zu wettern, der an des Sohnes Mißgeschick Schuld sein sollte. »Der . . . der Lump, der also betreffende, der . . . der gemeine Schuft, der hat also meinen Moritz nicht leiden gekonnt . . . wir wohnten nämlich auf ein und demselben Flure, und da hab’ ich mir mal mittags, also, das Klavierspielen verbeten . . . also, so ein Geklimper, da muß man doch seine Ruhe haben, man . . . man hat doch also auch seine betreffenden Nerven nicht auf dem Miste gefunden! das . . . das . . . ist doch eine Gemeinheit! die . . . die reine Niedertracht ist das! und da . . . da hat er . . . hat er . . . meinem Moritz immer also betreffende Aufgaben gestellt, die nämlich gar nicht zu lösen gingen . . . der . . . der . . . Gott verzeih’ mir’s! . . . Hund, der verfluchte! Der . . .« Cajetan griff wie in etwas unleidlich Klebriges, es hing sich an, daß man die Hände kaum noch erheben konnte, und dabei mußte er immer in dies gelbe Ledergesicht des Jonschert sehen, aus dem uneindämmbar diese penetrante Flut von Worten quoll. Cajetan suchte nach einem Floß, er wollte es daraufhin wagen: Wer redet überhaupt in unserer Stadt am lautesten? Zuerst sah er nur ganze Heerscharen von Pensionierten, Abgetakelten, Rentnern, Ausrangierten, die das ihre im Schuppen hatten und unter dem Schlußstrich ihrer mehr oder minder reinlichen Summierung wohlgefällig hinfaulten. Mit einem Male war es ganz hell vor Cajetan: Dieser ganze Ort war vorzüglich eine Burg der Alten, auf dem Guanohügel ihres Vergangenen hockten sie und blinkten mit abfälligen Schnäbeln auf das verabscheute offene Meer! Um neun Uhr früh kamen sie aus der »Faulenzermesse« gekrochen wie malade Küchenschaben, knabberten mäkelnd an dem und jenem Gemüsestand, der und jener Schaufensterneuigkeit, und schlieferten grüppchenweis, eine zudringliche Demut recht demonstrativ zur Schau tragend, zum häuslichen Frühstück. Nachher humpelten sie knickebeinig durch alle Gänge des Stadtparks, immer zu zweien oder dreien, morchelten sich laut politisierend hin und her, blieben wieder stehen und zeichneten Pläne in den Sand oder gestikulierten sich irgendwelche Handhabungen vor, und jeder dieser ehemaligen Tütendreher oder Bäckermeister mimte vor sich einen Major a. D. auf der Homburger Kurpromenade. Überall


Скачать книгу