Cajetan Schaltermann. Max Herrmann-Neisse

Cajetan Schaltermann - Max Herrmann-Neisse


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die nach dem günstigsten Augenblick schielen, um sich zur Entgegennahme von Huldigungen herabzulassen. Ihre Mutter aber prätzelte bei der Krämerfamilie wie ein Huhn auf seinen Eiern und gackste ab und zu verschlagen-betulich. Die Mädchen hatten sich endlich geeinigt: die beiden Jüngeren gesellten sich zu dem »Klub« aus der Eisen- und Speditionsbranche, die Älteste trat zu Cajetan und Ferdinand. Man bat sie, Platz zu nehmen, und bot ihr ein Glas Bier, sie nahm gnädig an und ersuchte darum, statt Bier Punsch trinken zu dürfen. Sie erkundigte sich nach den andern »Herrn«, plauschte vom Theater, schimpfte auf die Stücke und Schauspieler, die Cajetan heimlich gern hatte, und lobte was ihm ein Greuel war und die Komödianten, die vorwiegend in der »Roten Wage« verkehrten. Dann wurde Karten gespielt, und die beiden ließen den Fratz gewinnen, indem sie absichtlich falsch zugaben oder sich beim Zählen zu ihrem Vorteil irrten. Sie akzeptierte das als etwas Selbstverständliches und begann plötzlich auf ein paar Mädchen zu schimpfen, die sich in bezug auf Kleidung und Gehabe vom Gros der Backfische separiert hatten und jetzt durch klatschsüchtige Zungen in üblen Verdacht gebracht worden waren. Cajetan merkte unwillkürlich Blut und Galle in sich aufsteigen, bremste aber noch, wenn schon auf seinem Gesicht seine innere Meinung unschwer abzulesen war, und da Ferdinand nicht weiter auf das Gerede einging, ließ die Wirtstochter vorderhand das brenzliche Thema fallen und gab sich, insgeheim erbost, aufmerksamer dem Kartenspiel hin. Es wurde ungemütlich häklig, jeder verbarrikadierte sich in seinem Bau, und die Gasflamme sang recht aufreizend – da erschienen gottlob Kurt und August und brachten von häuslicher Grogseligkeit eine Atmosphäre noch unterirdischer, humoristisch säuselnder Berauschtheit mit sich, so daß gleichsam die ganze Stimmung um zwei, drei Umdrehungen höher hinaufgekurbelt wurde, wo sie sich nun wackelnd hielt, in ständiger Gefahr, hinabzufallen, zu zerschellen und am Erdboden die tausend bunten Scherben in Staub und Kot zu verlieren. Kurt, durch die trüb gewordenen Brillengläser blinzelnd, verbarg seine heute noch vermehrte, im Grunde gütige Unsicherheit in gesteigerter Burschikosität und August spielte noch schmalziger die Rolle des pathetischen Komödianten, die er sich selbst allzugern agieren sah. So kam auch über Ferdinand und Cajetan fast etwas Unechtes, hinter dem aber bei Cajetan das Ungebändigte noch lockerer an der Leine lag und noch subtiler auf seiner Hut und gefährlicher bereit, loszubrechen. Man saß jetzt zu Fünfen am Tisch, die Wirtstocher ließ sich, beinahe versöhnt, von August hofieren, ohne daß sie merkte, wie er sich plumpzotig über sie mokierte, Kurt mußte am Klavier die neuesten Operettenschlager wiederholen, Cajetan und Ferdinand würfelten Schnäpse aus. Hernach läutete es »Zwölf«!, der »Klub« rannte mit den Gläsern auf die Straße hinaus, die Wirtin spendierte Grog, alles gratulierte sich durcheinander, Kurt bekam eine melancholische Anwandlung, und klimperte »Verlassen . . . verlassen . . .«, man riß ihn weg, warf ihm den Kasten vor der Nase zu, hin und wieder blitzte das Grölen und Getobe von draußen herein, Ferdinand schrie: »Wenn ich nur das Abiturium besteh! . . . aus dem Affenzirkus raus! Bloß raus!«, August beugte sein Knie vor der Wirtin und knödelte: »Ihr holden Fraun, ganz im Vertraun . . .«, dann flüsterte er unvermittelt: »Ich muß aber heut wieder aufschreiben lassen!« Kurt ließ grundlos ein Lachen erdröhnen, die Klubisten kamen im Gänsemarsch zurück, die geleerten Gläser in der Hand, und sangen »Freut Eu . . . euch . . . des Lä . . . bens . . .«, der Kaufmann aber und seine Frau schmorten wie befriedigte Zuschauer schmunzelnd im Sofa, als sei das alles nur ihnen zu Ehren und zur Belustigung angestellt, und die Wirtin gluckste applaudierend: »Das sein Ihnen zu tepsige Brieder!« Plötzlich entstand eine Pause, und für einen Moment wurde die jähe Lautlosigkeit so starr, daß sich Cajetan in vager Geniertheit bewußt war, wie er sich seiner eigentlich zu schämen hätte. Er wagte kaum aufzuschauen, und als er es tat, glaubte er in den Mienen von Kurt und Ferdinand Ähnliches zu erblicken. Indem er sich nach August umsah, der sich am Bierhahn zu schaffen machte, stocherte eine spitzige Stimme in die Stille: »Und das mein ich halt doch, so anständig wie wir hier, werden die Wirbels- und Schmaritzky-Töchter nich Silvester feiern!« Cajetan war es, als bohre man ihm im Zahnnerv, aber er hörte sich noch ruhig und sachlich etwas entgegnen, von »gerichtlich festgestellt« und »arme Mädels, die genug unter den Neidhämmeln zu leiden hätten«, da sah er, daß die Alte den Kopf schief legte wie ein Huhn und, wie an den einzelnen Worten würgend, sekundierte sie: »Und das sag ich, wenn das meine Töchter wären, die prügelte ich, daß sie nicht mehr loofen könnten . . . Sich so auftakeln und immer für wer-weeß-was halten . . . Jetzt hat man’s gesehn! . . . Eene Krähe hackt der andern die Augen nich aus! . . . Aber, wenn se schon so rumwetzen, da weess man schon!« Und nun fiel alles über ihn her: er sei verliebt in die, deshalb die Verteidigung, und neulich Abend hätte man sie noch allein nach den Wällen gehn sehn, und in der Kirche seien sie nie, aber im Theater . . . freilich, was die dem Cajetan bieten, könnte ihm in der »Roten Wage« nicht geboten werden . . . Einer fing schon an, sich wohlgefällig schmutzige Details auszumalen . . . Das Krämerehepaar seufzte eingeschnappt, mißbilligend . . . Cajetan war einfach wehrlos, der Überschwang der Gehässigkeit drohte ihn zu ersticken . . . alles wirbelte, neben dem Ofen tauchte die gemeine Fratze Augusts wie eine fleischgewordene Obszönität auf . . . Cajetan ergriff, mit Vehemenz das Bierseidel, das zerkrachte an den Kacheln . . . Tische kippten, Gaskronen sausten, wie geriet der Fetzen Seide zwischen die Zähne? Das Stuhlbein war also auch kein rechter Halt – nicht der Katze auf die Pfoten treten! – Kreischen, Fluchen, Türen zugehauen . . . draußen . . . im Hofe fallen Gegenstände hohl auf die Steine und etwas summt immerzu: »Fuchs du hast die Gans gestohlen – – –« Schließlich hockte Cajetan weinend wie ein Kind am Erdboden, vor den Herren vom »Klub« . . . Kommis aus einer Eisenhandlung, Buchhaltern in Speditionsgeschäften . . . und ließ sich von vier Klageweibern zünftig abkanzeln und heulte immer wieder auf, langgezogen, wie aus dem Keller heraus: »Wenn man doch eben nicht satisfaktionsfähig ist . . . man muß doch standesgemäß – –«

      Im neuen Jahr kam er nicht mehr in die »Rote Wage«. Im März bestand er das Examen, es war ein schöner, lauer Abend, als er im schwarzen Rock sich nach Hause wiegte, dort wurde er wie ein Triumphator empfangen, eine Flasche Wein prangte auf dem Tisch, aber dem kleinen »Abschiedstrunk«, den die Mitprüflinge unten in der Restauration seines Vaters genehmigten, blieb Cajetan fern und war bemüht, in jener Zeit zwischen Examen und Universitätsanfang, sich ganz zurückzuziehen und eigen zu halten.

      III

      Cajetan war das einzige Kind der Schaltermannschen Eheleute. Herr Schaltermann, ein kurzer, korpulenter, sehr jovialer Kegel, war zuerst Schullehrer gewesen, hatte es aber bei irgend einem Gewissenskonflikte vorgezogen, sein Amt zu quittieren, dann hatte er alles mögliche probiert: sich abwechselnd als Reisender, Zigarrenkaufmann, Brauereibuchhalter ohne sonderliches Glück versucht, bis ihn ein Zufall in dieses gutgehende Restaurationsgeschäft führte, das mit seinem anständig vornehmen Betrieb auch wirklich der korrekt lehrerhaft gebliebenen Grundgesinnung des Mannes entsprach. Immer noch malte beispielsweise Herr Schaltermann Zahlen und Buchstaben wie Gestochenes, und jede Menukarte glich einem Musterbeispiel deutscher Schönschreibekunst. Frau Schaltermann war die Tochter einer wohlhabenden, frühverwitweten Bäuerin, besaß, da die zwei Frauen jahrelang allein auf ihrem Gute sogar über rumänische und galizische Erntearbeiter strenges Regiment zu führen wußten, die ganze selbständige Resolutheit einer Zarin und das herzhafte Verständnis für jedes Seineneignen-Weg-Gehen und hatte auch tapfer einst die Hochzeit mit dem Stellungslosen durchgesetzt, der vor der Beschränktheit ihrer Dorfgenossen als der »weggejagte Lehrer« verschrieen war. Ja, es bedeutete recht eigentlich ihr Verdienst, wenn später ihr Mann ausgehalten, mit unverwüstlicher Hoffnungsfreudigkeit immer wieder etwas Neues ergriffen hatte und endlich doch noch glücklich in dieser behaglichen Sinekure gelandet war. In der Hauptsache stand ihre raschentschlossene und unbeirrbare Tatkraft auch hier dem Hauswesen vor, sorgte dafür, daß ihre Küche als die reellste der ganzen Stadt allenthalben gerühmt wurde, und verstand es überdies, die Kellner und Kellnerburschen am Zügel zu halten, indes der Herr Gemahl mit seinem schwerfällig weitausholenden, gründlichen Debattieren, das aber von Freundlichkeit knusprig war wie ein Sonntagsbraten, einen gediegenen Kreis zahlungskräftiger, wohlbewürdeter und trinkfester Stammtischler sich gleichsam in familiärer Vertraulichkeit verbunden hielt. Diesen beiden Leutchen also, nachdem ihnen erst drei, vier Kinder gleich nach der Geburt gestorben waren, wurde endlich in Cajetan eine Art Erfüllung ihrer tiefsten Wünsche geschenkt, und sie hatten nun diese letzte Verheißung zum Besseren mit der ganzen verwöhnenden Liebe der oft Enttäuschten


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