Lore kommt für alles auf- Roman einer Tanzkapelle. Axel Rudolph

Lore kommt für alles auf- Roman einer Tanzkapelle - Axel Rudolph


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mal, Hans, was ist denn heute los mit dir?“

      Silvester Begas kommt, die Hände in den Hosentaschen, in die Garderobe geschlendert und pflanzt sich ärgerlich vor seinem Cellisten auf. „Bist du ganz von Gott verlassen?“

      „Ich haue ab!“ Hans läßt sich in seiner Tätigkeit nicht stören. Er ist dabei, seine Noten zusammenzupacken, Hut und Mantel liegen bereits auf dem Tisch. Der Kapellmeister betrachtet ihn einen Augenblick unwillig.

      „Was soll der Blödsinn?“

      „Ich muß fort.“

      „Fort? Du bist wohl wirklich ...?“

      „Noch nicht, aber wenn ich noch einmal auf die Bühne soll, werd’ ich’s bestimmt! Was kommt jetzt? Mozart! Spiel du mal Mozart, wenn dir jeden Augenblick eine Revolverkugel in den Ohren knallt!!“

      „Weinbrand oder gar Hennessy?“

      „Nee, nee, Begas, ich hab’ nichts getrunken!“ Graue Verzweiflung steht plötzlich in Hans Böges Gesicht. „Da, lies mal bitte den Wisch!“

      Silvester Begas überfliegt den Brief, den Hans aus seiner Brusttasche hervorgezerrt hat, und zuckt die Achseln. „Geschieht dir ganz recht, mein Junge! Brock dir nicht so viele Suppen ein mit den Frauen, dann brauchst du sie auch nicht auszufressen!“

      „Bin ich denn schuld daran? Du weißt doch genau, wie so was kommt! In Brüssel ... voriges Jahr ... na, schön, ich habe ein bißchen mit der temperamentvollen Dame geflirtet. Mußte ich ja! Sie strahlte mich doch den ganzen Abend an und — Liebenswürdigkeit gegen die Gäste steht doch in unserem Kontrakt, nicht? Na also! Wir haben dann einen sehr netten Tag zusammen verlebt. Ich hab’ mir, weiß Gott, nichts dabei gedacht. Aber sie! Leider! Sie wollt’ mich vom Fleck weg heiraten.“

      „Hat sie Geld?“

      „Mehr, als erlaubt. Aber, zum Geier, ich kann doch nicht ’ne halbe Millionärin heiraten! Meinst du, die wäre damit einverstanden, daß ich weiter mit dir durch die Welt umherkutschierte?“

      Die Anhänglichkeit Hans Böges an die Kapelle versöhnte Silvester Begas. Lächelnd zeigte er seine weißen Zähne. „Na, und nun?“

      „Mensch, verstehst du denn nicht?“ Hans Böge packte den langen Silvester an beiden Frackaufschlägen und schüttelt ihn. „Sie ist da! Sie sitzt im Parkett und glupscht mich an! Wie ein Basilisk! Am Ende macht sie wirklich Ernst mit ihrer blöden Drohung! Soll ich mich von ihr niederknallen lassen? Danke für Obst und Südfrüchte! Ich muß weg! Sofort! Ich witsche durch die Hintertür und — wir treffen uns nachher am Lehrter Bahnhof!“

      Silvester Begas schiebt seine Hände wieder in die Hosentaschen. „Mehr Zivilcourage, mein Junge! Wir haben noch drei Nummern vor uns. Vollkommen ausgeschlossen, daß du vorher abschwirrst. Das weißt du doch selbst.“

      „Es muß gehen, Begas!“

      „Ohne Cello? Du bist verrückt. Willst du mir das Konzert umschmeißen?“

      „Ich? Madame Kerkh schmeißt dir’s um! Die hat ’nen Dolch im Gewande, — nee, ’ne Pistole in der Handtasche, wollt’ ich sagen. Geh runter in den Saal und sieh dir die Maske an! Furie, sag’ ich dir!“ Aufgeregt rüttelt Hans Böge wieder seinen Kapellmeister. „Begas, wenn du mich nicht fortläßt, prophezeie ich dir das Gräßlichste! Attentat, Mord, Störung des ganzen Konzerts, Skandal ...“

      „Was haddu denn, Hänschen?“ klingt eine helle Mädehenstimme von der Tür her. Hans Böge wendet sich um und fährt sich wild mit beiden Händen durch das dichte Haar.

      „Angst, Lore! Ich will nicht sterben!“

      „Da hast du recht. Wer verlangt denn das von dir?“

      „Hier, der Begas, der Sklavenvogt! Ich bin eine erschossene Leiche, wenn er mich nicht sofort gehen läßt!“

      „Das mit dem Erschießen ist natürlich Unsinn,“ sagt Silvester Begas ruhig, nachdem er mit ein paar kurzen Worten das Mädchen in die Situation eingeweiht hat. „Hans hat nur Angst vor den Folgen seines Leichtsinns. Er kneift vor der Szene, die ihm die schöne Verehrerin nachher machen wird. Ist seine Sache. Er war vorhin schon sträflich unaufmerksam. Wenn das so weitergeht, vermasselt er uns tatsächlich noch das Konzert. Weißt du einen Rat, Lore?“

      Zwei Augenpaare blicken das Mädchen erwartungsvoll an. Lore soll helfen. Das ist immer so. Wenn irgendeiner von der Kapelle Begas nicht aus noch ein weiß, dann muß Lore Glant, Lore, die lustige zwanzigjährige Schwester des Akkordionspielers Harry Glant, einspringen.

      Harry Glant ist vielleicht der Ruhigste und Unscheinbarste der ganzen Kapelle, ein zweiunddreißigjähriger, stiller und solider Mensch, der nur für seine kleine, etwas leidende Frau lebt. Silvester Begas hat sich lange bedacht, ihn in die Kapelle aufzunehmen, denn Harry Glant hat so gar nichts von einem Künstler an sich. Er ist ein tüchtiger Virtuose auf seinem Instrument, aber es fehlt ihm das Letzte, das alle anderen der Kapelle mehr oder weniger haben: der göttliche Funke, das Ingenium der Kunst. Harry Glant weiß das wohl, aber er hat in den drei Jahren, die er nun schon bei Silvester Begas ist, in seiner stillen, ernsten Art an sich gearbeitet und sich so gründlich verbessert, daß Begas nichts zu bereuen hat. Außerdem aber hat Glant der Kapelle noch etwas mitgebracht, das einzig ist. Und das ist Lore.

      „Stage mother“ nennt der Schlagzeugmann Beppo von Pollinger, der stolz auf seine gute Schulbildung ist, die kleine Lore. Es ist etwas daran, denn wenn Lore Glant auch erst zwanzig Lenze zählt und ein junges, frisches Mädchen ist, ihren „Jungs“ gegenüber hat sie etwas Mütterliches. Die „Jungs“, das sind alle Mitglieder der Kapelle, Silvester Begas einbegriffen. Lore Glant hat in diesen drei Jahren ihren Bruder begleitet, wohin immer das Engagement die Kapelle verschlug. Sie hat ihre Jungs bemuttert und umhegt, ist Vertraute, Schwester, Beraterin, Wirtschaftsführerin gewesen, ohne irgend jemand zu bevorzugen oder gar zu vernachlässigen. Sie hat die Gabe, ebenso ernst mit einem der „Jungs“ das in Unordnung geratene Budget zu beraten, wie nach vollbrachtem Tagewerk in einer Kneipe zu sitzen, fröhlich zu sein mit den Fröhlichen und die erregten Nerven zur Ruhe zu bringen. Lore Glant ist ebenso weit entfernt vom Muckertum und von jeder Prüderie wie von kokettem Wesen. Vor allem aber hat sie Herz und Mund auf dem rechten Fleck, findet immer und in allen Lagen den rechten Ton und das richtige Wort. Wer von der Kapelle Begas etwas auf dem Herzen hat, sei es lustig oder traurig, der geht zu Lore Glant.

      „Du hast heute miserabel gespielt, Hans,“ sagt Lore, nachdem sie die Worte Silvesters ein wenig in ihrem hellen Köpfchen hin und her gewälzt hat. Hans Böge wühlt heftig in seinen Noten.

      „Davon verstehst du nichts, Lore!“

      „Von eurer Musik nichts,“ lacht das Mädchen. „Aber das macht, bitte, fast gar nichts. Ich habe gesehen, wie du dauernd mit den Augen geblinkert hast. Dabei kann keiner richtig spielen.“

      Silvester Begas sieht hastig auf seine Uhr. „Sage uns lieber jetzt, ob du einen Rat weißt, Lore!“

      „Natürlich helfe ich euch. Hans Böge hat’s zwar nicht verdient, aber — damit das Konzert nicht darunter leidet. Wo sitzt die Dame?“

      „Zweite Parkettreihe,“ sagt Hans, hoffnungsfroh den Kopf hebend. „Sie heißt Madame Kerkh, sehr blond, groß, schmal, etwa — hm — nach ihrer eigenen Angabe, fünfunddreißig Jahre alt.“

      „Die mit dem schwarz-weißen Komplet?“

      „Ja.“

      „Dann weiß ich Bescheid. Sie ist sehr geschmackvoll angezogen. Man kann dir gratulieren, Hans.“

      „Geh zum ...“

      „Zur — heißt es, Hans. Zur Madame Kerkh gehe ich.“

      Silvester Begas nimmt die Hände aus den Taschen und knackt mit den Gelenken. „Was willst du machen. Lore?“

      „Jedenfalls dafür sorgen, daß Madame den Saal verläßt. Wie, das wird sich finden. Weiß ich selbst noch nicht. Aber es wird sich schon geben.“

      Die


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