Lore kommt für alles auf- Roman einer Tanzkapelle. Axel Rudolph

Lore kommt für alles auf- Roman einer Tanzkapelle - Axel Rudolph


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bar sind das Höchste der Gefühle.“

      Cäsar Testing hat trotz seines heroischen Vornamens ein schüchternes, kindliches Gemüt. Manchmal ist er sogar etwas zu naiv, eine liebwerte Eigenschaft, die sein Kamerad Max Schamek, der Berliner, lieblos mit „doof“ bezeichnet. Das heißt, nicht in der Musik, da beileibe nicht. Aber gegenüber den praktischen Anforderungen des Lebens ist Cäsar Testing, wie gesagt, manchmal etwas hilflos. Und von den Ausführungsbestimmungen der Devisengesetze hat er nun schon gar keinen Schimmer. Er fummelt in seiner Westentasche herum und macht plötzlich ein so klägliches Gesicht, daß die Kameraden aufmerksam werden.

      „Warum siehst du denn plötzlich aus wie eine Katze, wenn’s donnert, Cäsario?“

      „Weil ... ach Gott, ich hab’ gar nicht mehr an die zehn Mark gedacht. Ich hab’ mir doch auf dem Lehrter Bahnhof ein paar belegte Brötchen und Schokolade gekauft, und nun ...“ Er fördert einige Silberstücke aus seiner Tasche zutage und hält sie den Kameraden entsetzt hin ... „loh hab’ nur noch acht Mark!“

      Eine Sekunde stutzen die Musiker. Ist das ein Witz? Oder glaubt er wirklich ...?

      „Tja, das ist eine böse Sache, mein Lieber,“ sagt Beppo von Pollinger dann todernst. „Wie willst du da über die Grenze kommen?“

      „Ihr müßt mir helfen!“ Cäsar sieht aus seinen bangen wasserblauen Augen die Kameraden der Reihe nach flehend an. „Einer von euch muß mir die fehlenden zwo Mark leihen.“

      Die Musiker haben plötzlich alle ebenso ernste wie teilnehmende Gesichter. Sie suchen in ihren Taschen und schütteln bedauernd die Köpfe. „Ausgeschlossen, Cäsar. Wenn wir dir was pumpen, dann haben wir ja zu wenig. Es hat doch keiner mehr als die zehn Mark bei sich!“

      „Um Gottes willen, was mach’ ich denn da?“

      „Du wirst an den Grenzstation zurückbleiben müssen!“ prophezeit Albrecht Erlenkamp mit Grabesstimme.

      „Man kann sich notfalls an der Grenze mit der Devisenstelle in Verbindung setzen,“ tröstet Max Schamek.

      „In besonders dringenden Fällen wende man sich direkt an den Reichsfinanzminister,“ fällt Silvester Begas ein, nur mühsam das Lachen verbeißend.

      „Wie wär’s, wenn du dich verstecktest?“ schlägt Hans Böge vor.

      Cäsar Testing ist unglücklich. Er kennt seinen Mozart, seine alten und neuen Meister aus dem Effeff, aber von dieser Sache versteht er wirklich nichts. Und er hat sich doch noch vor ein paar Tagen so vorsorglich erkundigt. Zehn Mark muß man an der Grenze vorzeigen, haben die Kameraden gesagt. Cäsar Testing hat das ganz in der Ordnung gefunden. In seinem Hirn spukt irgend etwas, das er mal gelesen hat, eine unbestimmte Erinnerung an die Geschichte eines Amerikafahrers, der bei der Einreise eine bestimmte Summe in Dollar vorzeigen mußte.

      „Ich ... ich werde Lore Glant fragen!“

      „Lore schläft noch.“ Die Kameraden halten den Ratlosen, der ins Nebenabteil hasten will, am Rockschoß fest. „Und überhaupt, diesmal kann auch Lore dir nicht helfen. Junge, Junge, was wird das geben!“

      Die Bremsen kreischen, langsam gleitet der Zug in die Grenzstation. Deutsche Zollbeamte sind plötzlich da, gehen von Abteil zu Abteil. Ein Polizeibeamter prüft kurz die Pässe.

      „Entschuldigen Sie, bitte, ich habe nur acht Mark!“ Cäsar Testing hält dem Beamten treuherzig die Silberstücke entgegen. „Ich hatte ganz vergessen ... bitte, ich hatte Hunger und ... da hab’ ich mir etwas gekauft ...“

      „Nanu?“ Der Beamte blickt bald die Geldstücke, bald den aufgeregten jungen Mann verständnislos an. „Was wollen Sie denn ...?“

      Der Blick des Kontrollierenden geht unwillkürlich von dem angstvollen Antlitz Cäsar Testings über das Abteil, trifft die hinter ihm stehenden grinsenden Gesichter, das lustige Blinzeln der Augen. Plötzlich beginnt auch der ernste Beamte zu schmunzeln.

      „Hm. Sie haben also nur acht Mark bei sich?“

      „Jawohl. Ich hatte zehn, aber wie gesagt ...“

      „N-n-a!“ sagt der Beamte ernst. „Dann wollen wir Sie mal ausnahmsweise mit den acht Märkern passieren lassen. Morjen!“

      Hinter ihm ist das Abteil ein einziges, brüllendes Gelächter.

      *

      Jenseits der Grenze, auf der dänischen Zollstation, steigt ein einzelner Herr in den Zug, der mit sicherem Blick sofort auf das Abteil der Kapelle Begas zusteuert.

      „Da sind Sie ja. Alles in Ordnung, meine Herren?“

      „Was soll denn nicht in Ordnung sein?“ August Erlenkamp wirft dem Herrn einen düsteren Blick zu. Er kann den gönnerhaften, jovialen Ton des Managers nun mal nicht leiden. „Hoffentlich haben Sie gute Quartiere für uns in dem Kaff.“

      „Seien Sie froh, wenn Sie immer in einem solchen ‚Kaff‘ spielen können.“ Herr Mallik zupft gekränkt die Bügelfalten seiner tadellosen hellgrauen Sommerhosen glatt. „Sie scheinen über Fanö ja eine nette Vorstellung zu haben, mein Bester.“

      „Ich habe vor zwei Jahren in Westerland gespielt.“

      „Was ist das schon!“ Herr Mallik kehrt dem ärgerlichen Klaviervirtuosen den Rücken und wechselt einen Händedruck mit Silvester Begas, seine Worte fortan nur noch an den Kapellmeister richtend. „Das Seebad Fanö kann sich in jeder Hinsicht mit Westerland messen. Ich hoffe, Sie schätzen es, daß es meinen Bemühungen gelungen ist, Sie für diesen Monat dort anzubringen. Der Kontrakt ...“

      „Nun, der Kontrakt ist so von der Mittelsorte, nicht wahr?“

      „Man muß sich nach der Decke strecken, lieber Begas.“

      Herr Mallik neigt würdevoll ein wenig den Kopf. „Die dänische Valuta steht nicht sonderlich hoch. Die Gage ist für hiesige Verhältnisse ausgezeichnet. Sie wohnen teils im Kurhotel, teils in sehr schönen Dependancen. Die Preise sind ...“

      „Hoffentlich haben Sie auch ein gutes Quartier für Fräulein Glant?“

      „Ah, Fräulein Glant ist mitgekommen?“ Der Manager sieht sich suchend um und macht kein allzu freundliches Gesicht. Er kann es nicht recht leiden, daß diese junge Dame immer und überall dabei sein muß. Ehrlich gesagt, es wäre ihm sogar bedeutend lieber, wenn sie endlich daheim bliebe. Das Mädel hat einen so unverschämt klaren Blick und eine unheimliche Sicherheit in allen Geldangelegenheiten. ‚Keine Stunde möchte ich sie in meinem Büro haben,‘ denkt Herr Mallik und strömt im nächsten Augenblick über vor Herzlichkeit, denn Lore Glant ist aus dem Abteil auf den Gang getreten. „Küß die Hand, meine Gnädigste! Entzückt, daß Sie uns hier in Dänemark die Ehre geben. Wirklichkeit, sehr entzückt! War allerdings nicht vorauszusehen. Ich muß gestehen, daß ich bei der Bestellung der Zimmer nicht an Sie ... Nun, es wird sich machen lassen, wird sich trotzdem machen lassen.“

      „Haben Sie keine Sorge, Herr Mallik,“ sagt Lore kühl, ihre Finger aus der fleischigen Hand des Managers lösend. „Ich such’ mir schon selbst etwas. Braucht ja nicht gerade das Kurhotel zu sein.“

      Herr Mallik lacht fett und rasselnd. „Geht alles in Ordnung, meine Gnädigste. Überlassen Sie die Dispositionen nur mir! Mit mir ist noch niemand schlecht gefahren, was, lieber Begas?“ Zustimmung heischend, suchen seine unter dicken Fettpolstern fast versteckten Augen den Kapellmeister. Dann wendet er sich mit Generalstabsmiene an die Musiker.

      „Wir falhren bis Esbjerg. Von dort mit dem Fährboot zur Insel Fanö ...“

      „Wir hätten den Weg auch ohne Ihre freundliche Belehrung gefunden,“ knurrt Erlenkamp. Herr Mallik zuckt, gegen Begas gewendet, vornehm die Achseln. „Ich hielt es für meine Pflicht, Ihnen entgegenzufahren und Sie zu betreuen. Meines Wissens spricht niemand von Ihrer Kapelle dänisch?“

      „Kaum, Herr Mallik. Ich bin Ihnen natürlich dankbar für Ihre Bemühung.“

      Herr Mallik nickt befriedigt und greift plötzlich mit schadenfrohem


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