Herren vom Fjord. Karl Friedrich Kurz

Herren vom Fjord - Karl Friedrich Kurz


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jenem Herbstabend war Herr Eivind fortgereist. Herr Eivind war mit seinem großen Hausboot und vier Mann in die Stadt gesegelt. Herr Eivind, ein Offizier mit Säbel und Epauletten, ein stolzer Mann mit rotem Bart und breiter Brust und einer Reitpeitsche mit schwerem Silberknopf. Er maß sechs und einen halben Fuß ...

      Herr Eivind brachte ein schillerndes junges Weib in die Stadt zurück. Signe. Man sagt, Herr Eivind habe im Sommer das Weib Signe zur Unterhaltung seiner Frau nach Lisät eingeladen. Aber bald kam es allerdings anders.

      Ja, dann kam es so, daß Herr Eivind sich selber sehr viel mit Signe unterhielt, denn Signe war groß und üppig, mit feuchten Augen und sündigem Tau auf den Lippen; und ihre Stimme hatte einen tiefen, schwingenden Harfenton. Signe war eine schillernde Schönheit, ruhig und sicher in ihren Bewegungen und mit Sinnenlust geladen. Herr Eivind konnte nicht widerstehen, er mußte unterliegen.

      Weil Herr Eivind in die Stadt gesegelt war, blieb Frau Dagmar in jenen Tagen allein im großen alten Haus von Lisät zurück. Sie litt keine Not. Nein, sie litt durchaus keinen Mangel, und wenn es gar zu still wurde in ihren Stuben, spielte sie auf ihrem Flügel und sang und dachte immerfort an das kleine Wesen, das in ihrem Leibe entstehen sollte. War das denn nicht schon sehr viel? Und hatte sie im übrigen nicht Oswald, den treuen Knecht, der vor ihrer Tür wachte und hager und mager wurde vor Liebe und Anbetung?

      Mochte das Volk gar viel reden über diese Sache — es war durchaus keine Sünde zwischen Frau Dagmar und ihrem Knechte Oswald. Nicht die leiseste Spur von Fleischeslust und irdischen Begehrlichkeiten. Es blieb alles in allem nur eine kindliche Seligkeit.

      Die Leute sagten, Oswald sei zu jener Zeit völlig verrückt gewesen, ein unmöglicher Schwärmer und ein toller Fanatiker. Wie hätte er sonst Aagot, die Blonde und Stille und Demütige, so kurzerhand und ganz ohne Grund von sich stoßen können, nur um vor der Tür seiner jungen Herrin zu wachen und sich nach Herzenslust zu quälen und schmal und blaß zu werden.

      Gefiel denn Frau Dagmar dieses zarte und dabei doch so heiße Spiel? Natürlich gefiel es ihr. Wozu wäre denn sonst eine schöne Frau auf der Welt? Steht sie denn nicht da gleich einer Blume? Der Behutsame und Feine pflückt die Blume nicht; er erfreut sich ihrer mit den Augen und nicht mit den Händen. Das, was der Knecht Oswald tat, wäre dann wirklich von Grund aus edel gewesen. Gott weiß es.

      Es wurde so sehr still in Frau Dagmars Stube, nachdem Herr Eivind fortgesegelt war. Und darum trat sie an jenem Herbstabend auf die hohe Steintreppe hinaus und rief: „Lieber Oswald, schicke sie nicht fort, die zwei Zigeuner! Sei so gut, Oswald“, bat sie. „Denke doch daran, daß es bald Nacht wird. Und die Nacht ist dunkel und kalt, Oswald, lieber ...“

      Und das war in der Tat eine schöne Sprache von einer hohen Dame, die doch nur den Finger hätte heben und befehlen können. Aber der stille ernste Oswald hatte wohl auch ihr Herz gewonnen auf irgendeine Weise. Daher wandte sie sich mit dieser zarten Bitte an ihren Knecht.

      So blieben denn die beiden Zigeuner auf Lisät. Halstein riß seinen großen, sonderbaren Hut vom Kopfe, schwang ihn hin und her und verbeugte sich tief und begann viele spaßige Worte zu reden. Und immerzu sagte er gnädige Frau. Er brachte das Gesinde in Verlegenheit und Staunen, denn so unmäßige Höflichkeit hatte man in dieser Gegend nie vernommen.

      Gesinde fand sich damals zum sündigen Überflusse auf Lisät. Im Winter gab es natürlich fast gar keine Arbeit; da konnten die Leute bei jeder Gelegenheit zusammenlaufen und schwatzen.

      Halstein und sein Kamerad Jan wohnten den ganzen Winter über auf dem Herrenhof. Sie spielten und sangen zuweilen in Frau Dagmars Stube. Dieser Tater-Halstein riß, ähnlich wie ein schwimmender Vogel das stille Wasser zerpflügt, lange Furchen in das Leben des Fjords. Er spielte auf seiner verhexten Fiedel und zuckte mit seinen schwarzen starken Brauen. Wenn er spielte, hüpften die Burschen und stießen wilde Jauchzer aus; und die Mädchen hüpften ebenfalls — aber sie weinten dazu. Wenn Halstein mit seinen Brauen zuckte, verstummten sowohl Burschen wie Mädchen, denn alle waren in seinem Bann. Ja, Halstein nickte nur und winkte den Mädchen. Er bezwang alle.

      Die blonde, sanfte Aagot war, wie erzählt wird, die erste. Sie saß auf der langen Bank in der Gesindestube. Sie saß da mit ihrem blutenden Herzen und mit ihrer leeren Seele und mit ihrer jungen, verschmähten Liebe; und so war sie zum Verzweifeln fallbereit. Halstein trampelte über den Stubenboden daher, ohne daß er dabei sein Spiel unterbrach; beugte sich nur ein klein wenig zu ihr nieder und nannte Ort und Stunde. Das genügte schon. Ja, mit der scheuen Aagot, mit Oswalds Liebster, begann es. Der Schimmer von Weh gab ihrem Gesicht und ihrem ganzen Wesen einen besonderen Reiz, eine schmerzvolle Reife. Der verdammte Zigeuner verstand sich darauf.

      „Er geht mit Aagot hinter die große Scheune, du, Oswald!“ flüsterte spät am Abend ein Knecht und klopfte an Oswalds Fenster.

      „Geht er mit Aagot?“ fragt Oswald und bleibt liegen und starrt in den allerdunkelsten Winkel seiner Kammer. Und nichts regt sich in seinem Herzen. Gar nichts. Das Blatt, auf dem der Name Aagot einmal geschrieben stand, war aus seinem Buch herausgerissen. „Glück auf die Reise!“ murmelte Oswald.

      Damit meinte Oswald, das, was zu dieser Stunde mit Aagot geschah, habe keine Bedeutung. In seinem Herzen war nur noch Frau Dagmar. Sonst war rein nichts mehr darin.

      Rasch nahmen die Ereignisse ihren Lauf. Halstein besiegte unermüdlich die Frauen. Er hatte eine märchenhafte Macht über sie. Keine widerstand ihm. Es ward eine förmliche Krankheit, eine Seuche, die sich schnell verbreitete. Der Zigeuner ging über diese Mädchenwiese vom Lisätstrande und pflückte Blumen; und wenn er eine gepflückt hatte, warf er sie weg und ging weiter. Es wurde eine gottlose Tollheit.

      Im Winter kehrte Herr Eivind mit seinem Hausboot zurück. Da konnte er am Herrentische berichten, daß das schillernde Weib Signe sich in der Stadt verlobt hatte. „Sie hat sich verkauft und fortgegeben“, sagte Herr Eivind finster.

      Er stieß, als er es sagte, mit dem Messer Löcher ins weiße Tischtuch und lachte. Jawohl, er war ein stolzer und starker Mann. „Und sie wird also nicht wieder nach Lisät kommen“, sagte er. „Dieser Vogel ist fortgeflogen.“

      Fand er das nun wirklich so lustig? Aber warum zitterte denn dabei sein großer roter Bart? Zuckte ihm vielleicht das Kinn darunter? Und das nur deshalb, weil er so sehr lachen und spotten mußte über Signe, die sich verschacherte? Wie soll man dieses auslegen? Aber Herr Eivind betrank sich fürchterlich und begann einen schandbaren Lebenswandel zu führen. Er vertierte von Tag zu Tag mehr. In einer Nacht schlug er dem Knechte Oswald mit seiner Reitpeitsche ein Auge aus. Er zielte mit dem schweren Silberknopf genau auf Oswalds Auge, und er zielte gut und schlug es aus.

      Oswald war von da an einäugig — sonst blieb es beim alten auf Lisät. Man redete gar nicht von dem, was sich zwischen Herr und Knecht zugetragen. Oswald ging ein paar Wochen lang mit einer Stirnbinde umher. Frau Dagmar weinte. Ja, in einer Nacht soll sie sogar ihre weiße Stirn auf Oswalds Knechtenhand gelegt haben ... Ach, es war ein sonderbarer Zustand auf Lisät!

      Und Herr Eivind betrank sich immer weiter. Er lebte ganz für sich allein in schwärzester Sünde und Erniedrigung. Er lebte in den Wäldern des Helleberges. Mit seinem großen Gewehr zog er aus; hin und wieder fiel ein Schuß. Aber Herr Eivind brachte niemals Wild nach Hause. Er schoß nur. Wahrscheinlich tötete er auch — aus purer Lust und ohne Zweck und Nutzen. Herr Eivind konnte alles tun, was er wollte, so groß und mächtig, wie er war; er brauchte niemand Rechenschaft geben.

      Es hieß damals auf Lisät, Herr Eivind bereue alles, was er getan; vor allem bereue er sehr, daß er seine Frau Dagmar kränkte. Das mag nun ebensogut wahr sein oder nicht wahr sein. Es ist sehr wohl möglich — Herr Eivind konnte eben seine Reue nicht auf andere und feinere Art bezeigen, als daß er in den Wald ging und sein Gewehr abschoß und nach Hause kam, sich auf sein Bett legte und betrank.

      Vielleicht hätte Frau Dagmar ihm helfen können, denn er liebte sie noch immer; die zarte Frau Dagmar hätte ganz gewiß dieses schreckliche Feuer in dem mächtigen Manne löschen und ihn mit ihren guten reinen Kinderhänden führen und wieder auf einen besseren Weg bringen können. Aber sie wollte nicht. Sie konnte wohl auch nicht. Sie hatte keinen starken Sinn und keinen festen Willen; sie hatte


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