Herren vom Fjord. Karl Friedrich Kurz
Und da mußte er wohl auf des Königs Befehl dieses Weib nehmen. Jetzt darf sie sich natürlich nicht mehr von ihm trennen ...“
Ach, Herrn Bardolfs Ansehen stieg und stieg unablässig. In der Tat, dieser Mann war in allen Dingen grenzenlos. Nun baute er zu den drei großen Häusern am Eldestrand auch noch ein kleineres für seine indische Prinzessin. Hierauf begann er abermals zu regieren.
Dieses alles ging nun so gut und so lange, wie es gehen durfte und gehen konnte; und es wäre wahrscheinlich noch lange Zeit weitergegangen. Aber ein indischer Dolch in Herrn Bardolfs Brust setzte der ganzen Herrlichkeit ein jähes Ende. Und da lag also nun dieser Herr im Haus der Prinzessin. Ja, er lag sogar in der Prinzessin seidenem Bett, hinter den schweren Vorhängen. Alles war auf einmal aus und vorbei.
Es muß eine wunderbar geübte Hand gewesen sein, die diesen Dolchstoß führte; mitten ins Herz ging er. Ein feiner, schneller Schnitt. Herr Bardolf lächelte noch mit wächsernen Lippen. Sein Gesicht hatte wohl einen kleinen grünlichen Schimmer; aber es sah im übrigen äußerst vergnügt aus. Alles in allem war Herr Bardolf dennoch ein Liebling des Schicksals, ein Glückskind mit wildem, schäumendem Geblüte und ein Auserkorener. Er führte seinen besonderen Lebenswandel; er brachte aus unbekannter Ferne ein Weib mit dunkelglühenden Leidenschaften mit; das fremde Weib war gütig, es sorgte dafür, daß Herrn Bardolfs Dasein nicht auf gewöhnliche Weise endete, daß sein Leben nicht geschändet wurde von einem erbärmlichen zitterigen Alter. Darum lächelte Herr Bardolf wohl so vergnügt mit seinen graugrünen Lippen.
Man suchte sogleich nach der heißen Prinzessin. Man fand im Fjord ein buntes Seidentuch mit langen Fransen. Dann suchte man nicht weiter. Nein, wozu auch? Diese Geschichte war zu Ende.
Es war gewiß eine brennende und dampfende Liebesgeschichte, mit viel Blutrausch und unheimlichen Feuerausbrüchen und unerhörten Sinnenfreuden. Daraus mußte von selber ein jähes Ende entstehen.
Wir, die wir nun heute am Wege vorübergehen und das kleine weiße Haus so still hinter seinem schiefen, vermoosten Steinwall liegen sehen, können uns mancherlei Bilder und Vermutungen machen, und wir können ein wenig nachdenken über alle die verworrenen Kreise, die einige Menschen durchs Leben ziehen ...
Das Haus, in dem einmal eine indische Prinzessin wohnte, ist im Laufe der Zeit verwittert und verfallen. Der Wind pfeift heute durch die leeren Fensterlöcher; und über die Fußböden jagen häßliche Ratten mit langen, nackten, kalten Schwänzen. Ja, mein Lieber, der Sinn des Lebens bleibt, trotz aller menschlichen Erkenntnis, so ziemlich dunkel ...
Des mächtigen Herrn Bardolfs Geschichte war nach dem nächtlichen Dolchstoß so vollständig aus, daß sogar, noch bevor er in der Erde kalt geworden, sich Leute mit düsteren Mienen und gefährlichen Papieren meldeten. Da war es auf einmal auch aus und amen mit der Gnade des Königs. Herrn Bardolfs Häuser wurden verkauft, versteigert an wildfremde Leute, die weder Gold auf den Schultern, noch Silber auf den Schuhen, noch einen zierlichen, geraden Degen an der linken Seite trugen.
Fremde Leute kauften die Häuser und das Land darum her und trieben Viehzucht und ein wenig Ackerbau. Sie verkauften beides, Land und Häuser wieder, und andere kamen. Nichts entwickelte sich daraus, als elende, kümmerliche Lebensläufe, ohne Abenteuer, ohne fremdländische gefährliche Düfte, ohne irgendwelche Erstaunlichkeiten. Keinem einzigen der neuen Besitzer fiel es mehr ein, auf einem blanken Rappen durch alle die Felsenberge zu reiten.
Ach, es wurde mit den Jahren hier das meiste Geschehen so farblos und alltäglich ... Wir finden Herrn Bardolfs Wege kaum noch in den Wäldern. Vielleicht finden wir noch hier eine verfallene Stützmauer oder dort eine kleine Brücke aus groben Schieferplatten. Das ist alles, Busch und Baum wuchs empor und verdeckte es mit Blättern und Zweigen; der Wald ist wieder über alle fremde Unnatur hergefallen. Herrn Bardolfs Spuren sind schon fast verwischt. Herrn Bardolfs Geschichte, die Geschichte eines übermenschlich glänzenden Lebens, wird noch ein Weilchen in der Erinnerung der Leute aufbewahrt, in den Köpfen dieser knorrigen, trotzigen Bauern, deren Vorfahren Träle gewesen.
Es fällt heute keinem aus dem Volke mehr ein, mit der Mütze in der Hand und mit gebeugtem Nacken zur Seite zu treten, wenn ein Herr naht. Vielleicht gibt es gar keine richtigen Herren mehr in dieser Gegend.
Die Leute meinen heute: „Herr Bardolf? — Jawohl!“ und lachen dazu auf eine breite, plumpe und allzu vertrauliche Art. Und dann deuten sie mit dem dicken Daumen über das schwarze Wasser des Fjords hinweg, nicken und sagen: „Dort drüben — siehst du das große weiße Gebäude? Ja, das ist also Trygves neue Scheune. Das Haus von Lisät kannst du von hier aus nicht sehen, denn es liegt hinter jenen niedrigen Bergrücken in einem kleinen Tal. Ha — ja! Es ist ein schöner Hof, ein großer, wohlbestellter Hof. Der ganze Helleberg mit allen den guten Wäldern gehört dazu. Bei Gott, es ist wahrlich noch immer viel Reichtum auf Lisät. Daran fehlt es nicht. Aber Trygve ist nur Trygve — ungefähr ein Bauer wie die anderen, ein Mensch wie viele Menschen ... Sein Vater war Herr Eivind. Sein Großvater war Herr Bardolf ...“
Der große Herrenhof von Lisät verblieb beim Tode des Herrn Bardolf seiner Gattin. Man konnte ihn ihr nicht nehmen; es fand sich irgendein altes Dokument, und das Gesetz schüzte sie, obgleich noch viele Schulden ungetilgt bleiben mußten.
Es begann nach Herrn Bardolf eine neue Zeit. Lange, stille Jahre kamen, während denen der Sohn Eivind heranwuchs. Und als dieser Sohn und Erbe ein Mann geworden, seht, da erwachte abermals das Herrscherblut am Strande von Lisät. Das alte, gewaltige Blut wogte auf und sprühte und glühte aufs neue.
Vieles wiederholte sich. Herr Eivind zog fort und wurde Offizier, und er wurde in seiner Art kühn und stolz und vom Volke geachtet. Vor allem wurde er gefürchtet.
Herr Eivind brachte also die feine, stille Frau Dagmar nach Lisät und ließ eine Straße bis auf die Höhen des Helleberges bauen und nannte sie Dagmarstraße. Er dämmte mit einer riesigen Mauer ein Tal ab, so daß dahinter ein See entstand, ein richtiger Bergsee, mit waldigen Ufern und Felsenklippen und Wasserrosen und allem. Herr Eivind nannte den See Dagmarsee. Denn er liebte in jenen Tagen sein junges Weib über alle Maßen. Er liebte Frau Dagmar wohl immer. Es kam dann nur eine Zeit, da die große sündige Signe erschien und ihn betörte. Signe kam und brachte Verwirrung nach Lisät ...
Jetzt ruhen Frau Dagmar und Herr Eivind unter zwei mächtigen Steinen am Ufer ihres Bergsees. Sie lebten abseits von den Menschen. Darum müssen auch ihre Gräber abseits von den Menschen liegen.
Und wie Herrn Bardolfs unnütze Wege, so verwittert jetzt auch die Dagmarstraße, denn es ist eine wahrhaft frevlerische Straße, die man nur mit Sklavenarbeit und aus eitler Verschwendung erbauen konnte. Die zierlichen Landungsstege und die Lusthäuschen sind schon im Wasser und in der Erde versunken. Lieber Gott, wo ist sie nur geblieben, all die frühere Herrlichkeit?
Im großen Haus am Eldestrand zum Beispiel wohnt jetzt ein Engländer, ein richtiger Mister mit Selbstachtung, mit starkem Kinn und großen Geldmitteln. Mister Blackwood.
Nein, nein, es findet sich kaum noch eine Spur vom alten Glanze hier. Zwar auch auf diesem Englischmann haftet ein Schimmer von Unbegreiflichkeit und Märchen. Auch er kam vor einem kleinen Menschenalter aus unbekannter Ferne; er kam mit einer vornehmen Frau, zahlte Haus und Land mit schweren Goldpfunden und richtete alle Zimmer mit fürstlicher Pracht ein. Oh, er war ganz gewiß ein ungeheuer reicher Mann.
Aber wer war er? Und warum kam er aus der weiten Welt in diesen stillen Fjordwinkel und schlug sich hier nieder? So fragte das Volk. Denn das Volk konnte ja nicht wissen, daß dieser Mister nur zufällig durch die Gegend zog und den Lachselv entdeckte. Das Volk wußte, daß der Foßbach gar kein richtiger Lachselv war. Aber Mister Blackwood war so unermeßlich reich, daß er auch in diesem Punkte seinen Willen behalten wollte. Er stand am Bach und fischte. Er ließ eine teure Lachstreppe bauen. Er ließ viele mächtige Steine sprengen. Aber es wurde trotzdem kein Lachselv. Dennoch, Mister Blackwood stand am Ufer und fischte weiter und behielt seinen Willen.
Wer war nun dieser seltsame Fremde? Mister Blackwood — und punktum. Man hat nie etwas über seine Herkunft erfahren.
Einige meinten, er sei ein realer Lord, und er habe diese vornehme Frau aus Liebe entführt.
Nein,