Herren vom Fjord. Karl Friedrich Kurz

Herren vom Fjord - Karl Friedrich Kurz


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Es soll jedenfalls so wenig wie möglich kosten. Und darum schweigt Mons weiter. Und es geht ein ganzes Jahr in alter Weise.

      Dann tritt Aagot abermals vor den Hofbauern hin. Nun ist sie finster vor Entschlossenheit: „Wenn du dich bis morgen nicht bestimmt hast, Bauer Mons, geh’ ich also ...“

      „Hat man denn nicht schon einmal mit dieser Teufelei hier zu tun gehabt?“ fragt Mons. „Roden“, erklärt er wütend, „das ist Männerarbeit.“

      „Morgen, hab’ ich gesagt, Mons. Jetzt weißt du es.“

      Hierauf möchte es sich der Bauer aufs neue überlegen. Aber unmöglich. Diese Mutter, dieses Menschenweibchen verlangt nach einem warmen, sicheren Nest für ihr Junges. Nichts verschlägt dagegen Monsens Überlegenheit und sein Eiszeitblick. Er mag sich gerade aufrichten mit seinen langen Armen und der eckigen Stirn und dem gewaltigen Knochenbau; es hilft ihm gar nichts. Nein, er muß es jetzt auf andere Weise versuchen. Er schont dieses nützliche, aber eigensinnige Wesen nicht. Er treibt es mit Härte und Hitze durch zehn Höllen. Hundert Tage Arbeit fordert er. Hundert Speziestaler, fordert er.

      „Nein“, sagt Aagot.

      Es bleibt rein erstaunlich, wie die Magd Aagot diesen harten Kampf zu Ende führt. Wo nimmt sie nur alle ihre Geisteskräfte und Widerstände her? Und wo in aller Welt hat sie denn das Neinsagen plötzlich erlernt? Früher konnte sie es nicht. Eben dafür wurde sie ausgestoßen und tat den Fehltritt, und sie verlor mit einem Male vieles.

      Einiges wurde ihr als Entgelt gegeben. Es wurde ihr vor allem diese heiße und wunderbare Mutterliebe gegeben. Nur so konnte sie in ihrer Einfalt und Armut das Schicksal überwinden. Sie besiegte den Hofbauer Mons. Sie legte noch ein Geringes ihrem ersten Angebot zu, und der Bauer war gezwungen, nachzugeben.

      „Du mußt mir ein Papier schreiben“, verlangt Aagot.

      „Das hastet doch wohl nicht, beim Satan!“ ruft Mons. „Ist denn heute nicht Sonntag?“

      Mons nimmt Aagots Geld und vergißt für einen Augenblick sein Seelenheil. Damit ward ein Handel vollzogen. Aagot hatte eine Stätte auf dieser Welt.

      Eigentlich war es für den Hofbauern dennoch ein glänzendes Geschäft. Ja, wahrlich, mit ihren Speziestalern hatte diese Magd ihr Stücklein Land gut und mehr als gut bezahlt. Die jährliche Arbeitsleistung, das war reiner Gewinn. Das war etwas für nichts.

      Nun ging aber dieser Hofbauer lange Wochen umher und plagte sich und fragte sich, ob er nicht doch noch ein wenig hätte mehr erringen können. Ja, er fragte sich zu dieser Zeit mehr als oft: Ich wundere mich nur, ob ich nicht fünf Taler mehr hätte nehmen sollen?

      So sind nun einmal die Menschen, leider, trotz unsterblicher Seele und Erbaulichkeit, zum großen Teil beschaffen. Sie nehmen gern soviel wie möglich für sich selber. Und da es sich bei Mons um einen urhaften Menschen mit niedriger, schiefer Stirn und ungeheuren Augenbrauen handelt, wollte er gern noch etwas mehr als möglich nehmen.

      Aagot begann auf ihrem Land sogleich zu arbeiten. Sie war rein unglaublich und besessen. Und welche Arbeit! Der Hofbauer Mons hatte nach dem Handel auf Kvieen alle Bäume gefällt und für sich behalten. Der Magd Aagot ward es überlassen, die schlimmen Wurzeln auszugraben. Aagot grub die Wurzeln aus. Sie schuftete viele Jahre lang mit Hebeeisen und Spaten. Sie zog Gräben, so gut sie es verstand und vermochte. Das Grundwasser floß ab, und der dunkle Moorboden wurde trocken ...

      Ein Zigeuner zog mit seiner Fiedel durch diese Gegend und trieb mit den Mädchen sein gottloses Hexenwerk — und daraus entstand neben anderen im Lauf der Jahre ein kleiner Hof.

      Ach, es wurde ja im Grunde eine lächerlich armselige Sache und nichts Überwältigendes. Nur daß zwei Frauenarme diese Arbeit leisteten, zwei Mutterarme, das machte das alles so großartig.

      Es blieb trotz Sündenfall und Ausstoßung etwas Hohes und Feierliches an dieser Magd. Die Leute achteten es damals nicht so hoch. Sie sagten im besten Falle untereinander: „Aagot? Ja, beim Hunde, sie ist ein schweres Weibervolk. Sie ist zäh wie der Teufel selber. Was sie da rackert und schafft, das macht ihr noch lange nicht jeder Mann nach ...“

      Einige Bauern dachten auch noch, es sei doch schade, daß dieses tapfere Weib keine ehrliche Bäuerin werden durfte. Weiter konnte man in dieser Gegend nicht gehen mit Beifall und Anerkennung. Denn der Fleck sollte nicht ausgewischt werden bis ins vierte Glied.

      Aagot diente alle diese Jahre auf dem Monsgaard und erfüllte ihre Pflicht. Daneben rodete und grub sie auf Kvieen. Sie arbeitete bei allen Bauern am Strande. Gott allein weiß, wo sie alle die nötigen Kräfte hernahm und wie sie ihre Arbeitstage streckte und in die Länge zog. Gottvater, der ihr dieses süße Kind geschenkt hatte, schenkte ihr nun auch die Kräfte, dem Kind ein Nestchen zu bauen.

      Ob groß oder klein: Sieg bleibt Sieg. Aagot sparte und strebte nicht umsonst. Der Boden lohnte es ihr bald. Zuerst trug er das Winterfutter für ein paar Ziegen, dann für ein paar Ziegen und eine Kuh, dann für zwei Kühe. Es entstand mit der Zeit auch ein Häuschen am Strande, ein rotes Häuschen mit weißen Fenstern und Gardinen an den Fenstern und Blumen hinter den Fenstern. Aagot war ein Weib geworden, ein Weib ohne Mann; aber mit einem Kind und einem Hof. Das reine Mirakel.

      Achtzehn Jahre, zwanzig Jahre glitten über das alles dahin, Aagot wurde eine alte Frau, eine alte Frau, die auf allen Höfen aushalf, bei Festen und Todesfällen, eine Frau, die keine Arbeit scheute. Eine alte, krumme Frau, die nebenbei ihre Kühe melkte, das Gras auf der Hauswiese mähte und sonntags in ihrer Stube saß und heiteren, gläubigen Sinnes die Lieder ihrer Jugend summte, ohne Groll, ohne einen leisen Gedanken an Groll.

      Das Leben schlägt nieder und richtet auf. Es hat so mancherlei Launen. Aagot wurde schließlich auch noch die Mutter einer prächtigen Tochter, oh, einer Tochter, die nicht viel vom langen Kampf ums Nestlein wußte, die nicht die tiefen Falten im Gesicht der Mutter beachtete, die nur in Sonnenschein und Regen und goldener Freiheit heranwachsen durfte, mit viel Himmel über sich und viel Bergwind und Seewind um sich, und durch dieses alles fein und biegsam blieb.

      Die Tochter Ingrid blühte. Aber nun meldete sich das Übel aufs neue. Die Tochter Ingrid blieb trotz ihrer Schönheit und allem, was die Mutter ihretwegen büßte, ein Sündenfall, ein Kind ohne Vater und ohne Abstammung. Und daß Ingrid überdies ein so fröhliches Kind war, das machte es noch schlimmer. Seht, ihr waren diese dunklen, lachenden Augen geschenkt worden und dieser weiche Mund — zwei kühle Rosenblätter. Ingrid ging umher in all ihrer Unschuld und Lieblichkeit und jubelte der Sonne und dem Leben zu wie ein tautrunkener Morgenvogel.

      Wie hätte es da anders kommen sollen, als daß auch Ingrid bald auf Abwege geriet. Warum geht denn ein junges Weib mit seiner Schönheit umher und blüht? Oh, hört doch nicht auf die alten, zahnlosen Schwätzer! Fragt den Schöpfer selber einmal, weshalb er den vielen kleinen Vögeln im dunklen Walde das hübsche Gefieder und die Lockstimme verliehen ...

      Ingrid war auf allen Wegen eine Augenfreude für die Männer. War Ort und Stunde günstig, dann fehlte es ihr wahrlich nicht an Verehrung und zärtlichem Zuspruch. Hingegen, was ein anständiger Bauernbursch war, der hielt auf sich und seine Art und sein Haus; der tanzte nicht mit der Tochter der Magd Aagot vor den Augen des ganzen Strandes. Aber wenn der Bauernbursch, vom Tanze erhitzt, aus der Scheune trat, dann stand vielleicht diese wilde Heckenblume Ingrid irgendwo im Dämmerschein und betrachtete mit Sehnsucht das Spiel der ehrbaren Jugend. Und dann wurde sie einfach um die Mitte des Leibes genommen und in den Wald hineingeführt.

      Der Bursch ist auch nicht schuld daran, denn es bleibt doch stets ein böses Ding mit den Frühlingsnächten und mit dem jungen Blut. Die Bäume stehen noch immer nicht für nichts in allen Hängen herum, breiten ihre langen Äste aus und fächeln und lispeln mit den Blättern.

      So geschah denn auch hier wieder das, was unbedingt geschehen mußte. Frühling und Wald und Fiedelklänge vereinigten sich, ein junges Mädchen zu verzaubern. Sie machten ihre Sache vorzüglich. Das junge Mädchen verfiel erbarmungslosen Gewalten. Die Dinge nahmen ihren bekannten Lauf, und ein Kind wurde schließlich geboren.

      Im roten Häuslein auf Kvieen wurde ein Knäblein geboren. Abermals war ein Unglück geschehen. Auch das Knäblein


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