Herren vom Fjord. Karl Friedrich Kurz

Herren vom Fjord - Karl Friedrich Kurz


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... Aber es ging doch alles wieder gut.

      Trygve kaufte in jener Nacht den Hof von Arnevik, und Olav hatte ihn mit guten Worten beruhigt. Alle Dinge wollten sich zusammentun. Hatte Trygve jemals vor Olavs Tod Jofrid so zärtlich und weich gesehen?

      Nach diesen paar stillen, wehmütigen Wochen entstieg dem Postschiff ein junges Weib mit hohen, spitzen Schuhen, mit hohem Hut und Bändern darauf. Eine weiße Amsel hatte sich an diesen rauhen Strand verirrt. Thorbjörg, Iris — weiß Gott, es erscheint am Strande von Lisät der Sonnenvogel Olavs.

      Die Leute auf der Landungsbrücke betrachten dieses Wunder mit Staunen und Schweigen, stehen still und warten in großer Spannung. Es ist Sonntag, und viele Menschen stehen da. Man sieht hier nicht oft eine fremde Dame. Wie werden die Bauernmädchen um sie her sogleich häßlich und plump. Am Prellstock lehnt Per Kleppenes, ein Mann mit einer schwarzen Lederweste und einem langen Schnauzbart. Auf ihn schreitet die Dame zu. „Wo liegt Arnevik?“ fragt sie.

      Per Kleppenes kratzt sich hinter dem Ohr und blickt aufs Wasser hinaus. Gespannte Aufmerksamkeit steht auf allen Gesichtern.

      „Ich möchte zu Olav Arnevik“, sagt die junge Dame schüchtern.

      „Olav Arnevik?“ fragt einer.

      Aber Per Kleppenes reißt die Brauen schreckhaft hoch über seinen Kugelaugen. „Nein, nein“, murmelt er und zieht sich einige Schritte zurück.

      Und da steht also Thorbjörg allein und von starrendem Schweigen umgeben. Es ist deutlich sichtbares Grauen um sie her, und ihr kleines Herz, das unruhige, lebensdurstige Herz, hält einen Augenblick inne und zieht sich im Krampf zusammen.

      „Wohnt denn Olav nicht hier? Er sagt, Arnevik sei ein großer Hof.“

      Ja, das verhalte sich schon so, entgegnet einer. „Ja, Arnevik ist ein großer, stolzer Hof und nach Lisät der erste Besitz ...“

      „Und Arne Arnevik, der Vater, starb doch ...?“

      „Das stimmt. Jawohl. Der alte Arnevik ist dahingefahren ... Er starb vor ein paar Wochen — ja ...“

      Thorbjörgs Knie beginnen weich zu werden. Sie wird schwach auf ihren Beinen, denn sie merkt wohl, daß hinter den Antworten und hinter dem Schweigen sich irgend etwas Schlimmes verbirgt.

      „Arne Arnevik hat einen Sohn, Olav — einen einzigen Sohn“, flüstert Thorbjörg scheu und hastig. „Olav sollte den großen Hof erben. Olav reiste hierher ...“

      „Ja — Olav kam“, sagt der dicke alte Mann. Dann wird auch er plötzlich feige und darf nicht weiter. Hat er denn jemals zuvor solche Augen gesehen, oder einen solchen Mund oder überhaupt solche weibliche Schönheit?

      „Olav? — Jawohl, der Hof mußte auf ihn fallen. Ja. Und wenn ich Zeit hätte, würde ich dich hinüberführen ... Aber dort ist also der Weg ...“

      Alle Leute treten willig zur Seite. Es dehnt sich viel drohende Leere in der Luft.

      Mit der Zeit kommt Thorbjörg nach Arnevik und erfährt, daß Olav am Helleberg erfroren ist und daß er schon begraben wurde auf dem Friedhof von Akerud. Dieses junge Weib hat bis zu dieser Stunde noch nicht erfahren, was der Tod ist; es glaubte nicht an den Ernst des Lebens. Seht, dieses junge Weib war nur ein Geschöpf der Freude und wahrlich ein Sonnenvogel; es wurde erschaffen zur Zierde, um viele Feste zu verschönen.

      Auf dem Hofe von Arnevik wird Thorbjörg von Trauer umringt und von Reue und Schmerz geschlagen. Sie steht vor einem fremden Hause, sie steht auf einem fremden Wege. Ein finsterer hoher Berg reckt sich mächtig hinter allem. Thorbjörg steht in schauerlicher Einsamkeit und fürchtet sich. Sie findet keine Worte mehr vor Schwäche, sie kann nur noch stammeln und wimmern.

      Wie es zuging? Was geschah? Warum er in den Felsen dieses fürchterlichen Berges sterben mußte?

      In engem Kreise drängen sich Knechte und Mägde; ein Ring hilfloser, ängstlicher Gesichter. Und keiner kann Antwort geben; und keiner will etwas wissen.

      „Aber auf Lisät — ja, dort weiß man es“, sagen sie. „Ja, dort weiß man jedenfalls mehr von dieser Sache.“

      „Geh du nur nach Lisät und erkundige dich“, rät eine alte Magd. „Sie waren doch so gute Freunde von Jugend auf, er und Trygve.“

      „Ja“, murmelt jemand, „und auch Jofrid möchte schon etwas erzählen und mitteilen können.“

      Thorbjörg wandert nach Lisät. Das wird alles zu einem Traum und bleibt fast unerklärlich. Thorbjörg schleicht dahin als ein leibhaftiger Schrecken und bringt über die Leute von Lisät Bestürzung und Fassungslosigkeit.

      Sie sind versammelt in der großen Stube, bei einem hellen, guten Birkenfeuer. Trygve ist da und Jofrid, und der alte Knecht Oswald ist da. Manchmal fällt ein Wort, ein sachtes, kleines Wort, das nicht nach einer Entgegnung ruft. Friede, Wärme und vornehme Stille herrscht in dieser alten Stube. Im Knistern des Feuers liegt Traulichkeit, überall zeigt sich Wohlstand und Geborgenheit. Wie befremdlich klingt da das erregte Geflüster vor der Tür.

      Nun geht die Tür auf, und ein bleiches junges Weib mit großem, dunklem Blick erscheint.

      „Ich bin Thorbjörg.“

      Eine verzagte Stimme verkündet das. Das Gewimmer eines verängsteten kleinen Tieres. „Ja, ich bin die ganze Nacht gefahren ... Ich suche Olav ...“

      Ein bebendes Mädchenkind. Jetzt faltet es die Hände und blickt von einem zum andern.

      Das wird ein Zustand.

      Der alte Oswald erhebt sich und geht still um das junge Weib Thorbjörg herum und geht zur Tür hinaus. Trygve erhebt sich, Jofrid erhebt sich.

      Olav ist tot und begraben. In der großen Stube auf Lisät stehen die zwei Frauen, die durch sein Leben gingen, sehen einander in die Augen und fragen stumm ...

      Wenn die Menschen sterben, irrt vielleicht ihre Seele noch ein Weilchen unter den irdischen Ereignissen umher und verursacht dieses und jenes, stiftet Freude und Verwirrung — niemand kann das so genau wissen.

      Trygve macht nun drei, vier Schritte; er macht vielleicht sechs oder sieben Schritte, denn die Stube von Lisät ist geräumig genug. Es stehen viele Stühle und Tische da, und an den Wänden stehen alte Möbel mit schweren, echten Beschlägen. Es steht wahrhaftig auch noch Frau Dagmars alter Flügel da; und nun gibt dieser Flügel einen Ton, einen seltsam dunklen Harfenton, als streiche ein Windhauch durch die Saiten. Vielleicht kommt es nur daher, daß Trygve seine große Hand auf den polierten Deckel legte, als er vorüberschritt. Es ist durchaus nichts Übernatürliches. Aber dennoch — es geht ein dunkler Ton durch die Stille ...

      Trygve ist nun der Meinung, er sei hier der Mann und der Herr. Er meint, es liege jetzt an ihm, zu handeln und das unmögliche Schweigen abzubrechen. Er macht sich streng und hart und reißt tiefe Gräben in sein Gesicht; groß und breit steht er auf seinen langen Beinen.

      „Sie sind Thorbjörg?“ fragt er. „Aber Olav Arnevik ist doch in den Bergen umgekommen, weil Sie ihn verließen ...“

      „Nein“, stammelt Thorbjörg. Wie wird sie so klein und zerbrechlich. Ihre Augenlider zucken und flattern. Ihre Hände fahren an ihrem Kleide hin und her. Sie zerrt mit wirren Fingern an den Bändern. „Ich saß ja die ganze Zeit in unserer Stube und wartete ...“

      In Trygves Gesicht zuckt es auf. Da zuckt es auf in diesem schlichten Kopfe, der nur die ganz geraden Dinge erfassen kann, und Trygve fragt: „Dann waren Sie also nicht in Paris?“

      „In Paris? Großer Gott! Nein, Verzeihung ... Nein, nein — erzählte er Ihnen denn davon? Nein, ich habe unsere Stube gar nicht verlassen ... Ich saß an unserem Tisch alle diese Tage. Er versprach doch, zurückzukommen. Er lief an einem Morgen fort, als ich noch schlief. Er schrieb auf den Tisch: Warte auf mich, Iris! Warte auf mich, schrieb er mit Kreide auf den Tisch. Ich fahre heim, schrieb er. Und am Schluß stand: Mein Sonnenvögelein ... Da durfte ich also nicht fortreisen ...“

      Aber Trygve macht sich noch strenger und unerbittlicher: „Verhält


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