Herren vom Fjord. Karl Friedrich Kurz

Herren vom Fjord - Karl Friedrich Kurz


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weiß nichts“, sagt Jung-Mons.

      „Du weißt nichts?“ schreit Aagot mit schriller Stimme. „Gott verzeihe dir! Ich habe doch deinem Vater all mein Geld gegeben. Ja, ich habe es ihm bis auf den letzten Taler gegeben und du standest dabei. Du warst schon erwachsen. Du mußt es wissen. Er versprach mir das Papier.“

      „Ich weiß nichts“, sagt Jung-Mons.

      Hierauf hockt er sich wieder auf den Tisch und nimmt es gemütlich. Ja, er gähnt laut und stößt eine mächtige Luftwolke aus seinem Brustkasten hervor.

      Aagot richtet sich mühsam auf. Sie stützt sich auf den Ellbogen; ihre Augen sind immerfort auf Jung-Mons’ Gesicht gerichtet. Ihre Angst wird grenzenlos. „Vor dem Allmächtigen, Jung-Mons — du mußt wissen, daß ich deinem Vater das Geld gegeben. Das kannst du nicht bestreiten.“

      Schweigen. Ein langes, tiefes Schweigen.

      „Ich weiß nichts“, sagt dann Jung-Mons. „Nein, was willst du? Der Alte ist dahingefahren ... Morgen will ich mir eine Magd dingen an deiner Statt. Den Lohn für die Magd mußt du hergeben.“

      „Ich habe mein Land gekauft und teuer bezahlt“, schreit Aagot.

      „Du hast es nicht gekauft“, erklärt Jung-Mons.

      „Jung-Mons, wie willst du das je verantworten?“

      Schweigen.

      „Du hast es nicht gekauft“, wiederholt Jung-Mons. oder zeig mir das Papier.“

      Dieser Kampf wird gar zu ungleich. Denn es ist kein Papier da. Und es kann durch zwei Dutzend eidliche Zeugen glatt bewiesen werden, daß Aagot Jahr um Jahr ihre Arbeit leistete auf dem Monsgaard. Alles ist klar. Kvieen war nur gepachtet. Aagot arbeitete und rodete und freute sich, weil sie meinte, sie habe dieses Stücklein Erdboden für alle Zeit erworben — mit Geld und Schweiß und Blut ... Aber es zeigt sich nun, daß sie dieses Stücklein Boden doch nicht besitzen darf. Dort auf dem Tisch — dort hockt der Grundherr.

      Nun geht er. Der Knabe Bjarne gräbt am Hang hinter der Scheune ein Loch; er schaut dem Hofbauern nach, wie er den Hügel erklettert. Bjarne ist noch nicht drei Jahre alt. Bjarne hat dunkle Augen, dunkles weiches Haar, merkwürdig fremde Augen.

      Auf ihrem Strohbette krümmt sich Aagot. Erst jetzt ist sie ganz und völlig am Ende. Nicht einmal zur Auflehnung hat sie die Kräfte. Nur noch diese elende, quälende Angst blieb in ihr zurück, eine dumpfe Verzweiflung, die dumm und müde macht. Das Ganze muß doch wohl nur ein Mißverständnis sein. Denn Aagot meinte es alle die Jahre anders.

      Es wird aber so kommen, daß Jung-Mons den Lohn für eine fremde Magd von Aagot fordert. Und es wird so kommen, daß Jung-Mons bei Aagots Tode sein Land wieder zurücknehmen wird. Und Jung-Mons wird sagen: „Haus und Scheune müssen in drei Monaten niedergerissen werden. Aber ich kann sie kaufen.“ Dann wird er sich lange besinnen und im Kreise herumwandeln und rechnen und rechnen und schließlich einen lächerlichen Preis bieten ... Jung-Mons muß Haus und Scheune bekommen, denn auf seiner Seite stehen Gesetz und Macht.

      Gütiger Gott — diese Magd wurde einstens für ihren Sündenfall aus dem Paradies vertrieben und scharf gezüchtigt. Sie nahm demütigen Sinnes die Strafe auf sich und zeigte sich willig, zu sühnen mit ihrem Leben. Alle Wünsche ihres Herzens und alle Wünsche ihres Blutes gab sie her für dieses Stücklein sumpfigen Moorboden. Aber es war noch nicht Sühne genug. Jetzt streckt sich schon die Hand aus, der Magd den Nacken zu brechen. Dann wird Jung-Mons dem kleinen Bjarne das Nest nehmen. Vielleicht muß auch dieses noch als Strafe geschehen.

      So liegt die alte, ewige Kindermutter Aagot auf ihrem Strohbette, Arme und Brust verbraucht, der Leib nur noch ein Häuflein Asche, der Faden schon durchschnitten. Nur in ihrem Kopfe steckt noch ein wenig Leben, ein letztes Fünklein. Sie opfert auch dieses letzte Fünklein und denkt und grübelt, wie sie Bjarne das Heim erhalten könnte.

      Eine alte Magd sucht Hilfe. Da muß sie weit rückwärts schauen, an den vielen Jahren ihrer Erniedrigung vorbei, bis in eine Zeit, da auch sie noch ein Mädchen mit Zukunft und allem gewesen. Nur den einen kann sie dort finden; ach, sie kann doch niemals einen anderen finden als Oswald, den stolzen Knecht auf Lisät. Wenn ein Mann auf der ganzen Welt dieser Magd helfen kann, dann muß es Oswald sein.

      Und Aagot sinnt und sinnt und wird wieder zuversichtlich. Nun denkt sie nur noch darüber nach, wie sie es machen könnte, mit Oswald von ihrer großen Not und ihrer großen Treue zu sprechen. Viele Jahre hat sie nicht mehr mit ihm gesprochen. Zuweilen sah sie ihn aus der Ferne. Sie sah ihn alt werden und dahinwelken ...

      Heute geht der Knecht Oswald an einem Stock und wackelt ein wenig mit dem Kopfe, wenn er geht. Aagot hat den Klang von Oswalds Stimme längst vergessen. Ihre Erinnerung an ihn ist nur noch ein verworrenes Empfinden von Sonnenschein und Wärme. Gleich einem Sommermorgen ist es: in all dem Strahlenglanze steht Oswald, für den die Magd Aagot einst erschaffen ward ...

      Es will eine alte Magd im Sterben noch aus Liebe das Leben besiegen ...

      Und damit fängt eigentlich diese Geschichte erst an.

      Der Schatten

      Wie vieles geschieht doch in dieser Welt um der Liebe willen! Gutes und Böses geschieht, und mitunter auch noch manches, was weder das eine noch das andere ist. Wie soll man zum Exempel Olavs Tod auffassen? Olav war ein verwegener Bursche alle Tage seines Lebens. Er mußte unbedingt in einer frostklaren Winternacht durch die Donnerskare zu Tal klettern. Mußte er es denn wirklich tun, wenn der böse Ostwind in allen Felsen orgelte? Viel Seltsames liegt hinter Olavs Sterben.

      Olav erzählte seinem Jugendfreunde Trygve Eivindson in jener Nacht in der Berghütte des schwarzen Ur eine Geschichte. Es handelte sich um ein verwunderliches Mädchen. Es handelte sich um Thorbjörg. Der Apotheker Nils Olsen nannte dieses Mädchen Iris und Sonnenvogel. Der Apotheker war Junggeselle und ein feiner Mann. Thorbjörg fuhr an einem Sonntagnachmittag mit Olav Arnevik zum Furuholm hinaus; Olav verlor auf dieser Fahrt seine Vernunft und seine Seele. Olav ward rein toll. Sagte er denn nicht selber zu Trygve: „Thorbjörg — das ist das Weib, das mich zugrunde richtet ... Ja! Und nun will ich diesen Abstieg wagen; er ist schwer. Aber er ist nicht ganz unmöglich. Er soll eine Probe sein. Wenn er gelingt, dann ist Thorbjörg mir treu, trotz allem, was ich weiß. Dann wartet sie auf mich in unserem Stübchen in der Stadt. Dann ist sie nicht mit diesem verdammten Apotheker nach Paris gefahren ... Und wenn der Abstieg nicht gelingt, so stürze ich — auch das wäre eine Lösung.“

      Welche Verrücktheit! Aber der Abstieg gelang. Olav kam bis auf das sichere Rasenband von Rimane hinunter. Dort verfing sich allerdings sein Wams in einem verkohlten Baumstumpf. Und Olav wehrte sich nicht und blieb hängen und erfror.

      Kann je ein Mensch noch hoffnungsloser sein?

      Olavs Tod brachte nicht einmal Klarheit. Ganz gewiß war Olav ein Sohn des Zigeuner-Halstein, ein Mensch mit sehr heißem Blut und einigen Tugenden und vielen Lastern. Er war zuweilen hochfahrend in seinem Wesen und wikingerhaft kühn und lebensverächterisch.

      „Ich liebe ihn immer noch“, bekannte Jofrid, stolz und groß, wie sie war.

      Trygve und Jofrid, sie standen noch ganz am Anfang. Sie waren so jung alle beide. Nachher ging alles viel schwerer, als sie nur ahnen konnten. Ein drohender Schatten schwebte immerfort über ihrem Lebenstal.

      Als Olav tot war, faßte Jofrid ehrlich nach Trygves Hand. Alles hätte nun doch noch gut werden können. Sie begruben Olav auf dem Friedhof von Akerud.

      Aber Olavs Leben war noch nicht ganz ausgelöscht. Tiefe Trauer herrschte auf dem Herrenhofe von Lisät. Jofrid wurde weich und mild wie ein gezüchtigtes Kind. Sie wurde ganz anders als sie vordem gewesen, beugte den Nacken und stand am Fenster und schaute Trygve nach, wenn er über den Hof schritt ...

      Es verstreichen ein paar Wochen in Verwirrung und Niedergeschlagenheit.

      Sie sitzen sich am Tisch gegenüber; sie sitzen abends am Kaminfeuer. Sie liegen Nachts Seite an Seite. Es ist überall Wärme und Zuversicht. Olavs jähes Erscheinen am Strande von Lisät, Olavs jäher Tod — das war


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