Herren vom Fjord. Karl Friedrich Kurz

Herren vom Fjord - Karl Friedrich Kurz


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in der Truhe. Sie mietete ein Boot mit zwei Rudersknechten. Das Kind bekam ein langes Kleid mit weißem Häubchen und roten Bändern, ganz wie ein richtiges Kind.

      Vor dem Altar in der Kirche von Akerud stand zu dieser Zeit ein junger Pfarrer, der seine Gemeinde noch nicht gut kannte. „Wie soll dieses Knäblein heißen?“

      „Bjarne soll es heißen.“

      „Und weiter?“

      Ha — nichts weiter. Bjarne und Schluß.

      Der junge Pfarrer hatte zu seiner Zeit viel Theologie studiert und war ein tüchtiger Seelenhirte, der das Gute vom Bösen zu scheiden wußte. Daran fehlte es wahrlich nicht. Aber wie hätte der junge Pfarrer auf einmal alles erfassen sollen? Er legte seine Finger ineinander. Man mußte dieses Knäblein also Bjarne Ingridson nennen, zum Gaudium der Gemeinde.

      Bjarne Ingridson — die platte Unmöglichkeit.

      Ingrid vermochte nicht gegen das Schicksal zu kämpfen, sie baute ihrem Kinde kein Nestlein. Sie blieb ein paar Monate lang zu Hause und weinte und grämte sich. Und sie lächelte das Leben nicht länger an.

      Die Tochter Ingrid hatte auf das Geflüster des schlimmen Südwindes gelauscht und ihr Näschen in duftende Waldbeeren vergraben, sie hatte ihre Rosenblätterlippen zum Kusse dargeboten — sollte sie hernach in ewiger Zerknirschung in der Stube sitzen und blaß werden? Nein.

      Nein, in diesem lieblichen Geschöpfe flossen allerlei Blutströme zusammen. Tief aus ihrem Innern stieg es empor, eine ferne Erinnerung an eine große, freie Welt, an eine Ferne ohne Grenzen. Und als das lockere Vöglein, das sie war, bestieg sie das Postschiff, verließ Mutter, Sohn, Haus und Vergangenheit und fuhr davon ...

      Ingrid ist nun schon drei Jahre lang fort. Man hat nie ein Zeichen von ihr vernommen. Die große Welt hat sie verschlungen. Die große Welt nahm wahrscheinlich das, was von Ingrids Jugendherrlichkeit übriggeblieben, und erdrosselte sie hernach in alltäglicher Art.

      Es muß wohl, trotz aller Mutterliebe, doch nicht viel Gutes an dieser Tochter gewesen sein. Sie war in Leichtsinn geboren. Die Leute an diesem Strande haben von der Tochter Ingrid nie etwas anderes erwartet. Niemand ist enttäuscht, daß es mit ihr ein solches Ende nahm.

      Aagot meinte es gut. Aagot meint es auch jetzt wieder gut und bringt neue Opfer.

      Aagot, die ewige Kindermutter — sie behütet Bjarne. Sie öffnet auch diesem Kinde beide Arme und preßt es an ihre Brust. Doch leider sind ihre Arme mager geworden, leider ist ihre Brust längst verwelkt und verbraucht. Aber in dieses Großmütterchen fährt unversehens noch einmal der Lebensstrom ihrer Jugend. Sie wiegt ihr Kindlein und schaut vorwärts und denkt tapfer an die Zukunft. Sie denkt wahrlich daran, abermals mit dem Roden zu beginnen.

      Und siehe da, es ist doch noch ein letzter Rest von unverbrauchter Kraft in dieser Magd Aagot. Sie wird förmlich wild vor Liebe und Fürsorglichkeit. Sie zieht aufs neue Gräben durch den nassen Moorboden, und wieder wird ein Stücklein Wiesland gewonnen. Gottvater bemerkt das wohl und sendet seine kleinen Engel an den Strand von Kvieen herab, daß sie mit flinken Händen viel Gras und Blumen aus Aagots neuem Boden hervorzupfen. So muß auch dieses Werk gelingen. Aagot kann zu ihren zwei Kühen noch eine dritte in ihren Stall stellen.

      Die Leute betrachten dieses erstaunliche Geschehen aus der Ferne und sagen zueinander: „Hast du je so etwas erlebt? Dieses alte Weibermensch! Paßt nur auf, es macht sich jetzt völlig und auf einmal kaputt. Und wohin soll denn das nur führen?“ fragen sie.

      Die Leute behalten natürlich wieder recht mit ihren dunklen Vermutungen. Jedem Menschen sind Grenzen gezogen — selbst in der Liebe und in der Treue. Wenn ein Mensch recht ernsthaft etwas will, so vermag er manches. Es geht und geht. Und es geht oft viel weiter, als man für möglich hält. Aber einmal geht es nicht mehr weiter.

      Mit der alten Magd Aagot geht es jetzt leider nicht mehr weiter. Sie hat in purem Größenwahn ihre drei Kühe in den Stall gebracht. Und jetzt ist sie selber niedergesunken.

      Eigentlich liegt sie noch nicht so ganz und völlig am Boden; sie kriecht noch ein wenig umher. Sie mäht noch ihr Heu und trägt es in kleinkleinen Bürden in die Scheune. Doch dann ist es aus; es blieb keine Kraft mehr in ihrem Körper.

      Ein unbegreiflicher Zauber muß dieses wacklige Gemäuer noch irgendwie zusammenhalten, so daß es nicht auseinanderfallen und in die Erde versinken kann. Von der Arbeit auf dem Monsgaard darf keine Rede mehr sein. Wie sollte denn dieses alte Hutzelweibchen noch Fronarbeit leisten, wenn doch alle Gelenke knarren? Nein, nein, Aagot ist jetzt wirklich am Ende. Sie machte einen Weg; und es war sicherlich ein steiniger Weg, ein Dornenpfad sondergleichen. Nun will er sich im großen Dunkel verlieren.

      Wenn aber die alte Aagot ihre Fronarbeit auf dem Monsgaard nicht mehr leisten kann, so ist damit noch lange nicht alles abgemacht und entschuldigt. Sondern ein Bauer empört sich über eine säumige Magd und macht sich auf den Weg.

      Seht, dort kommt er. Es ist der Hofbauer. Es ist der Sohn vom alten Mons. Der alte Mons starb, und der Sohn führt den Hof weiter; man nennt ihn Jung-Mons. Er hat die Augen seines Vaters, Eiszeitaugen, Haifischaugen. Er hat einen runden Rücken. Die Augen liegen in unglaublich großen Höhlen; sie liegen unter mächtigen Knochenwülsten, unter zusammengewachsenen Brauen, die einem Ziegenbart gleichen. Die Arme reichen ihm bis zu den Knien ... Jung-Mons schreitet über den Berghang daher, plump in den Hüften, als sei ihm der aufrechte Gang noch ungewohnt. Er ist die verkörperte Unheimlichkeit. Ach, wie schwerfällig er geht! Er hält sich an jedem Baum und Strauch ... Zieht ihm Schuhe und Strümpfe aus, es wird sich möglicherweise zeigen, ob er anstatt der großen Zehen noch Fußdaumen hat.

      Mons heißt er. Nur Mons. Ein Wesen aus grauer Urzeit. Sein Vater hieß auch Mons. Sein Großvater hieß Mons. Dieses Geschlecht hat in gewissem Sinne Rasse. Es konnte durch die Jahrtausende nicht wesentlich verändert werden. Es nahm in sagenhafter Vorzeit Land hier am Fjord ...

      Jung-Mons tritt in Aagots Stube. Er fährt bei der Tür nicht aus seinen kolossalen Holzschuhen, wie es sonst Sitte ist an diesem Strande, derart bezeigt er gleich beim Eintritt seine Überlegenheit. Schwer hockt er sich auf Aagots Tisch. Ein Grundherr hockt vor seiner elenden Kätnerin. Dieses Wesen ist von einer überraschenden Menschenähnlichkeit. Es hat sogar eine Menschenstimme und eine Sprache. Aber seine Stimme ist nicht tief und klingend und männlich, nein, soviel hat die Entwicklung ihm nicht gegönnt. Aus Jung-Mons’ Kehle kann nur ein Kreischen, ein hohes Krächzen dringen, ein affenartiges Kreischen.

      Lange sitzt er auf Aagots Tisch und betrachtet mit seinen fürchterlichen Augen die ausgemergelte Magd, in der nicht länger der geringste Wert steckt, weder als Weib noch als Arbeitstier. Er betrachtet sie mit Ruhe und Gründlichkeit und ohne falsche Scheu. Und endlich öffnet er seine gewaltigen Kiefer: „Ja, jetzt bist du fertig.“

      Kein Tadel, nicht irgendeine Anteilnahme; nur eine Feststellung. Jung-Mons wittert schon den Tod in dieser Stube. „Du wirst es höchstens noch ein paar Tage treiben. Dann wirft es dich.“

      Diese Sache ist klar. Jung-Mons zieht sein Dolchmesser aus dem Gürtel, beklopft die Bohlenwände, sticht da und dort in die Dielen des Fußbodens. Sorgsam untersucht er die Fensterrahmen.

      Aagot ist jetzt völlig hilflos. Auf ihrem Bett liegt sie, ein wenig verkrümmt, und folgt dem Hofbauer mit den Augen. Nur mit ihren bangen Augen.

      Jung-Mons schließt seine Untersuchung ab und stößt das Dolchmesser wieder in die Scheide am Gürtel zurück. Er zeigt sich ungnädig: „Warum hast du die Grundmauer nicht einen Schuh höher gemacht? Jetzt steigt die Feuchtigkeit in den Fußboden.“

      Dagegen läßt sich nichts einwenden. Der Fußboden ist nicht ganz frei von Feuchtigkeit. Aber Aagot liegt nun immer da mit ihrer Angst. Heute ist sie nicht mehr so hoch im Hut wie einstmals.

      Einstmals konnte sie vor einen Hofbauern hintreten und sagen: „Gib mir dieses Stück Land, Kvieen, weißt du; ich zahle es dir. Ich will es dir gut und teuer bezahlen. Aber ich brauche es.“

      Damit ist es aus und vorbei. Aagot bittet jetzt in Bescheidenheit: „Willst du mir nicht endlich das Papier geben, Jung-Mons?“

      „Welches


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