Herren vom Fjord. Karl Friedrich Kurz

Herren vom Fjord - Karl Friedrich Kurz


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Aber man weiß immerhin einiges. Man weiß nicht nur, daß der Zigeuner-Halstein des Knecht Oswalds Liebste Aagot als erste hinter die Scheune führte, man weiß auch ganz genau, daß er als zweite Oleana nahm. Oleana war ein frisches junges Mädchen, fast ein Kind noch. Als der Zigeuner mit dem Finger winkte, stand sie von der Bank auf und folgte ihm in den Birkenwald. Oleana blieb aber die Tochter rechtschaffener und wohlhabender Bauersleute. Darum fand sie schnell einen Mann. Sie heiratete jedenfalls zur rechten Zeit noch den Hofbauern Arne Arnevik. Und damit hatte sie für ihren Knaben Olav einen Vater und ein Heim und einen unbescholtenen Namen. Olav war zwar ein Sechsmonatskind. Doch das ist in dieser Gegend wahrlich noch keine Seltenheit. Arne Arnevik wurde einfach Vater.

      Arne Arnevik war vor allem ein Bauersmann, der sich auf den Boden verstand und aufs Wetter und viele Aspekte, soweit es die Wirtschaft erfordert. Aber er verstand nicht viel von der Liebe und kümmerte sich wenig um das seltsame Walten in einer Frauenseele. Oleana traf es demnach alles im allen gar nicht so schlecht. Vielen jungen Mädchen ging es zu dieser Zeit schlimmer. Olav wurde ohne weiteres ein reicher Bauernsohn und wuchs heran in allen Ehren — ein wenig zigeunerisch vielleicht, und vielleicht gar zu leichtfüßig. Aber eine Pfarrerstochter konnte sich trotzdem in ihn verlieben.

      Aagot hingegen, des Knecht Oswalds Liebste, traf es minder gut. Nach dem Willen der unsichtbaren Mächte, die das Schicksal der Menschen regieren, ward auch ihr Leib befruchtet und gesegnet. Zur richtigen Stunde gebar sie ein Kind weiblichen Geschlechts. Wahrlich ein feines, kleines Wesen, mit schwarzem Flaum auf dem Scheitel und einem dünnen, unglücklichen Stimmchen. Aber Aagot fand — Gott beßre es! — keinen Mann und somit weder Vater noch Namen für ihr Kind. Und da stand sie nun frei und klar vor aller Welt mit ihrem Fleck und ihrer Schande. Jawohl, hier handelte es sich um einen offenkundigen Sündenfall.

      Der stolze Knecht Oswald zog sich vollends von ihr zurück. Es gab keine Gnade für Aagot, weder im Himmel, noch auf Erden. Mutter war sie. Mutter blieb sie. Und sie wurde obendrein noch eine gute und zärtliche Mutter. Weil die ganze Welt um sie her in höhnischer Feindschaft lag, hielt sie sich ganz und gar an ihr kleines Mädchen. Es wurde ihr Engel und ihre seltsame Rettung. Dieses Wesen brauchte ihre warme Liebe, die die Welt verhöhnte und verschmähte.

      Aagot war natürlicherweise gerichtet, verdammt und ausgestoßen in dieser Gegend. Aber Aagot war noch nicht zu Boden geschlagen. Nicht einmal im Ernst unglücklich war sie. Selbstverständlich mußte sie den Herrenhof Lisät verlassen. Das Leben ist hart und grausam, auch im hintersten, einsamsten Winkel eines Fjords. Die Menschen gehen oft in großem Hochmut aneinander vorbei und tun einander weh aus dummer Unachtsamkeit.

      Weil Aagot jung und kräftig war, hatte sie immer noch einen gewissen Wert in dieser Welt der Tatsachen. Selbst am Strande von Lisät, wo sie für alle Ewigkeit das Wort und die Gefühle gegen sich hatte ... Aagot ging auf den Hof des Bauern Mons.

      Welch ein ungeheurer Unterschied zwischen Lisät und dem Monsgaard. Ein Unterschied wie die neue Zeit mit Seide und Lack und Luxus und weißem, Weizenbrot gegen die Eiszeit mit Höhlen und Fellen und Bären.

      Auf dem Monsgaard nährten sich die Menschen jeden Tag von Hafergrütze und Hering und Kartoffeln; das Essen war hier durchaus kein Fest. Jeder hatte seinen Hornlöffel hinter der Leiste an der Wand, jeder trug sein Dolchmesser am Gürtel. Als Gabeln dienten einem jeden zwei Hände mit zehn Fingern. Das Essen auf dem Monsgaard war nichts als gnadenlose Notwendigkeit. Es ging zwar auch so. Es ging viel besser, als wir, die wir nachher kamen und das alles nicht miterleben konnten, nur glauben wollen.

      Aagots Mädchen wurde in Akerud vom Pfarrer getauft, mit Wasser und Kirchensegen.

      „Wie soll das Kind heißen?“ fragt der Pfarrer.

      „Ingrid“, sagt die Mutter und blickt zu Boden.

      „Ingrid — und wie sonst?“

      „Was?“ fragt die Mutter und zieht den Hals zwischen die Schultern.

      „Es muß einen vollständigen Namen haben“, sagt der Pfarrer.

      Jetzt schweigt die Mutter Aagot.

      Darum hieß also dieses Kind für das ganze Leben nur Ingrid Aagotsdatter. Es hatte nur einen Scherben von Namen. Ein tiefer Sinn steckt gewiß in diesem, wie in allem. Auch Inrid Aagotsdatter sollte gerichtet werden.

      Ja, gewiß sind die Menschen mitunter unachtsam und gleichgültig gegeneinander. Und was das Leben anbetrifft, so ist es ohne Mitleid. Ingrid Aagotsdatter, dieses zierliche Pflänzlein, durfte nicht in einem guten Boden wachsen, denn es war ein Pfand und eine Frucht der Sünde.

      In der Natur hingegen walten immerzu dunkle Triebe, und Unbegreifliches geschieht täglich an allen Ecken und Enden der Welt. Ingrid Aagotsdatter entfaltete sich und blühte. Die Haare wuchsen ihr sehr rasch in die Länge. Dem ersten, schwarzen Flaume zum Trotz wuchsen sie blond und lockig; sie wuchsen mit jedem Jahre länger und gediehen zu Zöpfen. Nach einer ganz verrückten Laune der Vorsehung bekam dieses Menschenwesen zum hellen Blondhaar samtdunkle Augen. Das waren Augen, die zuweilen einen Bernsteinschimmer haben konnten. Und die Wimpern darum und die Brauen darüber waren seidenzart und dunkel. Es waren möglicherweise nichts als Landstreicheraugen, Bettleraugen, Laster- und Sündenaugen. Aber dann und wann blieb doch ein ehrbares Weib am Wege stehen, oder ein solider Bauersmann blieb stehen und wunderte sich im Zerwürfnis mit der Gerechtigkeit und schüttelte das Haupt über solchen Unverstand der Natur.

      Inzwischen waren noch andere Kräfte am Werke. Nach wenigen Jahren wurde Aagot vollends zum Arbeitstier. Und Mons, der Hofbauer, hatte scharfe Augen im Kopfe; er hatte ganz fürchterliche Augen im Kopf, ungeheuerliche Eiszeitaugen oder Krokodilsaugen.

      Sünde oder nicht Sünde — Aagot wurde sicherlich aus Gotteshand dieses süße kleine Mädchen geschenkt. Seht, diese Aagot entwickelte nicht nur die Muskeln ihres Leibes, sie strengte auch, ihres Kindes wegen, ihre Verstandesgaben an. Daraus entwickelte sich eine Sache; es begann ein Kampf zwischen einer Mutter und einem harten Hofbauern, es begann ein Kampf zwischen einer Mutter und der ganzen Welt.

      Aagot tritt vor den Hofbauern Mons hin und sagt: „Auf Michaelsmesse will ich diese Stelle verlassen.“

      „Jetzt aber, Mensch — bist du verrückt?“ fragt der Hofbauer. „Warum denn?“

      „Nein, ich habe hier keine Zukunft“, sagt Aagot, die Mutter.

      Aber der Bauer begreift das ganz und gar nicht. Zukunft? Haben denn Kuh und Schwein im Stall vielleicht auch eine Zukunft? „Wo willst du eigentlich hinaus mit deinen verfluchten Redensarten?“ fragt Mons.

      Da hat Aagot wahrhaftig schon einen fertigen Plan im Kopfe. Gar nichts Geringes. Sie will ein Stück Land, weiß Gott, ein Stücklein von der Oberfläche dieser Erdkugel. Oh, sie muß doch wohl ein wenig verstört sein in ihrem Geiste!

      Im Kopfe des Hofbauern Mons beginnt es zu hämmern.

      „Gib mir das Stück Land am Strande, Kvieen — du weißt ja. Ich will es roden, Bauer Mons. Ich will dir dafür fünfzig Tage im Jahr Arbeit leisten. Ich will dir dafür sechzig Speziestaler in bar geben.“

      Es hämmert mächtig in des Hofbauern Kopf. „Bist du denn komplett von Verstand und Glauben, du Weibervolk?“ muß der Hofbauer staunend fragen.

      Aber die Liebe ist unerbittlich. Die Liebe ist groß. Die Liebe bleibt schließlich das Mächtigste in dieser Welt.

      „Ich habe schon mit dem Nachbarn Larsen gesprochen“, fährt Aagot unbeirrbar und eigensinnig wie ein Huhn, fort. Er will mir ein gutes Stück von seiner Halde geben ...“ Und Aagot redet nicht ohne List und Hintergedanken.

      Dieses, Hofbauer Mons, wäre nun allerdings ein kräftiger Trumpf. Es ist ein wahrer Kanonenschuß.

      „Dreck auf den ganzen Nachbar Lars!“ brüllt Mons, in seinen edelsten Gefühlen verwundet.

      Aber das hilft nicht das geringste. Damit ist eine Schlacht im Gange. Wer nicht siegt, muß unterliegen und den Schaden leiden.

      „Ich will es mir noch überlegen“, lenkt Mons ein.

      Der Hofbauer Mons überlegt es sich und schweigt.


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