TEXT + KRITIK 155 - Herta Müller. Группа авторов

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schon wieder anderes im Kopf habe. Die Häuflein aber bleiben liegen, und oft vergeht so viel Zeit, dass ich, wenn ich mir ein Häufchen dann doch wieder vornehme, nicht mehr weiß, was ich damit wollte. Da denke ich mir, jetzt ist aber Schluss. Dann ist die innere Bereitschaft weg. Die hat sich einfach weggeschlichen oder sie ist mir abhandengekommen. Aber auch, wenn ich an einer Gruppe von Wörtern weiterarbeite, bleibt es spannend bis zum Schluss. Denn jedes Wort ist so individuell wie eine Situation. Es geht ja nicht nur um seine Bedeutung, genauso wichtig ist, wie es aussieht, aus welchen Farben es besteht, aus welchen Schrifttypen, wie es daherkommt. All das haben die Wörter bereits in sich, ich muss nichts tun außer suchen.

      Und dann die Wörter hier an den verschiedenen Orten auch finden.

      Finden, oder Nichtfinden. Ja, es gibt auch die Verzweiflung des Nichtfindens. Ich weiß, das Wort ist da, ich muss es nur finden, aber ich finde es nicht. Oder, auch nicht besser, ich finde es und dann passt es nicht. Dass ich meistens aber Freude habe mit den unendlich vielen Wörtern, hat, glaube ich, mit meiner Biografie zu tun. Dieser Überfluss an Wörtern ist für mich eine Art von Freiheit. Das macht für mich den Sog dieser Art von Arbeit aus, sie hat einen ganz anderen Sog, als wenn ich mit der Hand etwas schreibe oder am Computer, einen Prosatext oder einen Essay, es ist eine andere Ausgangssituation.

      Dieses Glück des Findens oder das Unglück des Nichtfindens ist aber nicht einfach ein zufälliger Vorgang so wie in den dadaistischen Gedichten des frühen Tristan Tzara, in denen der Zufallswurf entscheidend war. Das entspricht nicht Ihrer Art der Arbeit, Sie betten das Gefundene ja stets in eine Struktur ein.

      Meine Collagen sind konventionell, nicht experimentell. Ich möchte mit ihnen etwas sagen, einen bestimmten Inhalt transportieren. Und vielleicht auch: Ich möchte etwas zusammensetzen, weil ich so viel Zerbrochenes kenne. Die Collagen haben übrigens auch nichts mit Droh- oder Erpresserbriefen gemein, wie es immer wieder in Besprechungen zu lesen gewesen ist. Das macht mich wütend, weil ich denke, meine Güte, was für eine unmögliche Assoziation. Ich weiß nicht einmal, wie ein richtiger Erpresserbrief aussieht.

      Das ist dann doch etwas ganz anderes: die zerbrochene Form, die etwas mit der zerbrochenen Biografie, mit brüchigen Erfahrungen und der abgebrochenen Biografie zu tun hat …

      Es gibt mir Sicherheit, wenn ich weiß, ich habe dieses Reservoir an Zeitschriften und Verlagsprogrammen. Ich kann diesem Reservoir entnehmen, was ich will und wie ich es will. Ich kann entscheiden, was für meine Arbeit taugt. Wörter aus einem Boulevardblatt, das für sich nichts wert sein mag, taugen für mich dennoch als Material. Das ist für mich meine Freiheit bei dieser Arbeit. Aber es gibt auch eine Regel, die ich mir gesetzt habe: Mein Format ist die Größe einer Ansichtskarte. Ich kann nur so viele Wörter und Bilder benutzen, dass sie Platz auf dieser Karte haben, mehr nicht. Das ist die Regel und das andere ist die Freiheit. Das ist wie im Leben: Da sind die Tatsachen und in die Tatsachen muss ich die Freiheit hineinkriegen, immer wieder muss sich die Freiheit an den Tatsachen reiben, so lange, bis ich das Höchstmögliche, das ich mir wünsche, erreiche. Das ist Arbeit.

      Wir bedanken uns ganz herzlich für dieses Gespräch.

      Berlin, Januar 2020

       Iulia-Karin Patrut

       (De-)konfigurationen totalitärer Ordnung Herta Müllers Frühwerk bis 1989

      Inhalt und Form der Texte lassen sich auffassen


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