Elf Meter. Ben Lyttleton

Elf Meter - Ben Lyttleton


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schwache Haltequote.

      „Ich denke, da ist nichts dran. Die englischen Keeper hatten einfach das Pech, dass sie es mit gut geschossenen Elfmetern zu tun bekamen. Denken sie nur daran, wie gut die Elfmeter der Deutschen bei der WM 1990 oder der Portugiesen bei der EM 2004 waren! Ich erinnere mich nicht, bei einem der Schüsse gedacht zu haben, dass der Torwart den hätte halten können. Für die Torhüter ist das immer auch Glückssache, sie müssen spekulieren und in die richtige Ecke springen. Klar, sie haben vielleicht Videoanalysen gesehen, aber trotzdem müssen sie sich für eine Ecke entscheiden und den Schuss abwehren. Als Schütze möchte man es dem Keeper nicht zu leicht machen, aber wenn er einen Schuss pariert, der direkt neben dem Pfosten eingeschlagen wäre, dann muss man einfach den Hut ziehen und sagen: ,Klasse Parade!‘ Wenn der Torhüter kein Elfmeterkiller ist, erhöht das allerdings den Druck auf die eigenen Schützen. Ich versuche immer so zu schießen, als würde der Keeper die richtige Ecke ahnen, so dass er selbst dann keine Chance hat, wenn er es tatsächlich tut.“

      5.Gegnerische Torhüter ahnen gegen England zu 58 % die richtige Ecke, gegen Spanien zu 46 % und gegen Deutschland zu 35 %.

      „Auch das scheint mir eher eine Sache des Glücks zu sein. Nicht viele Torhüter sind in der Lage zu warten, bis der Ball geschossen wird, und dann in die richtige Ecke zu springen. Der Torwart entscheidet sich normalerweise vorher oder im Moment der Ballberührung, deswegen glaube ich, dass diese Zahlen eher auf Zufall basieren.“

      Lambert hielt auch wenig von der Idee, eine Misserfolgsstrategie zu implementieren. „Für seinen Verein zu verschießen, ist etwas ganz anderes, als für sein Land zu verschießen. Im Klub kann man den Fehler wahrscheinlich recht schnell wieder gutmachen, aber für sein Land erhält man möglicherweise keine zweite Chance, und nirgends steht geschrieben, wie man sich fühlt, wenn man verschießt. Ich könnte mir vorstellen, dass einem das in letzterem Fall emotional viel mehr zu schaffen macht.“

      Und wie wäre es, sich vorher mit einem Psychologen zusammenzusetzen und für den Fall der Fälle eine Bewältigungsstrategie zu entwickeln? „Soll das ein Witz sein? Wäre ich Trainer und hörte jemanden darüber reden, wie man mit einem Fehlversuch umzugehen hat, würde ich ihn sofort vor die Tür setzen. Es sollte nur darum gehen, zu treffen und wie man sich dann fühlt. Sonst nichts.“

      Lambert hat alle vier Elfmeterschießen gewonnen, an denen er beteiligt war: zwei für die Bristol Rovers, wo er jeweils dritter Schütze war und traf, und zwei für Southampton, wo er jeweils als Erster antrat und verwandelte. Ich erzählte ihm, wie enttäuscht Le Tissier war, 1998 nicht für die WM berücksichtigt worden zu sein, und fragte ihn, was er von der Idee hielt, in der Verlängerung einen Elfmeterspezialisten zu bringen. „Ein Spezialist brächte das nötige Selbstvertrauen mit, aber es wäre besser, wenn er schon vorher am Spielgeschehen beteiligt gewesen wäre“, sagte Lambert. „Man braucht Ballkontakte, um Selbstvertrauen zu tanken und ein Gefühl für den Ball und den Platz zu bekommen. Ein Gefühl für den Platz zu bekommen, klingt komisch, ist aber wichtig. Es ist für einen Spieler nicht einfach, kalt in die Partie zu kommen – er wäre lieber schon vorher auf dem Platz.“

      Lambert pflichtete Jordet und Michael Owen darin bei, dass die Medien, wenn auch vielleicht unbewusst, ihren Teil dazu beitragen, den Druck zu erhöhen. „Es gilt die Devise: Gute Nachrichten sind schön und gut, aber schlechte Nachrichten sind noch besser“, stellte er fest. „Die Spieler wissen, dass sie in den Zeitungen hierzulande zerrissen werden, wenn sie verschießen – ich glaube kaum, dass sich die Spieler in anderen Ländern den Kopf darüber zerbrechen müssen.“

      „Man kann die Wirklichkeit nicht zu 100 % nachstellen, das ist klar, aber wir können versuchen, 70 % oder 80 % zu erreichen“, erzählte mir Jordet. „Es geht darum, mit der richtigen Einstellung an die Sache heranzugehen. Spieler, die regelmäßig Elfmeter schießen, bringen diese Einstellung schon mit. Deswegen sind für mich die anderen, die nicht so häufig vom Punkt antreten, interessanter.“ Ein Blick auf die Spieler, die für England entscheidende Elfmeter verschossen haben – Waddle, Southgate, Batty, Vassell, Carragher, Ashley Cole –, deutet darauf hin, dass es sich für die Mannschaft durchaus lohnen könnte, Jordet mit unerfahrenen Elfmeterschützen arbeiten zu lassen. „Bei diesen Jungs ist es eine rein mentale Sache. Die Faszination des Elfmeterschießens ist, dass die Psychologie dabei die entscheidende Rolle spielt.“

      Elfmeter-Ikone

      Antonín Panenka

      Ich saß mit Antonín Panenka vor seiner Kneipe in einem Städtchen in der Nähe von Prag. Wir sinnierten über Spieler, nach denen Fußballtricks benannt wurden.

      „Da gibt’s den Cruyff-Turn“, sagte ich.

      „Ja, und die Zidane-Roulette“, entgegnete er.

      Und dann schwiegen wir und blickten in die Ferne. Hatten wir jemanden vergessen? Spieler wie Pelé, Maradona oder Puskás müssten doch irgendeinen Trick erfunden oder berühmt gemacht haben, oder? Und was ist mit der heutigen PlayStation-Generation, Lionel Messi, Cristiano Ronaldo, Neymar? Anscheinend nicht. „Damit bleiben also nur drei Spieler“, sagte ich. „Cruyff, Zidane und Panenka.“

      „Keine schlechten Spieler“, lachte er. „Ganz und gar nicht!“

      Panenka hatte einst eine neuartige Elfmetervariante erfunden, die heute nach ihm benannt ist. Mit dem Cruyff-Turn und der Zidane-Roulette erzielt man keine Tore. Sie entscheiden keine Spiele, und sie sichern keine Titel. Meiner Meinung nach ist ein Panenka in einem Elfmeterschießen wertvoller als ein herkömmlich geschossener Elfer, weil er der eigenen Mannschaft einen psychologischen Vorteil verschafft.

      Der Ursprung der Idee reicht bis ins Jahr 1974 zurück. Panenka spielte für die Bohemians Prag in einem Ligaspiel gegen Pilsen. Er war der Spielmacher, der kreativste und versierteste Mann im Team, aber nicht besonders schnell. Nach hinten arbeiten war auch nicht sein Ding, er neigte dazu, defensive Aufgaben zu vernachlässigen. „Ich hasste Tacklings“, bestätigte er mir gegenüber. Aber er hatte ein gutes Auge, und seine Mitspieler sahen ihm seine gelegentlichen Auszeiten nach, denn er bereitete viele Tore vor. Er schoss außerdem hervorragende Ecken, Freistöße und Elfmeter. Gegen Pilsen aber hatte er einen schlechten Tag erwischt. Er verschoss einen Elfmeter. Der Schiedsrichter ließ wiederholen. Er verschoss erneut. Später bekam er eine dritte Chance, und diesmal traf er, aber er war so sauer über seine beiden Fehlschüsse, dass er beschloss, härter zu trainieren.

      In den folgenden beiden Jahren blieb Panenka nach jeder Trainingseinheit mit Bohemians-Torwart Zden?ek Hruška auf dem Platz, um Elfmeter zu üben. Seine übliche Methode war, so lange zu warten, bis sich der Keeper bewegte, und den Ball dann in die andere Ecke zu schießen. Manchmal spielten sie um Geld, meistens aber um Bier und Schokolade. „Anfangs hielt er eine Menge, denn er war ein guter Torwart“, erzählte Panenka. „Aber dann überlegte ich mir neue Varianten. Ich lag nachts wach und dachte über einen Schuss in die Mitte nach. Ich wusste, dass sich Torhüter normalerweise für eine Seite entscheiden, aber wenn man den Ball zu hart schießt, kann er mit dem Bein parieren. Bei einem weniger harten Schuss hat er keine Chance, sofern er sich für eine Ecke entschieden hat.“

      Bei Panenkas neuartigem Elfmeter ging es darum, den Ball butterweich in die Mitte zu lupfen. Aber er würde es nur dann versuchen, wenn er sicher sein konnte, dass der Torwart in eine Ecke sprang. „Ich probierte es gegen Hruška und begann, unsere Duelle für mich zu entscheiden. Je mehr Schokolade ich gewann, desto dicker wurde ich!“

      Johan Neeskens hatte für Holland im WM-Finale 1974 einen ähnlichen Elfmeter verwandelt, aber eher aus Versehen: Er traf den Ball nicht voll und drosch ihn in die Mitte, während Sepp Maier nach rechts hechtete. Für die beiden Wissenschaftler Wolfgang Leininger und Axel Ockenfels hatte Neeskens damit für eine Innovation gesorgt: Er hatte die Tormitte zu einer Option für Elfmeterschützen gemacht. „Dadurch veränderte sich allmählich die Wahrnehmung des Elfmeterduells zwischen Torwart und Schützen von einem 2 x 2 [links oder rechts] zu einem 3 x 3 [links, Mitte, rechts].“6

      Neeskens’ Elfmeter hatte keinen Einfluss auf Panenka. Er hatte das Spiel gesehen, sich aber nicht vom Holländer inspirieren lassen. Neeskens habe den Ball schlecht


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