Elf Meter. Ben Lyttleton

Elf Meter - Ben Lyttleton


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was ist, wenn ich den hier halte?“

      „Dann haben wir gewonnen!“, antwortete Ayala.

      Roa neigte dazu, die Namen seiner Kollegen zu vergessen. Ayala glaubt, dass ihm diese Vergesslichkeit beim Elfmeterschießen geholfen hat.

      

      David Batty trat für England an. Er war für Darren Anderton ins Spiel gekommen, um die Defensive nach Beckhams Platzverweis zu verstärken. Er hatte noch nie einen Elfmeter geschossen und sich vor seinem Versuch bei Shearer erkundigt, wohin er schießen solle. „Ich riet ihm, in die Mitte zu schießen, aber auf dem Weg zum Punkt entschied er sich um“, sagte Shearer. Batty schoss halbhoch nach links, Roa ahnte die richtige Ecke und entschied das Elfmeterschießen für seine Mannschaft.

      „Roa war klasse“, sagte Ayala, „aber ich könnte trotzdem nicht sagen, warum England das Elfmeterschießen verloren hat. Wir waren enttäuscht, das Spiel nicht in der regulären Spielzeit gewonnen zu haben, aber wir hatten ebenfalls keine Elfmeter trainiert. Ich glaube, Roa bewegte sich schneller als Seaman, und wir schossen ein bisschen besser vom Punkt. Manchmal ist das eben so.“

      Für Gianluigi Buffon werden Elfmeter ein ewiges Rätsel bleiben. Der italienische Torwart gewann das WM-Finale 2006 gegen Frankreich im Elfmeterschießen und stand auch im Viertelfinale der EM 2012 im Tor, als die Engländer im Duell vom Punkt einmal mehr den Kürzeren zogen. „Ich verliere lieber in der regulären Spielzeit als im Elfmeterschießen“, sagte er. „Meiner Meinung nach ist entscheidend, welche Spieler weniger erschöpft sind und sich noch etwas besser konzentrieren können.“ Buffon ist ein intuitiver Torhüter. Während der englische Torwart Joe Hart am Tag vor dem Spiel darüber sprach, die Gewohnheiten der italienischen Spieler zu analysieren, scherzte Buffon, stattdessen lieber Pornos gucken zu wollen.

      Beim Elfmeterschießen 2012 hielt Hart keinen einzigen Elfmeter, Buffon hingegen einen, den von Ashley Cole. „Ich sah, dass er darauf wartete, dass ich auf eine Seite sprang, aber ich blieb so lange stehen, wie es ging. Als ich dann die richtige Ecke ahnte, konnte ich den Ball halten.“ Italien war bereits im Vorteil, nachdem Andrea Pirlo beim Stand von 1:2 mit einem perfekten Panenka-Heber für den Ausgleich gesorgt hatte. „Das gab uns den Glauben, es zu packen“, bestätigte Buffon. „Pirlo drehte das Elfmeterschießen zu unseren Gunsten. Nach seinem Tor wirkten die englischen Spieler frustriert, als hätten sie etwas von ihrer Entschlossenheit verloren.“

      Trotz des Triumphs bei der WM 2006 glaubt Buffon nicht, dass es so etwas wie ein Erfolgsrezept für Elfmeterschießen gibt. „Ich glaube nicht, dass man da jemandem Ratschläge erteilen kann“, sagte er. „Empfiehlt man dem Torwart, möglichst lange stehen zu bleiben, kommt er bei einem platzierten Schuss selbst dann zu spät, wenn er die richtige Ecke ahnt. Manche Spieler bevorzugen eine bestimmte Seite, aber das weiß jeder. Beim Elfmeterschießen ist eine Menge Glück dabei, aber auch die Geschichte spielt eine Rolle, weil sie sich auf das Selbstvertrauen auswirkt. Italien hat sein Trauma überwunden: Wir haben in den 1990er Jahren so viele Elfmeterschießen verloren [vier: 1990, 1994, 1996, 1998], aber 2006 haben wir dann die WM gewonnen. Letzten Endes kann man also nie wissen, was passiert.“

      Pirlo wusste selbst beim Anlauf noch nicht, dass er einen so unverschämten Schuss wagen würde. Erst in letzter Sekunde entschied er sich, denn Joe Hart machte, wie Pirlo sagte, „allerlei Sperenzchen auf der Linie“. Sobald Hart sich bewegte, fasste Pirlo seinen Entschluss. „Ich musste die beste Lösung finden, um das Risiko des Scheiterns auf ein Minimum zu reduzieren“, sagte er. „Es war improvisiert, ich hatte das nicht vorher festgelegt. Ich glaubte, nur so meine Erfolgsaussichten maximieren zu können. Ich wollte keine Show abziehen. Das ist einfach nicht meine Art. Wegen der ganzen Reisen zwischen Polen und der Ukraine hatten wir vor dem Spiel kaum Zeit gehabt, überhaupt zu trainieren, wie hätte ich den Trick also einstudieren können? Ich tat es aus reiner Berechnung – in dem Moment war es die am wenigsten riskante Variante. Es war die sicherste und effektivste Option. Nach dem Spiel meinten meine Kollegen: ‚Andrea, bist du verrückt?‘ Sie waren fassungslos. Aber ich war nicht verrückt. Ich wusste genau, was ich tat.“

      Ich fragte Englands erfolgreiche Schützen gegen Argentinien, Alan Shearer und Michael Owen, warum Elfmeterschießen für England zu einem solchen Problem geworden waren. Shearer meinte, es fehle einfach das Glück. „Wir brauchen fünf Jungs, die im entscheidenden Moment ihre Nerven im Griff haben, und wir brauchen Glück und Mut. Das sollte uns ans Ziel bringen.“ Ich wies ihn darauf hin, dass wir 1996 gegen Deutschland fünf solcher Jungs gehabt hatten. „Das stimmt, aber die wenigsten Elfmeterschießen dauern länger als fünf Runden. Wenn wir es erst einmal geschafft haben, sind wir mental darüber hinweg.“

      Owen war überzeugt davon, dass die Spieler die früheren Elfmeterschießen im Kopf hatten. „Das Selbstvertrauen ist ein gewaltiger Faktor bei Elfmetern, und weil ich schon ein Tor aus dem Spiel heraus gemacht hatte, war ich sicher, auch den Elfer zu versenken. Ich habe keine Ahnung, warum England im Elfmeterschießen verliert, aber ich denke schon, dass die vergangenen Niederlagen immer im Hinterkopf sind.“

      

      Ist es also eher Kopfsache als eine Frage der Technik? Shearer zufolge schon. „Ja. Je länger wir auf einen Sieg warten, desto schwieriger wird es, es ist dann ein mentales Problem.“ Owen ergänzte, dass die Spieler die Erwartungen im Griff haben müssten. „Die Kraft der Gedanken ist nicht zu unterschätzen“, sagte er, „und der Druck von außen spielt gewiss eine Rolle.“

      Zum Faktor Angst meinte Shearer außerdem: „Ich kann nur für mich sprechen, aber den größten Druck verspürte ich wegen meiner Kollegen, den 22 Jungs im Kader, und den Betreuern, mit denen ich einen Monat verbracht hatte und die ich nicht im Stich lassen wollte. Du darfst keine Angst haben, einen Elfmeter zu schießen. Wenn du Angst hast, hast du schon verloren.“

      Ich stellte den beiden Stürmern eine letzte Frage: Wird England je wieder ein Elfmeterschießen gewinnen?

      Shearer: „Mit ein bisschen Glück schon.“

      Owen: „Klar werden wir!“

      Elfmeter-Ikone

      Matt Le Tissier

      Matt Le Tissier erlebte die Niederlage gegen Argentinien bei der WM 1998 im Haus von Francis Benali, einem Freund und Kollegen beim FC Southampton. Je näher das Elfmeterschießen rückte, desto aufgebrachter wurde er. Le Tissier hatte seit fünf Jahren keinen Elfmeter mehr verschossen, und Hoddles Entscheidung, ihn nicht für das Turnier zu berücksichtigen, hatte allgemein für Verwunderung gesorgt (zumal er nur eine Woche vor der Nominierung des Kaders einen Hattrick für die B-Nationalmannschaft erzielt hatte). „Ich war schon erstaunt, dass ich angesichts meiner Elfmeterbilanz nicht dabei war“, erzählte Le Tissier mir. „Bei einem Kader von 23 Spielern sind am Ende immer vier oder fünf dabei, die keine einzige Minute auf dem Platz waren, warum also nicht einen Elfmeterspezialisten mitnehmen, nur für den Fall, dass man vielleicht einen braucht. Ich hatte eine gute Quote vom Punkt.“

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       Sicherer englischer Elfmeterschütze: Matthew Le Tissier. Trotzdem stand er bei der WM 1998 nicht im Kader.

      Sogar mehr als gut: In seiner ganzen Karriere vergab Le Tissier nur einen einzigen Elfmeter, 1993 gegen Nottingham Forest, und verwandelte alle anderen 47. Wenn er eine Weile keinen hatte schießen müssen, trainierte er umso mehr und bot Torhütern aus Jugendmannschaften, die damals 40 Pfund die Woche verdienten, zehn Pfund für jeden gehaltenen Elfmeter. „Hin und wieder musste ich zahlen“, erinnerte er sich. „Aber nur ganz selten.“

      Das Geheimnis ist Le Tissier zufolge, sich darauf zu freuen, einen Elfmeter schießen zu dürfen. „Ich mochte es, wenn das ganze Stadion auf mich schaute, das tat meinem Ego gut. Außerdem schoss ich gerne Tore, und das war die einfachste Art, eins zu schießen, vor allem, weil ich nicht mal laufen musste!“ Er wartete ab, für welche Ecke sich der Torwart entschied, visierte aber stets seine natürliche Seite an, denn das machte es leichter, den Körper im letzten Moment zu verlagern und gegebenenfalls


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