Die Robinson-Morde. Gretelise Holm

Die Robinson-Morde - Gretelise Holm


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Großen und Ganzen unkompliziert verlaufen oder, wie sie selbst scherzhaft zu sagen pflegte, »wie im Bilderbuch«. Sie war auf dem einen der beiden großen Höfe der Insel geboren und hatte sich als Achtzehnjährige mit dem Sohn des anderen verlobt. Sie hatten geheiratet, als Johan seine landwirtschaftliche Ausbildung beendet hatte und sie Krankenschwester geworden war, sie hatten zwei wohlgeratene Kinder bekommen, die sie wohl bald zu Großeltern machen würden.

      Der bislang größte Skandal in ihrem sozialen Leben war, als der Wein bei der Silberhochzeit zu schnell ausgegangen war, weil sie den Durst der Gesellschaft unterschätzt hatte. Das hatte zu einer Reihe gutmütiger Frotzeleien geführt und die Inselrevue hatte ein Lied davon erzählt, wie ihre Gäste mit trockenen Gaumen dasaßen.

      Von außen betrachtet war sie eine ausgeglichene, tüchtige und ordentliche Person, die in jeder Hinsicht der Rolle einer weiblichen Stütze der Gesellschaft entsprach. Sie hatte eine ansehnliche Karriere in der Pflegebranche gemacht und war zugleich Hausfrau und Mutter in einem Haus, in dem man nie die Tür verschließen oder sich verstecken oder so tun hatte müssen, als sei niemand zu Hause, wenn es an der Tür klingelte.

      Doch in letzter Zeit nagten an ihr Zweifel. Sie hatte versehentlich eine Unterhaltung ihrer erwachsenen Kinder mit angehört, die erklärt hatten, dass es einfach zu langweilig war, die Eltern länger als einen Tag zu besuchen.

      Gleichzeitig begann sie das Ende am Horizont zu ahnen und die Frage tauchte auf: War das schon alles? War das das wahre Leben, das einzige, was sie hatte?

      Würde sie in 25 Jahren wie Johanne herumlaufen und mit dem Leben abrechnen: »Ich bereue, dass ich zuviel Zeit mit Fenster putzen verbracht habe – und mit dem Einberufen von Personalversammlungen und dem Abwischen von anderer Leute Hintern, dem Austeilen von Medikamenten, mit Einkaufen und Kochen und ...«

      Als junges Mädchen hatte sie einmal bei einer Charterreise eine wilde Woche auf Mallorca verbracht und bei ihrer Rückkehr nach Skejø beschlossen, Reiseleiterin zu werden. Aber Mutter und Vater hatten protestiert. So ein Unsinn hätte doch keine Zukunft. Das sah sie selbst genauso, als die Orgie ihres Lebens allmählich in Vergessenheit geriet.

      Die letzten zehn Jahre hatten sie und Johan die Ferien immer an demselben Ort auf Kreta verbracht, weil Johan am liebsten dorthin zurückkehrte, wo er sich auskannte.

      Sie selbst spürte eine wachsende Sehnsucht nach dem Unbekannten und Gefährlichen, nach dem, das einem das Gefühl gab, lebendig zu sein.

      »Wenn du Veränderung brauchst, können wir dieses Jahr nach Malta fliegen«, hatte Johan vorgeschlagen und sie erstaunt angesehen.

      Sie brauchte wirklich Veränderung, aber das war keine Frage von Kreta oder Malta.

      Johan und ihre langjährige Ehe waren ein Teil des Problems. Die Arbeit mit den Alten und Sterbenden im Center ein anderes. Sie fühlte, wie die Verzweiflung wuchs und da sie in vieler Hinsicht eine nüchterne und tatkräftige Frau war, hatte sie beschlossen, dass etwas passieren musste. Sie hatte angefangen, die Tür zu ihrem Büro abzuschließen. Sie wollte ungestört arbeiten, sagte sie dem Personal. Hinter der verschlossenen Tür begann sie jedoch, die Möglichkeiten des Internet zu erforschen.

      Es gab keine Bestimmungen über die Beschäftigung von Satanisten, weshalb Inger-Margrethe, als sie zum ersten Mal mit der Tatsache konfrontiert wurde, dass der nette, junge Mann, der die Böden im Center putzte, Satanist war, sich damit begnügte, mit den Schultern zu zucken und sich zu wundern, auf was die Jugend heute alles kamen. Sie persönlich hatte ein sehr entspanntes Verhältnis zur Religion. Für sie war die Kirche eine Institution, die für Weihnachten, Kindstaufen, Hochzeiten und Begräbnisse zuständig war.

      Doch als Sune Kwium ihr jetzt glattweg eine Beschwerde auf den Tisch legte, sah sie ein, dass es vermutlich nicht so günstig war, einen erklärten Satanisten zwischen den Alten und Sterbenden herumlaufen zu lassen, von denen viele sehr christliche Menschen waren. Vor allem nicht, nachdem diese Gerüchte über das vorzeitige Ableben der Alten zu kursieren begonnen hatten. Gerüchte, die sie mehr bekümmerten als irgendjemand ahnte.

      Deshalb rief sie an diesem Morgen Mikael mit dem satanischen Namen Wolf in ihr Büro und sagte ihm, dass er seine Arbeit tadellos gemacht hatte, einige der Alten jedoch wegen des Satanismus beunruhigt waren und er sich deshalb nach einem neuen Job umsehen musste.

      »Es tut mit Leid, aber für die meisten Menschen ist der Satanismus eben etwas sehr Grenzüberschreitendes«, sagte sie.

      Er sah sie ruhig an, in seinem Blick lag fast etwas Hypnotisches. Sie bemerkte die kleinen grünen Splitter in der braunen Iris und spürte einen seltsamen Schauder entlang ihres Rückgrats und ein Ziehen in der Beckengegend.

      »Ja, er ist grenzüberschreitend«, antwortete er. »Es ist Teil meines Glaubens, dass wir die Grenzen der christlichen Kultur überschreiten müssen, um ein natürliches Leben leben zu können. Und wir werden uns keine Scham über unsere Natur einreden lassen.«

      »Nun gut, mit diesen Dingen kenne ich mich nicht aus«, antwortete Inger-Margrethe scheinbar unbeeindruckt, aber in Wirklichkeit verstand sie sehr gut und seine Worte machten Eindruck.

      »Das sollten Sie aber. Sie leben nur einmal«, sagte Wolf und stand auf.

      Sie blieb mit dem Gefühl sitzen, dass er gewonnen und sie verloren hatte.

      Wolf hätte sich einerseits gut vorstellen können, die Frage der Grenzen der Religionsfreiheit vor dem Arbeitsgericht klären zu lassen, doch war er andererseits sehr zufrieden, gefeuert zu werden, sich voll seiner Internet-Mission widmen zu können und noch dazu Arbeitslosengeld zu kassieren. Deshalb nahm er die Kündigung einfach zur Kenntnis und ging unbekümmert nach Hause zu Belia und Lucy.

      Sune Kwium war so zufrieden über die Kündigung, dass er davon Abstand nahm, sich beim »Ekstra Bladet« zu beklagen. Außerdem war er vollauf damit beschäftigt, die Besitztümer des Vaters verkaufsklar zu machen. Er steckte nämlich in einer unangenehmen finanziellen Klemme.

      Wenig später am Tag wusste fast jeder auf der Insel, dass der Satanist gefeuert worden war und die meisten empfanden, was die Alten anging, eine gewisse Erleichterung.

      Da Didrich Skraedder und seine Nachbarn, der Lehnsmann und der Bischof nun überzeugt waren, dass in Ribe eine Hexe ihr Spiel trieb, galt es nur noch, die Schuldige zu finden. Man fragte den Schreiner, ob er irgendwelche weiblichen Feinde habe. Am 16. März 1637 – sechs Tage nach dem Erbrechen – erinnerte Didrich sich plötzlich an eine alte Begebenheit: Vor 13 Jahren hatte er sich mit Maren Splids gestritten und bei dieser Gelegenheit hatte sie ihm Unglück gewünscht.

      Das erzählte er allen und bevor die Sonne unterging, war Stadtgespräch, dass Maren Splids Didrich Skraedder verhext hatte.

      Das war der kleine historische Vorspann zu Karins Kapitel über Volksstimmungen, Beschuldigungen, Gerüchte, Medien und Hetze.

      Die Arbeit ging ihr so gut von der Hand, dass sie sich über die Termine ärgerte, die sie für die Interviews gemacht hatte, aber es führte kein Weg daran vorbei.

      Sie zog ein körperbetonendes Top an, eine lose Jacke und eine gut sitzende Caprihose. Wegen ihres schmerzenden Knies konnte sie nur flache Schuhe und Sandalen tragen und danach musste sie ihre Garderobe ausrichten.

      An erster Stelle auf ihrer Liste stand die Vorsitzende des Inselvereins, Inger-Margrethe Jörgensen. Sie war eine Schlüsselfigur, da sie hinter dem beharrlichen und erfolgreichen Versuch stand, die Insel als attraktiven Lebensraum für Zuzügler zu vermarkten. Danach stand Doktor Wad auf dem Programm, für den die Arztpraxis auf der Insel bestimmt nicht mehr als ein Pensionärsjob war.

      Wenn sie die Inselproblematik mit ihnen durchgesprochen hatte, wollte sie vorsichtig auf den ungewöhnlichen Zwischenfall bei Gustav Kwiums Begräbnis zu sprechen kommen sowie auf die Gerüchte, die dieser ins Leben gerufen hatte. Diese Geschichte beschäftigte sie am meisten, auch wenn sie nur eine vage Vorstellung davon hatte, wozu sie sie gebrauchen konnte.

      In den Gängen des Altenheims war es vorbildlich sauber und für eine derartige Institution eigentlich recht gemütlich – mit den Vasen mit Blumen und den guten Reproduktionen an den Wänden,


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