Die Robinson-Morde. Gretelise Holm

Die Robinson-Morde - Gretelise Holm


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Einige meinten, ihn in einer intimen Situation mit der einen gesehen zu haben, während andere ihn mit der zweiten oder der dritten gesehen haben wollten. Vor allem in der ersten Zeit erzählte man sich viele Geschichten über Sexorgien auf dem Blomme-Hof. Und die Männer rätselten mit schlecht verborgenem Neid, was an diesem kleinen, kurzbeinigen Mann mit der Halbglatze so attraktiv sein mochte, dass gleich drei Frauen sich ihm zur Verfügung stellten.

      Im Grunde genommen wusste niemand, wie es sich verhielt und mit den Jahren hatte die Sache an Interesse verloren. Die Vier wurden als »die Alternativen« akzeptiert, ja, sie waren sogar recht wohlgelitten, weil sie freundliche Menschen waren, die Unterhaltung und frischen Wind auf die Insel brachten und aktiv am Inselleben teilnahmen.

      Sie wohnten am südlichen Ende der Insel, wo sie jetzt das »Blomme-Hof Therapeutenkollektiv« betrieben.

      So war es nicht immer gewesen. Vor zehn Jahren waren sie aus Kopenhagen gekommen und hatten die größte Obstplantage der Insel gekauft, um sich als Obstbauer niederzulassen. Es hieß, dass die Frauen das Geld hatten und Franz die Ideen.

      Bereits in der ersten Woche beriefen die vier Zugezogenen alle Obstanbauer Skejøs zu einem Treffen ein, auf dem sie vorschlugen, die gesamte Produktion der Insel auf ökologischen Obstanbau umzustellen. Franz hatte ein kleines Handbuch über ökologisch angebaute Äpfel mitgebracht, aus dem er laut vorlas.

      Die Inselbewohner hörten ihm freundlich und interessiert zu, gingen jedoch nach Hause und bauten ihr Obst weiter so an, wie sie es seit Generationen getan hatten. Franz folgte den Ratschlägen aus seinem Handbuch und nach drei Jahren waren er und die drei Frauen pleite, weil Krankheiten und Ungeziefer ihre große Plantage befielen und sie praktisch nichts über Obstanbau wussten. Angeblich hatten sie vier Millionen Kronen verloren.

      Es war ein netter Zug der Inselbewohner, dass sie sich nicht an dem Misserfolg der verrückten Kopenhagener weideten. Ganz im Gegenteil, sie unterstützten sie in vieler Hinsicht in der Krise und man kam überein, Franz und die Frauen auf dem Hof wohnen zu lassen, während die Plantage verkauft wurde.

      Zum Glück zeigte es sich, dass die vier sowohl über unterschiedliche Begabungen als auch über interessante ausländische Diplome verfügten. Franz zum Beispiel war ein in Australien ausgebildeter Psychotherapeut und die Frauen hatten Diplome in Fußreflexzonen-Therapie, Schall-Therapie, Numerologie und einigem anderen. Und sie verstanden es, der Entwicklung auf dem alternativen Markt zu folgen. Als Geisterbeschwörungen in Mode kamen, reiste Franz nach Berlin und machte einen Schnellkurs bei einem der führenden europäischen Geisterbeschwörer, der feststellte, dass Franz ein ausgezeichnetes Medium war. Jetzt besaß er ein Zertifikat, das ihm bescheinigte, Kontakt zu den Geistern mehrerer berühmter verstorbener Deutscher gehabt zu haben.

      Nach einer dänischen Fernsehserie über Geister, zeigten die luftigen Phänomene sich auch auf Skejø und Franz hatte einige Male ausrücken müssen, um Gespenster aus alten, mit Stroh gedeckten Fachwerkhöfen zu vertreiben.

      Die Initiative zu der Veranstaltung über die »Macht der Geister« im Dorfgemeinschaftshaus war von Franz ausgegangen und er war froh, dass die Gemeindepfarrerin sich auch bereit erklärt hatte zu sprechen, weil das der Veranstaltung einen öffentlichen Anstrich gab. Er würde ihr die erste halbe Stunde überlassen, dann wollte er selbst über seine Erfahrungen mit Geistern berichten.

      Den Höhepunkt des Abends sollte eine Seance bilden, wo er versuchen wollte, mit dem verstorbenen Gustav Kwium in Kontakt zu treten, da das hässliche Gerücht umging, dass der alte Lehrer keines natürlichen Todes gestorben war. Es war schon unheimlich, dass im Altenheim Satanisten beschäftigt wurden, hatte der Sohn des Verstorbenen, Sune Kwium, zu Franz gesagt, und sie hatten ein Abkommen getroffen.

      Karin Sommer versuchte, sich auf die Worte zu konzentrieren, die aus dem Mund der Gemeindepfarrerin kamen und schrieb zum Schein etwas in ihren Block. Aber ihre Gedanken gingen immer wieder auf Reisen, weil das Sammelsurium aus Bibelstellen, die die Pfarrerin zitierte und erklärte, weder Hand noch Fuß hatte.

      Sie begann sich zu ärgern, dass sie einen Abend auf diesen Geisterschwachsinn verschwendete, statt an ihrem Buch zu arbeiten, aber schließlich kam Anna Skov zum Ende, woraufhin die Leute höflich zehn Sekunden lang klatschten und keine Fragen hatten.

      Dann betrat der kleine, charismatische Mann, der Heiler-Franz, das Rednerpult. Er hatte eine wasoben-fehlt-muss-unten-ersetzt-werden-Frisur, einen kahlen Schädel mit einem Ring langen Haars, das in einem Pferdeschwanz gebündelt war, und seine ganze Person strahlte Energie aus.

      Er erzählte begeistert, wie Deutschlands prominenteste Medien bei einer geschlossenen Seance in Berlin den Atem angehalten hatten, während er – Franz – in Kontakt mit dem Geist des verstorbenen Staatsmannes Willy Brandt getreten war. Der Geist hatte Dinge enthüllt, die so privat waren, dass Franz sie auf Grund seiner Berufsethik hier auf der Veranstaltung nicht erwähnen mochte, doch war die Richtigkeit der Informationen des Geistes von Leuten aus Brandts engstem Kreis bestätigt worden!

      Wirkungsvolle Pause. –

      Franz fuhr fort, indem er über weitere seiner Geisterheldentaten im Ausland berichtete, und auch auf Skejø hatte er ebenfalls erfolgreich einige Wohnungen von Höllenplagen befreit.

      »Ich weiß nicht, woher die Fähigkeit kommt oder warum gerade mir diese Gabe gegeben wurde«, schloss er bescheiden und bekam erheblich mehr Applaus als die Pfarrerin.

      Fragen?

      Ja, es gab Fragen, und viele wollten das Gehörte kommentieren.

      »Und Sie, Sune Kwium?«

      »Ich möchte gerne mit meinem Vater sprechen«, sagte der Mann mit dem akkurat gescheitelten Haar.

      Der Heiler-Franz sah nachdenklich aus:

      »Das geht nicht einfach so auf Bestellung.«

      »Können Sie es nicht wenigstens versuchen?«

      »Das erfordert Konzentration und Kraft. Vielleicht gelingt es auch nicht.«

      »Ein Versuch kann doch nicht schaden«, insistierte Sune Kwium.

      »Wie viele von Ihnen sind der Meinung, dass ich hier und jetzt versuchen soll, Kontakt zu der Welt der Geister aufzunehmen?«, fragte Franz in den Saal.

      Ungefähr die Hälfte zeigte auf.

      »Ich will es gerne versuchen, doch diejenigen, die sich jetzt nicht darauf konzentrieren können, werden freundlichst gebeten, den Raum zu verlassen – 20 Minuten Pause für die, die nicht teilnehmen wollen.«

      Nur eine Person stand auf, und das war die Pfarrerin.

      Sie flüsterte Karin zu: »Ich möchte Sie bitten, sich zu notieren, dass ich den Raum während der spiritistischen Seance verlassen habe.«

      Karin nickte. Mehrere Pfarrer der Staatskirche hatten wegen ihres Engagements auf dem spiritistischen Markt Ärger mit ihren Bischöfen bekommen.

      Karin blickte in das ebenmäßig schöne, aber irgendwie ausdruckslose Gesicht der Pfarrerin. Was war ihr Geheimnis? Was tat sie mitten in der Nacht im Leichenhaus?

      Kurz darauf nahm Einar, der Leichenbestatter, den Platz neben Karin ein, den die Pfarrerin freigemacht hatte.

      »Das gibt Stoff für die Inselrevue«, flüsterte er mit einem breiten und erwartungsvollen Lächeln.

      Karin lächelte zurück.

      »Ist hier wer? Ist hier wer? Gustav Kwium, dein Sohn möchte in Kontakt mit dir treten! Bist du da? Ist hier wer?«

      Der Heiler-Franz saß mitten im Raum auf einem Hocker und rief den Geist. Er saß vornüber gebeugt, die Ellenbogen auf den Knien und den Kopf in den Händen. Seine Augen waren in tiefer Konzentration geschlossen und das Publikum war der Aufforderung nachgekommen, einander bei den Händen zu fassen und sich auf den Kontakt zu der Welt der Geister zu konzentrieren.

      »Ja? Du bist da? Du bist zornig? Warum bist du zornig? Ja, wir wissen, dass du in einem großen, roten Haus mit vielen Menschen gewohnt hast. Möchtest du etwas zu deinem Sohn sagen? Du sagst, dass du jetzt Frieden hast. Du sagst, dass


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