Die Robinson-Morde. Gretelise Holm

Die Robinson-Morde - Gretelise Holm


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der Insel schreiben und er konnte ihr bestimmt mehr als eine Perspektive eröffnen.

      Da war zunächst einmal das kulturelle Leben, wie er es im Spielmannszug und als Vorsitzender des Festkomitees erlebte.

      Karins Interviewtechnik lebte zum Großteil davon, den Leuten ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln, indem sie grundsätzlich mit unkontroversen Themen oder mit etwas anfing, von dem die zu interviewende Person ihrer Meinung nach gerne reden wollte.

      Mit der Frage nach dem kulturellen Leben auf der Insel öffnete sie meist auch eine Schleuse für harmlose Geschichten und Anekdoten, die nur für die Betroffenen oder ihre Familien oder Freunde lustig waren. Und sie hörte von den Geschehnissen des Jahres: von den Weihnachtsfesten, dem traditionellen Pfingstball, der zur Obstbaumblüte stattfand, von den Herbstfesten und – nicht zuletzt – von Amateurtheater und Inselrevue, wo man mit Hilfe der Komik abweichendes Verhalten verdeutlichen, diskret korrigieren und aufgeblasene Personen eventuell auf den Boden der Tatsachen zurückholen konnte.

      Dieses Jahr hatte es vor allem den neuen Polizisten, Steffen Jespersen, erwischt, der anfangs ein wenig zu eifrig gewesen war. An einem seiner ersten Dienstage auf der Insel hatte er einen Inselbewohner getroffen, der entgegen der Vorschriften seinen Hund am Strand frei laufen ließ. Hierauf hatte der Polizist dem Gesetzesbrecher resolut befohlen, das Tier auf dem Arm nach Hause zu tragen. Bevor die Sonne untergegangen war, hatten alle 600 Einwohner der Insel die Geschichte gehört und als die Szene bei der jährlichen Revue im Dorfgemeinschaftshaus aufgeführt wurde, wollte das Lachen kein Ende nehmen.

      Ja, früher hatte es auch noch die Feste des Junggesellenklubs gegeben, zu denen man Mädchen von drüben einlud in der Hoffnung, dass Paare zueinander fanden und den Bestand der Inselbewohner sicherten. Heute erledigte man so etwas mit Hilfe der entsprechenden Internetseiten. Dafür war der Inselverein sehr aktiv, wenn es galt, Interesse an Zuzügen zu wecken. Er war mit Repräsentanten und Broschüren auf den Festen und Märkten vertreten und stand mit verlockenden Schilderungen der Vorteile des Insellebens und dem Angebot billiger Häuser hinter der Homepage der Insel.

      »Aber darüber müssen Sie mit Inger-Margrethe sprechen, der Centerleiterin im Altenheim. Sie ist die Vorsitzende des Inselvereins«, sagte Einar.

      »Darf ich Ihnen einen Calvados zum Kaffee anbieten?«, fuhr er fort und stellte eine Karaffe auf den Tisch. Der Apfelbranntwein wies eine unverkennbare Geschmacksgleichheit mit dem Selbstgebrannten auf, den es bei Tante Agnes gab.

      Karin sah, dass seine Hände leicht zitterten, während er einschenkte. Sie hatte überhaupt das Gefühl, dass der Heiterkeit und Jovialität des Leichenbestatters etwas Angespanntes und Gewolltes anhaftete.

      Dann redeten sie über das Bestattungsunternehmen.

      »Viele Menschen finden diese Arbeit möglicherweise ein wenig ...«, begann Karin.

      »Morbide und unangenehm?«, fuhr der Leichenbestatter mit einem Lächeln fort. »Aber ich sehe das anders. Eigentlich mag ich es, Leichen herzurichten. Die Menschen sind im Tod oft viel schöner. Alle Masken sind gefallen und ich kann den wahren Menschen sehen ...«

      »Nur dass er vermutlich kein Mensch mehr ist?«

      »Stimmt, wenn man es philosophisch betrachtet«, antwortete er und kratzte sich im Nacken.

      Karin wechselte das Thema und erkundigte sich, was normalerweise bei einem Todesfall passierte.

      »Also, wenn der Leichenbestatter von den Angehörigen oder dem Personal des Altenheims benachrichtigt worden ist, ruft er die Pfarrerin an und sie suchen gemeinsam das Haus oder Altenheim auf, um den Toten in den Sarg zu betten.«

      »Warum die Pfarrerin?«, fragte Karin.

      »Nun ja, sie möchte das gerne und sie ist gut darin. Bestimmt war sie früher Krankenschwester oder so etwas. Und dann hält sie eine Andacht und begleitet den Toten mit Gesang aus seinem Heim. Anschließend fahren wir den Sarg zum Leichenhaus, wo noch einmal eine kleine Andacht abgehalten wird – und dort bleibt der Sarg bis zur Beerdigung oder Beisetzung. Heute wollen die meisten verbrannt werden, was heißt, dass sie rüber müssen aufs Festland. Nach dem Beerdigungsgottesdienst fährt der Leichenzug langsam die Orte auf der Insel ab, die im Leben des Verstorbenen von Bedeutung waren und dann geht es zur Fähre, wo Familie und Angehörige Abschied nehmen, während ich mit dem Leichenwagen an Bord mitfahre.«

      »Sie sind auch Gemeindevorsteher – haben Sie schon einmal bei einem Todesfall von Ihrer Dienstmütze Gebrauch machen müssen, um die Polizeibehörde zu vertreten?«, fragte Karin.

      »Ja, wir hatten einen traurigen Selbstmord und in so einem Fall muss die Polizei gerufen werden. Auch wenn jüngere Menschen tot aufgefunden werden, ohne dass sich die Todesursache genau feststellen lässt, bedarf es einer Leichenschau und vielleicht einer Obduktion.«

      »Wenn alte Menschen sterben und sich die Todesursache nicht mit Sicherheit feststellen lässt ...«, begann Karin

      »Dann sind sie bestimmt nicht vom Inselrat abgewählt worden«, unterbrach sie Einar mit einem schiefen Lächeln. Karin fiel seine etwas zu hektische und schnelle Assoziation auf.

      »Ich meine, wenn ein alter Mensch stirbt, ohne dass die Todesursache mit Sicherheit festgestellt werden kann, wird er dann auch obduziert?«

      »Das liegt im Ermessen des Arztes, aber ich habe das noch nie erlebt. Meistens ist es wohl der natürliche Gang der Dinge und man wundert sich nicht, dass die Alten sterben. Wir alle müssen diesen Weg gehen. Zumindest als Leichenbestatter darf man das nicht vergessen.«

      »In so einem kleinen Ort wird viel geredet. Diese Episode in der Kirche gestern, wird die Anlass zu Gerede geben?« Karin drückte sich bewusst vage aus.

      »Ja, es wird viel geredet und Sie werden bestimmt von weiteren mysteriösen Todesfällen im Altenheim hören, weil diese Geschichte zur Zeit kursiert. Vermutlich weil es in der letzten Zeit ein bisschen häufig vorkam, aber es ist nichts Mysteriöses daran, wenn sehr alte und kranke Menschen sterben«, sagte der Leichenbestatter und schenkte ihnen beiden noch einen Calvados ein. »Doktor Wad hatte keine Bedenken, die Totenscheine auszustellen.«

      »Und einem anderen Sachkundigen ist auch nichts Ungewöhnliches aufgefallen?«

      Karin sah ihn direkt an und war sich sehr wohl im Klaren darüber, dass ihre Fragen aufdringlich waren.

      Der Leichenbestatter mit den blonden Locken war schlecht im Lügen.

      »Nee«, antwortete er und fokussierte scheinbar zerstreut ein Segelboot weit draußen auf dem Wasser. »Ist es nicht.«

      Karin ging zu einem unverfänglicheren Thema über, wie schön beispielsweise die Insel im Mai war.

      »Sie können damit rechnen, dass meine Frau Sie sicher bald zum Mittagessen einlädt. Sie wird sich ärgern, dass sie nicht zu Hause war, wenn sie hört, dass Sie hier gewesen sind. Sie sind in gewisser Weise Kolleginnen, wissen Sie«, sagte Einar.

      »Okay«, sagte Karin, die nach drei Calvados vergessen hatte, dass sie sich eigenlich den Gebrauch dieses Wortes verboten hatte.

      »Ja, Bente hat zwar eine Büroausbildung und arbeitet als Sekretärin für Doktor Wad, aber sie hat auch eine poetische Ader und schreibt Gedichte. Und sie hat oft davon gesprochen, dass sie jetzt, wo eine Autorin auf der Insel weilt, gerne die Meinung eines Profis hören möchte.«

      »Ja, dann grüßen Sie sie und vielen Dank für die Hilfe«, sagte Karin, als sie an den vielen, durchdacht angelegten und gut gepflegten Staudenbeeten entlang den Garten verließen.

      Einar, der Leichenbestatter, Gemeindevorsteher und somit Repräsentant der Ordnungsmacht kam an diesem Tag mit seiner Schreinerarbeit nicht weiter. Er dachte nach, dass es nur so rauchte. Diese Journalistin war an etwas dran, das ihm unter Umständen schaden konnte. Was sollte er tun? Fürs erste konnte er die Karaffe mit Calvados leeren, woraufhin er das Ganze schon etwas optimistischer sah.

      Irgendwann erwog er, sich Bente anzuvertrauen, aber nein. Manchmal war sie so umständlich und gesetzestreu. Eine Haltung, mit der man nicht weit kam, wenn man in einer so


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