Die Robinson-Morde. Gretelise Holm

Die Robinson-Morde - Gretelise Holm


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      »Im Therapeutenkollektiv findet Mittwoch eine Veranstaltung statt. Ich werde über die Macht des Geistes sprechen. Ich denke, dass dort Stoff für Ihre Artikel zu holen ist«, sagte Anna Skov mit einer gewissen Geheimnistuerei in der Stimme.

      Ja, ein richtiger Knüller wird das, dachte Karin und lächelte insgeheim. Laut sagte sie: »Ja, darüber würde ich schon gerne mehr hören. Leider habe ich keine Zeit zu kommen. Ich schreibe ja auch noch an einem Buch.«

      »Über Hexen, nicht wahr? Wie spannend!«, sagte Anna Skov.

      »Nicht so sehr über Hexen wie über die Hexenjagd, über ihren Hintergrund und ihre Elemente.«

      »Dann dürfen sie die Medien nicht vergessen!«

      »Das tue ich auch nicht«, antwortete Karin.

      Viele kamen zu Karin, um sie zu bitten, nicht über die Episode in der Kirche zu schreiben.

      Unter anderem die Leiterin und Krankenschwester Inger-Margrethe Jörgensen aus dem Seniorenservicecenter: »Ja, ich meine nur, dass es in meinen Augen nahezu unethisch wäre, so einen alten Menschen in der Zeitung bloßzustellen.«

      Und Sune Kwium, der Sohn des verstorbenen Lehrers, der erzählte, dass er Ministerialdirektor in einem Amt in Kopenhagen war: »Wir sind froh, dass Vater endlich seinen Frieden gefunden hat. Zuletzt ging es ihm ziemlich schlecht, er hat sich sehr gequält und selbst gewünscht ... Ich meine, er war des Lebens müde, wie man so sagt. Wir möchten die Erinnerung an ihn gerne schützen. Sein Begräbnis soll nicht zu einer Anekdote gemacht werden.«

      »Natürlich nicht«, antwortete Karin. Es schien ihr Jahrzehnte her zu sein, einem Mann mit einem so akkuraten Seitenscheitel begegnet zu sein.

      Schließlich näherte sich auch die Pflegehelferin Britta Olsen Karin scheu von der Seite. Sie hatte in der Kirche neben ihr gesessen. Die Frau mittleren Alters bekam ein Stück Kranzkuchen in den falschen Hals und musste mit einem gewaltigen Hustenanfall kämpfen, bevor sie hervorbringen konnte: »Es wäre Johanne gegenüber nicht richtig, wenn Sie schreiben würden ...«

      »Hören Sie auf. Glaubt ihr eigentlich alle, dass Journalisten bar jeden Taktgefühls sind?«

      »Nein, Entschuldigung«, stammelte Britta und sah zu Boden. »Entschuldigung, ich wollte nur ...«

      »Ist schon in Ordnung«, sagte Karin und sah mitfühlend auf die Kopfhaut der kleinen, unsicheren Frau hinunter, die so wenig Haare hatte, das da, wo die Dauerwelle das Haar in verschiedene Richtungen zog, kahle Stellen zu sehen waren.

      »Ja, Entschuldigung«, sagte Britta und trottete zurück zu der Gruppe des Pflegepersonals.

      Sie blieb ein wenig abseits von den Kollegen stehen, die keine Notiz von ihr nahmen, sondern mit gedämpften, dem Anlass entsprechenden Stimmen in ihrem Gespräch fortfuhren.

      Karin fuhr Agnes nach Hause und half ihr in das elektrische Bett, von dem aus sie an die Fernbedienung für den Fernseher, ihre Zigarillos und den Pieper kam, mit dem sie das Personal des Centers erreichen konnte.

      »Wie war Gustav Kwium eigentlich?«, fragte sie.

      »Nun ja, ziemlich durchschnittlich«, antwortete die Tante mit der der Inselbewohner eigenen Diplomatie. Man hält den Mund und legt sich nicht mit den Menschen an, mit denen man zusammen isoliert ist.

      »Wie fandest du ihn?«, versuchte Karin es noch einmal.

      »Also, ganz unter uns, mein Fall war er nicht. Er war so selbstgerecht und penibel. Er hat Protokoll geführt und anderen Menschen Führungszeugnisse ausgestellt und Noten gegeben. Eine nachhängende Gewohnheit aus der Zeit, als er noch Lehrer war. So etwas mag ich ehrlich gesagt nicht.«

      »Ich auch nicht«, sagte Karin und fügte, wie um den Tag zusammenzufassen, hinzu: »Johannes Auftritt in der Kirche war schon bemerkenswert, und nachher hat sie einen ganz fitten Eindruck gemacht.«

      »Ich glaube, sie hat Recht«, sagte Agnes.

      Karin sah die Tante verblüfft an.

      »Also nicht damit, dass wir abgewählt werden wie bei »Robinson« im Fernsehen, aber ich glaube schon, dass irgendjemand Gustav Kwium auf den Weg geholfen hat. Doch das muss unter uns bleiben.«

      »Aber Agnes, warum sollte jemand einen 86-jährigen Mann umbringen, der bereits im Sterben liegt?«

      »Stimmt, darüber kann man sich schon wundern. Vielleicht hat er selbst darum gebeten. Aktive Sterbehilfe nennt man das, nicht wahr?«

      »Du denkst an den Sohn?«

      »Ja, oder an den Arzt oder die Pfarrerin oder die Krankenschwester oder eine der Helferinnen. An dem Tag, an dem er gestorben ist, herrschte ein reges Kommen und Gehen im Center. Der Pferdeschwanz-Guru unten von Sönderby war auch mit seiner Hokuspokus-Medizin da und der Sohn von Kaufmann Klausen, der das Zimmer seines Vaters, Arnold Klausen, geräumt hat. Er, also der Großvater, ist Bürgermeister gewesen. Das war damals, als Skejø noch eine selbständige Gemeinde war und ...«

      Karin unterbrach sie:

      »Ja, aber was lässt dich glauben, dass einer von ihnen Kwium umgebracht hat?«

      »Man hört ja das eine oder andere. Es heißt, dass unsere Centerleiterin Inger-Margrethe – die auch Krankenschwester ist – sich gewundert hat, und Einar Bedemand, der Leichenbestatter, hat erzählt, dass Gustav Kwium seinen Tod vorausgesehen hat. An dem Morgen, an dessen Nachmittag er starb, hat er als Letztes in sein Protokoll geschrieben: Heute kommt die Strafe.«

      Karin sah die Tante, die sich mit langsamen und vorsichtigen Bewegungen einen Zigarillo anzündete, forschend an. Sie stieß den Rauch aus und sagte: »Die Alten da drüben werden langsam nervös, denn das ist nicht das erste Mal, das so etwas passiert. Da ist auch noch Eigil Andersen, der Ende April gestorben ist. Er war erst 59, aber seit einigen Jahren hier, weil er eine Hirnblutung hatte und einseitig gelähmt war. Es wird behauptet, dass jemand ihm geholfen hat, seinen Plagen ein Ende zu bereiten, aber daran glaube ich nicht. Eigil wollte nicht sterben. Er mochte Vögel und Blumen.

      Und vor ein paar Wochen ist Arnold Klausen gestorben. Stimmt, er war 91, aber gesund und fit für sein Alter, sodass eine kleine Erkältung ihn wohl kaum umbringen konnte. Man macht sich so seine Gedanken, weil es allmählich ein bisschen zu schnell geht ...«

      »Hm«, sagte Karin in Ermangelung eines Besseren. »Denkst du, dass ihr es mit einem Pflegeheim-Fall zu tun habt, so wie 1997, als die 22 Patienten ums Leben kamen?«

      »Ich denke an nichts Bestimmtes, aber man macht sich so seine Gedanken. Und Johanne ist nicht ganz so senil und verwirrt, wie sie hingestellt wird. Das wechselt.«

      »Du glaubst also wirklich, dass Gustav Kwium auf die eine oder andere Weise umgebracht worden ist?«

      Agnes nickte: »Aber darüber reden wir nicht, weil wir es nicht sicher wissen, nicht? Kannst du mir mal die Flasche reichen, bevor du gehst? Für mich ist das die reinste Medizin. Viel besser als diese ganzen Schlafmittelchen und Glückspillen, die sie uns verabreichen.

      Dienstag, 28. Mai

      Die grundlegende Angst vor Not, Unglück, Leid und Tod bildet die Basis der Hexenjagd. Kann die Angst auf einzelne Personen oder Personengruppen gelenkt werden, lässt sie sich auch bekämpfen, indem man die betreffenden Menschen bekämpft.

      Nein. Karin löschte den Text. Er war als Einleitung unbrauchbar. Vielleicht sollte sie besser einen Beispielsfall nehmen. Sie nippte an dem Ingwertee, der Gicht vorbeugen sollte, und blätterte in den historischen Dokumenten aus Ribe. Die Geschichte der Maren Splids wies viele Elemente der Hexenjagd auf und sie versuchte sich an einem Bericht – das Gerichtsprotokoll als Quelle:

      Didrich Skraedder übergab sich, während er heulte und schrie. Tief aus Magen und Mund ergoss sich ein seltsam großer und schleimiger Klumpen. Noch nie hatten seine Frau und die fünf Nachbarsfrauen etwas Derartiges gesehen. Schien der große, schleimige Klumpen sich nicht in der Bettpfanne zu bewegen? Natürlich tat er das! Das konnte von keiner natürlichen Krankheit


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