Die Robinson-Morde. Gretelise Holm
den heiligen Geist anrufen. Etwas anderes kann ich nicht tun.«
»Ja, aber diese Menschen, die Satanisten. Was machen sie auf Skejø? Wovon leben sie?«
»Sie ist Studentin und er macht im Altenheim sauber. Die Gemeinde hat ihm die Arbeit zugewiesen«, antwortete Anna Skov.
Dann klingelte das Telefon und die Pfarrerin sprach lange mit einem Familienforscher, der auf der Insel nach Ahnen suchte. Sie schlug in Kirchenbüchern und Registern nach, während Karin ihr Glas mit Holunderblütensaft leerte und in Gedanken einer ihrer Lieblingsthesen nachhing: dass Menschen ganz schön verrückt sind.
»Stammen Sie hier von der Insel?«, fragte sie später die Pfarrerin.
»Meine Mutter war von hier, aber ich bin in Kopenhagen aufgewachsen.« In der Stimme der Pfarrerin schwang ein deutlich abweisender Ton mit, aber Karin überhörte ihn.
»Und wann sind Sie zurückgekommen?«
»Vor drei Jahren als Pfarrerin.«
»Haben Sie noch an anderen Orten als Pfarrerin gearbeitet?«
»Nein, ich habe spät mit der Ausbildung begonnen. Ich war einige Jahre im Ausland, aber ich verstehe nicht ganz, was die Leser der Zeitung meine persönliche Geschichte angeht«, sagte Anna Skov.
»Natürlich, Sie haben recht«, antworte Karin und wechselte das Thema:
»Sie haben mich zu der Veranstaltung über die Macht der Geister eingeladen, die heute Abend stattfindet. Ich komme gern.«
»Das freut mich, aber machen Sie es nicht zu poppig. Kann ich den Artikel lesen, bevor er gedruckt wird?«
»Sie können die Stellen lesen, wo ich Sie zitiere.«
Karin war sehr an der Meinung der Pfarrerin zu Johannes Auftritt bei dem Begräbnis interessiert und versuchte vorsichtig, sich dem Thema zu nähern: »Soweit ich verstanden habe, gehörte der Mann, der am Montag beerdigt wurde, zu den großen, gestandenen Persönlichkeiten der Insel?«
Die Pfarrerin saß still da und Karin hatte das Gefühl, dass sie weit weg war.
»Ich meine, er hat bestimmt viele Generationen von Kindern geprägt«, fuhr Karin fort.
»Ja, so sagt man. Lehrer zu sein ist eine ernste Angelegenheit«, sagte die Pfarrerin geistesabwesend und begann in dem Kirchenbuch zu blättern, das sie in Zusammenhang mit der Anfrage des Familienforschers hervorgeholt hatte.
»War er ein guter Lehrer?«, fragte Karin.
»Über so etwas sind die Meinungen wohl immer geteilt«, antwortete die Pfarrerin und erhob sich, um deutlich zu machen, dass die Unterhaltung für sie beendet war.
»Ja, dann freue ich mich, Sie heute Abend zu sehen«, sagte sie dennoch freundlich, als sie gemeinsam durch den großen Pfarrgarten gingen.
Eine enorme Neugier war vor allem anderen die Triebkraft in Karin Sommers journalistischer Karriere gewesen. Sie konnte nur schwer mit offenen Fragen leben. Und gerade jetzt türmten sich eine ganze Menge davon vor ihr auf.
Warum wollte die Pfarrerin nicht über sich reden? Wer und was waren die Satanisten?
Auf die letzte Frage fand sie unmittelbar eine Antwort, als sie nach Hause kam und sich in die Homepage der Landesvereinigung der Satanisten einklickte, wo es Links zu den lokalen Satanisten gab. Auf der Homepage stellten sie ihre satanische Philosophie vor und luden alle Interessierten ein, eine E-Mail zu schicken oder zu Besuch zu kommen. Ihr übergeordnetes Ziel war die Anerkennung des Satanismus als Religion, wie aus dem Text hervorging.
Karin lächelte und freute sich über die Offenheit der Satanisten. Es dürfte amüsant werden, mit ihnen zu reden.
Mikael mit dem satanischen Namen Wolf baute gerade das alte Hühnerhaus im Hintergarten der Galerie zu einem Tempel für Luzifer um, während seine Freundin Lone mit dem satanischen Namen Belia ihn von einem Gartenstuhl aus, in dem sie saß und der vier Monate alten Lucy die Brust gab, verliebt ansah.
Bisher hatten sie ihre Mission nur über das Internet verbreitet, aber sie hatten Pläne für einen direkteren Kontakt zu den suchenden Seelen. Deshalb brauchten sie einen Tempel. Und der sollte möglichst bis zum Wochenende fertig sein, wo sie vornehmen Besuch von der Mutterkirche erwarteten.
»Haben wir noch mehr Reinigungsmittel? Der Hühnerschiss sitzt verdammt fest«, sagte Wolf.
»Ich glaube nicht. Meinst du nicht, dass es mit einem Schaber und Sandpapier besser geht?«, schlug Belia vor.
»Vielleicht. Ich habe für innen schwarze Farbe gekauft.«
»Und ich habe den Schädel aus Nepal gefunden und außerdem haben wir noch etwas Samt und schwarze Kerzen für die Ausschmückung«, sagte sie.
»Es wäre schön, einen Sarg oder ein Teil von einem Sarg im Tempel zu haben«, sagte er.
Wolf, Belia und die kleine Lucy sahen einer gewöhnlichen, jungen Familie zum Verwechseln ähnlich, wie sie dort saß und dem Kind unter dem Apfelbaum die Brust gab, während er daran arbeitete, den Hühnerstall in Stand zu setzen.
Nichts desto trotz hatten sie ihr Leben der Ausbreitung des Satanismus geweiht.
»Wir töten keine Kinder und wir schänden keine Kirchen. Aber wir haben uns von dem Joch des Christentums befreit, um dem Gott in uns zu dienen«, leitete Wolf seine Predigt im Internet ein, wo er auch als Webmaster für die Landesvereinigung der Satanisten fungierte. Eine unbezahlte Arbeit, die seine ganze Freizeit in Anspruch nahm.
Wolf war ein schöner 31-jähriger Mann mit empfindsamen Augen in einem markanten, viereckigen Gesicht. Er war in einem der Pfingstgemeinde angehörenden Haus aufgewachsen und seine Kindheit und Jugend waren geprägt von starkem Glauben, Sündenbewusstsein und Schuldgefühlen.
Von seinem fünften Lebensjahr an war ihm bewusst, dass er eine sündige Natur hatte, die er mit all seiner geistigen Energie bekämpfen musste. Als Kind und Jugendlicher lag er zusammen mit den Erwachsenen der Gemeinde auf den Knien und weinte und bat Gott um Hilfe, aber er wurde nicht erhört. Tag und Nacht riss und zerrte die Sünde an ihm und der Heilige Geist, Gottes Belohnung für die Auserwählten, wollte nicht in ihm Wohnung beziehen. Er hörte nicht einmal Gottes Stimme.
Mit Anfang zwanzig gab er auf. Hurte, trank und feierte in dem sicheren Bewusstsein, dass die Hölle ihn erwartete – bis er das Licht in Gestalt der satanischen Philosophie sah.
Zu einem Zeitpunkt, als es ihm so schlecht ging, dass er auch schnurstracks in die Hölle gegangen wäre, nahm ein Freund ihn mit in die Kirche des Satans. Doch das Gegenteil passierte. Die Hölle hörte auf zu existieren.
»Du bist kein Sünder. Du bist ein Mensch mit Bedürfnissen und Trieben, die gesund und nötig sind«, hatte die Predigerin zu ihm gesagt, während sie in der Ritualkammer den Reißverschluss seiner Hose herunterzog. Sie hatten sich in einem Sarg zu Heavymetal-Klängen geliebt. Und anschließend hatte er sich gereinigt und erleichtert gefühlt. Die große Befreiung vom christlichen Joch hatte stattgefunden.
In den darauf folgenden Jahren hatte er sich in die satanische Philosophie vertieft und große Arbeit für deren Ausbreitung und Anerkennung geleistet. Dabei hatte er auch Belia kennen gelernt, die vor zwei Jahren noch Lone hieß. Sie studierte Religionsgeschichte und sollte eine Arbeit über den Satanismus schreiben. An einem Sommerabend war sie in die Kirche des Satans gekommen. Sie hatte langes, blondes Haar und ein kleines, herzförmiges Gesicht mit Sommersprossen.
»Dein Name ist Belia«, hatte Wolf gesagt, behutsam ihre Hand genommen und sie in das Allerhelligste geführt, wo er ihr zuflüsterte, dass es keine Sünde gab und man sich nicht von der kleinbürgerlichen Moral bestimmen lassen durfte.
Letzteres – die kleinbürgerliche Moral – war Lones Kreuz. Was man darf und nicht darf und was die Nachbarn denken und nicht denken, waren in der kleinen Stadt vor Aarhus die verhaltensmäßigen Parameter ihrer Kindheit und Jugend gewesen. Und zu ihrer eigenen Irritation war es ihr schwer gefallen, sich davon zu befreien. Immer war da eine innere Stimme, die fragte: