Der Lebensretter. Anny von Panhuys

Der Lebensretter - Anny von Panhuys


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nicht zu genieren; Juwelier Heller fasst es bestimmt nicht ernst und bindend auf, wenn ein minderjähriges Mädchen ein paar Worte hinredet, als wenn es über die väterliche Börse und den väterlichen Willen frei verfügen dürfte. Darum brauchst du dich nicht so anzustellen, Liselotte! Soviel ich weiss, musst du jetzt in deine Gymnastikstunde. Also beeile dich und mach ein vergnügtes Gesicht.“

      Das Mädchen aber stiess hervor: „Du hast Vati aufgestachelt, so böse zu mir zu sein, er wäre sonst gar nicht darauf verfallen, mir einen Wunsch abzuschlagen!“

      „Möglich, mein Mäuschen, dass mein Einfluss ein bisschen dazu beigetragen hat, aus ihm einen etwas vernünftigeren Vater zu machen, als er bisher gewesen ist. Gut wäre es jedenfalls für ihn und für dich.“

      Liselotte hasste in diesem Augenblick die grosse breite Frau mit dem stets zum Lachen bereiten Mund.

      Sie schritt zur Tür und sagt schluchzend: „Vielleicht denkst du bald anders darüber und bereust es, wenn es zu spät ist!“

      Ria Mönkeberg lachte laut auf: „Dummes Mädel, rede nicht solchen Unsinn!“

      Liselotte aber rief von der Tür her mit der Stimme einer grossen Tragödin: „Lebe wohl, Tante Ria, grüsse den Vater von mir und tröste ihn!“

      Die Tür war längst hinter ihr zugefallen, da stand Tante Ria noch immer und starrte auf die weisse, mit goldenen Ornamenten geschmückte Tür, hinter der die Nichte verschwunden war. Mit einem leichten Seufzer liess sie sich in den helledernen Klubsessel fallen, in dem Liselotte noch kurz vorher gesessen hatte, und überlegte, was sie mit den beiden letzten Sätzen anfangen sollte.

      Lange sass sie so, schwankte zwischen einer seltsamen Angst, die sie bisher noch nie empfunden und einem Lachen über das „überspannte Mädel“ hin und her. Warum sollte sie Liselottes Vater grüssen und ihn trösten? Liselotte würde ihren Vater ja in vier Stunden bei Tisch wiedersehen, man pflegte pünktlich um ein Uhr dreissig zu Mittag zu speisen ... Dummes Zeug war solche Rederei also!

      Aber sie lief schliesslich dann doch zur Tür, rief auf den Flur hinaus, dass es laut durch das Haus schallte: „Liselotte!“ und noch ein paarmal, so laut sie konnte: „Liselotte!“

      Das Hausmädchen kam und meldete:

      „Das gnädige Fräulein ist eben fortgegangen.“

      Ria Mönkeberg befahl: „Laufen Sie ihr nach, Else, und bestellen Sie ihr, sie möchte zurückkommen, ich hätte ihr noch etwas Wichtiges zu sagen.“

      Das Hausmädchen eilte bereits davon, doch kehrte es nach einer Viertelstunde unverrichteterdinge wieder zurück. „Vom gnädigen Fräulein ist weit und breit keine Spur zu sehen“, meldete es.

      Ria erwiderte scheinbar ruhig: „Es ist gut, Else“, aber ihr war unheimlich zumute, ihr Herz schlug laut. Liselotte war überspannt, ihr war in dem erregten Zustand, in dem sie sich befand, alles zuzutrauen.

      Liselottes Tante wollte sich selbst auslachen, aber sie brachte kein Lachen auf, sann nur immer wieder den beiden seltsamen Sätzen nach, die ihre Nichte gesagt hatte, ehe sie gegangen war. Sie rief Fräulein Strecker an, bei der Liselotte Gymnastikunterricht nahm, und bat sie, sofort Nachricht zu geben, sobald Liselotte dort ankäme. Nach mehr als einer Stunde telephonierte Fräulein Strecker endlich: „Fräulein Liselotte ist heute nicht zum Unterricht erschienen.“

      Da erschrak Ria Mönkeberg bis ins Innerste. Ihre Angst wuchs. Sie rief ihren Bruder an und machte keinen Hehl aus ihren Bedenken.

      Franz Wolfram lachte:

      „Aber Ria, du bist so ängstlich? Das hätte ich dir gar nicht zugetraut! Liselotte bockt sich einfach aus und kommt dann ganz vergnügt nach Hause.“

      „Gott gebe, dass du recht hast!“ erwiderte seine Schwester.

      Franz Wolfram fühlte plötzlich ebenfalls eine unheimliche Beengung; es war, als lange irgend etwas Unheimliches nach ihm mit knochigen Eishänden. Er rief in die Muschel des Apparates: „Ich werde sofort nach Hause kommen, erkundige dich inzwischen bei Liselottes Freundinnen.“

      2.

      In einer unbeschreiblichen Stimmung hatte Liselotte Wolfram die Villa im Tiergartenviertel verlassen. Sie eilte vorwärts wie gejagt, und als ihr ein leeres Auto entgegenkam, hielt sie es an, stieg ein, nannte eine beliebige Strasse und eine beliebige Hausnummer. Als sie bereits im Wagen sass, fiel es ihr ein, in dem Haus und der Strasse hatte einmal ein Dienstmädchen von ihnen gewohnt, nachdem es sich verheiratet hatte. Nun sass Liselotte in der geschlossenen Taxe, und die Gedanken stürmten quälerisch auf sie ein. Masslos verwöhnt bisher, schien es ihr, weil ihr ein Wunsch versagt worden war, als müsse deshalb die Erde stillstehen, als wäre deshalb alle Zukunft undurchdringlich düster. Blossgestellt fühlte sie sich auch. An Juwelier Hellers Geschäft würde sie sich gar nicht mehr vorbeiwagen. Sie erinnerte sich deutlich, dass sie, als sie die Kette probierte, zu ihm gesagt hatte: „Sie dürfen, auch wenn Sie Gelegenheit dazu haben sollten, diese Perlen auf keinen Fall verkaufen, mein Vater holt sie bestimmt.“

      Der alte würdige Herr Heller wusste ganz genau, wer Franz Wolfram war. Die Farbenfabrik Wolfram im Norden Berlins gehörte zu den ersten Unternehmen dieser Art. Wenn Franz Wolframs Tochter sich bei einem Juwelier zur Abnahme eines Schmuckgegenstandes verpflichtete, glaubte man ihr unbedingt.

      Sie hatte dem Vater erklärt, sie würde irgend etwas Verzweifeltes tun und hatte Tante Ria schon Andeutungen gemacht. Nun musste sie einfach etwas Verzweifeltes tun! Die Freundinnen sollten sie nicht auslachen und der Juwelier sie nicht bei einer möglichen Begegnung zur Rede stellen.

      Liselotte war es, als umwoge sie dichter Nebel, hinter dem etwas Schreckliches stand, das auf sie wartete. Aber sie empfand keine Angst, eher Stolz, als hätte sie eine Heldentat vor, wenn sie sich auch noch nicht klar darüber war, welcher Art sie sein würde. Sie fühlte nicht einmal im Unterbewusstsein, dass sie nur ein ganz törichtes, verantwortungsloses Geschöpf war, das einen gütigen Vater in Verzweiflung stürzen wollte. Das Auto hielt, Liselotte aber war so benommen von ihren Gedanken, dass sie ruhig sitzenblieb.

      Der Chauffeur öffnete die Tür: „Wir sind da, Fräulein!“

      Sie blickte ihn sekundenlang fragend an, dann aber stieg sie schnell aus, gab ihm Geld, ein Vielfaches des Betrages, den der Taxameter anzeigte, und lief davon wie eine Verfolgte.

      Der Chauffeur schüttelte den Kopf, als er umkehrte.

      Liselotte war aufs Geratewohl losgegangen und begann erst jetzt, während sie durch unbekannte Strassen irrte, zu überlegen, was sie überhaupt tun sollte. Es schwebte ihr vor, sie müsse ins Ausland fliehen, dort untertauchen in fremder Umgebung, unter fremden Menschen.

      Sie hatte ihr ganzes erspartes Taschengeld eingesteckt, es waren etwas mehr als dreihundert Mark. Sie erinnerte sich an einen mehrwöchentlichen Sommer- und Badeaufenthalt in Aachen, und wie verhältnismässig leicht es gewesen sei, von dort aus die Grenze nach Belgien zu überschreiten. Einfach als Spaziergänger. Und war sie erst einmal jenseits der deutschen Grenze und drüben im Ausland, wollte sie nach Lüttich. Das war eine grosse und lebhafte Stadt, in der sie sicher so gut verschwinden konnte, als wäre sie nie gewesen ...

      Sie musste zunächst nach Köln reisen, wenn sie ihren Plan ausführen wollte, überlegte sie. Im erstbesten Café wollte sie das Kursbuch zu Rate ziehen und feststellen, wann ein Zug nach Köln ging. Morgen vormittag spazierte sie dann schon über die Grenze. Alles andere fand sich, brauchte jetzt nicht überlegt zu werden.

      Liselotte malte sich aus, dass ihr Vater und Tante Ria, die ihn aufgestachelt hatte, in dieser Nacht, in der sie nicht mehr im Hause war, kein Auge schliessen würden.

      Wie würden sie ihre Hartherzigkeit bereuen!

      Beinahe taten sie ihr leid.

      Aber sie konnte sich nicht auslachen lassen von den Freundinnen, nicht zur Rede stellen von Juwelier Heller.

      Sie verginge ja vor Scham.

      Also blieb ihr kein Rückweg.

      Was


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