Der Lebensretter. Anny von Panhuys

Der Lebensretter - Anny von Panhuys


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Schwester brachte Liselotte zu Bett, ihre geübten Hände taten alles leicht und richtig. Verstört stand Franz Wolfram am Fenster und blickte starr hinaus. Er kam sich schuldig vor, und bald darauf trat Ria Mönkeberg ins Zimmer, die ebenfalls von einem tiefen Schuldgefühl niedergedrückt wurde. Liselotte lag mit geschlossenen Augen, sie mochte nicht reden, sie fühlte sich jämmerlich elend, und doch war ein ganz grosses Glücksgefühl dabei: Sie war ja am Leben geblieben. Ach, sie ekelte sich so sehr vor dem schmutzigen Wasser, in das sie hinuntergemusst hatte.

      Die Schwester erzählte Franz Wolfram und Ria Mönkeberg, die erregt lauschten, was geschehen war, und dass der Retter, ein einfacher Mann ohne Hut, nachdem er seine tapfere Tat vollbracht hatte, heimlich davongeschlichen sei.

      Franz Wolfram atmete tief auf. Gottlob, sein Kind hatte sich also nicht selbst das Leben nehmen wollen, wie er schon gefürchtet hatte. Dem Himmel sei Dank, dachte er erschüttert, Liselotte hat also nicht diese furchtbare Sünde auf sich geladen. Er setzte sich an das Bett der Tochter, sagte abgerissen:

      „Wenn du ertrunken wärst ... Mädel, hätte ich dir in den Tod folgen müssen ... vor Herzeleid.“

      Liselotte flüsterte erschauernd:

      „Es war entsetzlich, was ich durchgemacht habe. Denk nur, ich wollte euch davonlaufen, euch nie wiedersehen, und deshalb geschah wohl das Grässliche. Es war meine Strafe, ich sollte erkennen, wie töricht und kindisch ich gewesen bin. Aber ich schämte mich so sehr vor meinen Freundinnen und dem Juwelier, und ich dachte, weil du so hart und fremd zu mir warst, du hättest mich nicht mehr lieb.“

      Tante Ria brachte warme Milch, hielt Liselotte das Glas an die Lippen, und die Schwester sagte freundlich zuredend:

      „Trinken Sie nur, Kind, damit Sie sich auch innerlich erwärmen. Hier im Bett werden die Lebensgeister bald wieder frisch und munter werden. Die Dampfheizung meint es auch gut, und ich glaube kaum, dass sich Folgen einstellen können. Für alle Fälle ist ja der Arzt bereits gerufen worden, wenn ich nicht irre?“

      „Natürlich, Schwester, er muss sofort kommen“, versicherte Ria.

      „Dann ist ja gut für die junge Dame gesorgt.“ Die Schwester blickte sich in dem sehr luxuriösen Schlafzimmer um und sagte dabei leise:

      „Der Retter verdient alles Lob. Der Mann sah nämlich nicht aus, als wenn er ein warmes Zimmer besässe. Niemand ausser ihm dachte daran, der Unglücklichen nachzuspringen, und ich bin fest überzeugt, sie wäre ohne ihn ertrunken.“

      Liselottes Gesicht färbte sich mit dem zarten Rosa, das meist darüber lag wie ein sanfter Hauch. Sie bat hastig:

      „Vati, du kannst vielleicht etwas für ihn tun, ich bin ihm doch so unendlich viel Dank schuldig.“

      Franz Wolfram wandte sich an die Pflegerin: „Hat sich der Polizeibeamte seinen Namen notiert? Ich möchte den Retter meiner Tochter gern sprechen.“

      Die Schwester schüttelte den Kopf.

      „Der Fremde hat sich unauffällig davongemacht, ganz still und heimlich. Vielleicht hat ihn aber ein Polizist unterwegs festgehalten, denn sicher ist er in seinem nassen Zeug doch aufgefallen.“

      Es klopfte. Dr. Weise, der Hausarzt, trat ein. Er war ein sehr vornehmer älterer Herr mit kleinem grauem Bärtchen. Er grüsste und erklärte sofort:

      „Ich bin schon ein wenig orientiert, die Dienerschaft ist ja ganz aus dem Häuschen.“ Er trat an das Bett, fühlte Liselottes Puls, behorchte das Herz, richtete sich nach einer Weile auf. „Gottlob, es besteht kaum Gefahr. Das warme Bett, gutes Essen und dazu frohe Stimmung der Umgebung werden unsere liebe Patientin schnell wieder gesund und lebenslustig machen. Für alle Fälle aber muss das kleine Fräulein ein paar Tabletten schlucken, um einer Erkältung vorzubeugen. Na, hier ist die junge Dame ja in allerbester Pflege.“

      Der Arzt tätschelte Liselottes Hand. Er kannte das Mädchen schon seit dessen Kindheit, da er im Hause Wolfram bereits lange Jahre Hausarzt war.

      Auf seine Frage erklärte die Krankenschwester kurz, was geschehen und schloss: „Ich brachte Fräulein Wolfram nach Hause.“ Nach einem Weilchen setzte sie hinzu: „Nun will ich aber gehen, ich hatte vormittag dienstfrei und muss noch einiges besorgen.“

      Liselotte drückte ihr matt, aber herzlich die Hand. „Vielen Dank, Schwester.“

      Draussen wollte Ria Mönkeberg der Pflegerin eine Belohnung geben, doch diese wehrte ab.

      „Das, was ich getan habe, ist Menschenpflicht, gnädige Frau, denken Sie aber an den Retter. Der Mann machte den Eindruck, als hätte er einmal bessere Tage gekannt. Seine Kleidung verriet noch einen Schein von Eleganz, war aber sehr mitgenommen, sein Gesicht sah vornehm, aber verhungert aus. Er ist wohl auch arbeitslos. Sie könnten ihm seine gute Tat bestimmt durch ein wenig Hilfe lohnen.“

      4.

      Ria Mönkeberg war zum Weinen traurig. Es war allerdings anscheinend alles glimpflich abgegangen, sofern Liselotte nicht etwa doch noch krank wurde, aber das Geschehene verlor trotzdem nichts von seiner Schrecklichkeit. Wenn Liselotte nicht in solcher Verwirrung das Haus verlassen hätte, wäre das Furchtbare jedenfalls nicht geschehen.

      Unglaublich, ganz unglaublich schien es, dass ein Mädchen so einer Lappalie halber hatte davonlaufen wollen in irgendein unsicheres, wahrscheinlich böses Schicksal hinein.

      Dass Liselotte so einen Entschluss fassen konnte, war sehr, sehr traurig; für den Bruder wie für sie.

      Wie gross war denn eigentlich Liselottes Liebe zu Vater und Tante, die ihr die Mutter ersetzte, wenn sie um eines törichten Wunsches willen, der ihr nicht erfüllt worden war, gleich den Kopf verlor und davonlief?

      Da, wo das Herz sass, tat es der sonst so energischen Frau sehr weh, und sie wischte schnell ein paar Tränen fort, ehe sie Liselottes Schlafzimmer wieder betrat. Der Arzt beruhigte eben ihren Bruder:

      „Keine Angst, verehrter Herr Wolfram, Ihre Tochter ist schon morgen wieder ganz gesund. Das heisst, krank ist sie überhaupt nicht, nur der Schreck und die Kälte und Nässe setzen ihr noch zu.“ Er wandte sich an die eben eintretende Ria Mönkeberg: „Sie werden schon mütterlich fürs Prinzesschen sorgen, nicht wahr, gnädige Frau. Und hier habe ich die Tabletten aufgeschrieben. Unsere Patientin kann übrigens essen und trinken, worauf sie Appetit hat.“

      Er verabschiedete sich, und Franz Wolfram begleitete ihn hinaus.

      Nachdem der Arzt gegangen, liess sich der Taxi-Chauffeur melden. Er wartete noch immer auf seine Bezahlung. Er beklagte sich über die nassgewordene Polsterung seines Wagens. Franz Wolfram fand sich rasch und gut mit ihm ab, dann zog er seinen Mantel an und setzte den Hut auf. Mit seinem Auto fuhr er selbst so schnell wie möglich vor dem Juwelengeschäft Heller vor. Der alte weltgewandte Herr verneigte sich sehr höflich zur Begrüssung.

      „Ich weiss, weshalb Sie kommen, Herr Wolfram“, sagte er. „Das gnädige Fräulein stellte mir schon Ihren Besuch in nahe Aussicht.“

      Er schloss einen Kassenschrank auf und entnahm ihm ein Etui.

      „Ich habe diese wunderschönen Perlen aus dem Schaufenster zurückgezogen für das gnädige Fräulein, damit niemand sonst Gelüste danach verspüren soll. Sie kleiden das gnädige Fräulein aber auch ganz hervorragend.“

      Der Juwelier öffnete das längliche Etui und hielt es Franz Wolfram offen entgegen. Da lag auf goldbraunem Samt eine kleine Schnur leicht rosig schimmernder Perlen.

      Und wegen dieser Perlenkette hätte sein einziges Kind, sein vergöttertes Töchterchen, beinahe in den Tod gehen müssen. Denn im Grunde genommen trug diese Kette die Schuld. Wie klein, fast bescheiden, schien ihm jetzt Liselottes Bitte, gemessen an den Folgen, die er durch die Nichterfüllung heraufbeschworen hatte.

      Er sah den fragenden Blick des Juweliers, und es fiel ihm ein, dass er ausser dem Gruss beim Eintreten, bisher noch gar nichts gesprochen hatte.

      Wolfram hüstelte und lobte etwas verlegen:

      „Die Perlen sind sehr schön,


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