Reboot. Robert Jacobi

Reboot - Robert Jacobi


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Die Angst vor einer Rezession greift um sich. Nicht jeder Studienabgänger findet sofort einen Job. Ein Handelsstreit, angezettelt vom populistischen US-Präsidenten, gefährdet die Ausfuhren in andere Länder. Unternehmen beginnen, ihre Ausgaben für Forschung und Innovationen zu senken. Die Modernisierung von Strukturen und Technik, längst überfällig, steht auf einmal unter Kostenvorbehalt. Die Regierung in Berlin wirkt teils orientierungslos, immer mehr Wähler unterstützen Alternativen, die unsere gesellschaftliche Ordnung infrage stellen.

      Der Modernisierungsdruck im Land ist enorm. Nach wie vor vermögen Behörden es nicht, ihre Dienstleistung weitgehend digital anzubieten. Persönliches Bürgererscheinen ist immer noch die Regel und nicht die Ausnahme. Gleiches gilt zum Beispiel für die Universitäten: Hörsäle platzen zwar aus fast allen Nähten, dennoch schien – vor Corona – ein Studium ohne Präsenzpflicht undenkbar. Und wer auf dem Land lebt und einen Onlineshop aufsetzen will, der muss möglicherweise umziehen, weil die Datenverbindung nicht ausreicht.

      Tagesschau, im November 2019: im Bildhintergrund wieder einmal das Motiv eines voll beladenen Containerschiffs – vermeldet wird das neue Gutachten der fünf Wirtschaftsweisen: Von »gedämpfteren Tönen« im Bericht spricht der Reporter, und von der enthaltenen Botschaft, dass der Aufschwung langsam zu Ende gehe. Der dicke Bericht in blauem Einband trägt den Titel »Strukturwandel meistern«. Klingt gut. Die Infrastruktur des Landes, das ein dringender Hinweis, müsse digitalisiert werden. Wachstum sei im neuen Jahr möglich, aber maximal um ein knappes Prozent, und auch das nur wegen des »Kalendereffekts«, durch den es überdurchschnittlich viele Arbeitstage gibt. Keine rote Karte, aber eine klare Warnung. Der Sachverständigenrat kritisiert, dass die Regierung alte Strukturen bewahrt und Innovationen in der Industrie nicht stärker gefördert habe. »Ich darf Ihnen sagen, dass wir vielleicht nicht immer alles genau so machen, wie Sie es uns vorschlagen, aber dass Sie uns doch sehr inspirieren, und Sie finden viele Gedanken auch in dem, was wir getan haben, wieder«, lautet die humorvolle Reaktion der Bundeskanzlerin. Die Experten schränken auch gleich ein: Von einer tiefgreifenden Rezession sei nicht auszugehen, ein Konjunkturprogramm nicht nötig.

      Am Abend jenes Tages, an dem die Wirtschaftsweisen ihren Bericht vorlegen, sitze ich in einem der wenigen Restaurants in München, die ein postmodern-urbanes Gefühl vermitteln, wie sonst in Soho oder Berlin-Mitte. Kahle Wände, dicke Rohre an der Decke, Lampen im Industrieschick, eine offene Küche, Biowein. Die Betreiber haben ein Umspannwerk umgebaut. Mir gegenüber sitzt ein guter Bekannter, der in der Digitalabteilung eines Münchner DAX-Unternehmens arbeitet. »Die guten Zeiten sind bei uns definitiv vorbei«, sagt er.

      »Die Leute fühlen sich noch sicher. Auch meine Kollegen. Jeder denkt, er hat einen Job für die Ewigkeit. Aber wenn ich unsere Zahlen genau anschaue, bin ich mir da nicht sicher«, führt er aus. Das Problem seien die Auslandsmärkte, die zwar den meisten Umsatz beisteuern, aber immer unberechenbarer werden. Dazu der eigene Unwille, sich zu verändern. Schon vor Jahren habe sein Team intern vorhergesagt, was jetzt geschieht: Die Bedürfnisse der Kunden ändern sich, die Produkte seien nicht mehr innovativ, der Stolz auf das eigene Schaffen sei gesunken, die Motivation auch, und das genau in einer Phase, in der Ideen dringend gebraucht würden.

      Digitalisierung ist fast schon Unwort auf manchen Konzernetagen. Transformation erst recht. Es werde schon so lange darüber geredet, ohne dass sich etwas getan hätte. Die Versprechungen waren groß, doch der Umsatz kommt zum größten Teil immer noch aus dem klassischen Geschäft. Die Maßzahl, deren Veränderung die Aktionäre interessiert, sind der Gewinn pro Aktie und die Dividende. Der Indikator für langfristiges Denken und Handeln ist noch nicht erfunden.

      Auf dem Heimweg durch die nächtliche Stadt frage ich mich: Was genau läuft schief? Zu wenig Wachstum? Veraltete Strukturen? Oder geht es längst um ganz andere Krisen? Die Krise der Demokratie? Die Krise des Sozialstaats? Die Krise der Globalisierung? Die Krise der Umwelt? Ist es eine Kombination dieser Faktoren, die sich in der Stimmung bemerkbar macht, die zu kippen droht? Das System hat sich verlangsamt, nicht weil die Festplatte schon komplett überlastet ist, sondern weil schadhafte Stellen entstanden sind. Es wäre an der Zeit für einen gründlichen Scan, um zu sehen, was noch gut läuft, was gar nicht mehr funktioniert, was repariert werden kann. Nur so lässt sich vermeiden, dass wir auf Kosten einer Zukunft leben, die wir alle noch erleben werden. Höchste Zeit also für einen Reboot?!

      Zwei Monate vor jenem Abend in München steht Greta Thunberg vor der UN-Vollversammlung. »Wie können Sie es wagen«, schimpft sie die Regierenden. »Sie haben meine Träume und meine Kindheit mit Ihren leeren Worten gestohlen. … Menschen sterben. Ganze Ökosysteme kollabieren. … Wir stehen am Beginn eines Massenaussterbens. Und alles, worüber Sie reden können, sind Geld und Märchen vom ewigen Wirtschaftswachstum. … Wie können Sie es wagen, weiterhin wegzuschauen.«

      Applaus kommt auf, auf den Straßen New Yorks jubeln ihr Fans zu, zugleich gehen gehässige Kommentare auf YouTube und anderen Social-Media-Plattformen ein, auf denen das Video abrufbar ist. Von einer Pandemie ist damals noch keine Rede. Aber es ist klar, unser Verhältnis zur Natur, die, wie uns das Virus zeigen sollte, doch viel mächtiger ist, als wir gedacht haben, ist noch immer nicht geklärt. Wäre das anders, dann würde die Diskussion zwischen Mahnern und Leugnern des Klimawandels nicht so emotional verlaufen.


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