Exportismus. Andreas Nölke

Exportismus - Andreas Nölke


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und fiskalischer Austerität verknüpft. Bei preissensiblen Exporten würde eine Stimulierung der Binnennachfrage – etwa über höhere Löhne oder über kreditfinanzierte Investitionen – ansonsten dafür sorgen, dass diese Ausfuhren einbrechen würden, da sie zu teuer werden.

      Ganz besonders getroffen von der Lohnmäßigung in extremen Exportmodellen sind jene Arbeitnehmer, die in einfachen Dienstleistungen (beispielsweise im Einzelhandel oder der Gastronomie) arbeiten. Durch die Auskopplung solcher Dienstleistungen aus Industrieunternehmen und Tarifverträgen – und der damit einhergehenden Lohnreduktion – konnten die hochqualifizierten Arbeitnehmer in den Exportbranchen überzeugt werden, sich mit mäßigen Lohnsteigerungen zufriedenzugeben, da ihre Kaufkraft trotzdem gleich blieb oder sogar stieg.

      Ein balanciertes Wachstumsmodell vermeidet diese Probleme weitgehend. Es stimuliert die Wirtschaft sowohl über die Binnennachfrage als auch über die Exporte. Hier sind also neben starken Exporten auch durchgehend solide Löhne und hohe staatliche Ausgaben machbar. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn die Exporte vergleichsweise wenig preissensitiv sind. Baccaro und Pontusson gehen davon aus, dass das in Schweden der Fall ist, wo sie in jüngerer Zeit zunehmend auf hochwertigen wissensintensiven Dienstleistungen und dem IT-Sektor beruhen.

      Um längerfristig stabil zu sein, müssen die – historisch eher zufällig gefundenen – Wachstumsmodelle politisch und institutionell abgesichert werden. Institutionell erfolgt das über Institutionen wie das System der Lohnaushandlung oder die Wechselkurse. Politisch geben aus der Sicht von Baccaro und Pontusson Leitsektoren die Richtung vor, im Falle Deutschlands besonders die Automobilindustrie und der Maschinenbau, basierend auf einer klassenübergreifenden Koalition von Arbeitgebern und Gewerkschaften.

      Aus dieser Perspektive können wir das Schicksal der deutschen Wirtschaft in der Corona-Krise gut erklären. Da das deutsche exportgetriebene Modell sich seine Wachstumsimpulse überwiegend aus dem Ausland holt, musste es in einer Krise, die die wichtigsten Handelspartner erfasst, hart getroffen werden. Das gilt selbst in einer Situation, in der der Bund viel Geld für die Stabilisierung der Exportwirtschaft aufgewendet hat – und eindeutig überproportional viel, wenn man bedenkt, dass nur etwa ein Viertel der Deutschen im Exportsektor tätig sind.

      Wie aus der Perspektive der Wachstumsmodelle – und ihrer politischen Unterstützungskoalition – nicht anders zu erwarten, lag der Schwerpunkt des Nutzens der von der Bundesregierung 2020 in der ersten Welle der Corona-Krise verabschiedeten Wirtschaftspakete (»Schutzschild« und Konjunkturprogramm) auf der Unterstützung der Industrie, insbesondere den Exportsektoren.

      Es gibt im internationalen Vergleich eine innere Logik zwischen Wachstumsmodell und Fokus des Rettungspakets, so Mark Blyth. Während im konsumgetriebenen britischen Wachstumsmodell der Fokus des Rettungspakets darauf lag, die Binnennachfrage zu stabilisieren (über die allgemeine Garantie von 80 Prozent der Gehälter), lag der Fokus im deutschen Fall auf einer Stabilisierung der Exportindustrie. Das war schon in der globalen Finanzkrise 2008/09 so, bei der die »Abwrackprämie« zugunsten der Autoindustrie der Kern des Rettungspakets war.

      Viele der finanziell aufwendigsten Maßnahmen können auch jetzt wieder am stärksten von den großen Unternehmen der Industrie genutzt werden, sei es der Beteiligungsfonds oder die Kreditgarantien. Auch das Kurzarbeitergeld nützt den gut bezahlten Beschäftigen in der Exportindustrie viel mehr als den mäßig bezahlten Arbeitnehmern in vielen Dienstleistungsbranchen. In schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs bringt der mit dem Kurzarbeitergeld verbundene Einkommensausfall – ersetzt werden nur 60 beziehungsweise 67 Prozent des Nettogehalts – dagegen viel eher das Familienbudget in Schwierigkeiten.

      Besonders viel Kurzarbeit findet sich zudem in den klassischen Exportbranchen Metallverarbeitung, Maschinenbau und Autoindustrie in den reichen Südländern Bayern und Baden-Württemberg, so ein Bericht des Spiegels. Ganz besonders profitieren von dieser Maßnahme allerdings die Besitzer der entsprechenden Exportunternehmen, die so die Beschäftigung flexibel der Nachfrage anpassen können, wie Thomas Sablowski argumentiert.

      Kleine Unternehmen, Freiberufler und Solo-Selbständige in den Binnensektoren, die viel schneller in der Existenz bedroht sind, gehen bei vielen Hilfsprogrammen der ersten Runde leer aus, wie auch die Minijobber, sie sind die »Alleingelassenen«, so Michael Kröger und Anne Seith. Das trifft auch ganz besonders lokale Dienstleistungsbranchen, bei denen ein verlorener Umsatz nicht nachgeholt werden kann, im Gegensatz zur Industrie, die immerhin auf Halde produzieren kann.

      Trotz fehlender Einnahmen blieben während der Corona-Schließung für diese Unternehmer viele laufende Kosten bestehen, etwa für Personal, Miete oder Leasing des Geschäftsautos. Die für Kleinstunternehmen in der ersten Runde zur Verfügung stehenden Zuschüsse (9 000 beziehungsweise 15 000 Euro) sind dann nur ein Tropfen auf den heißen Stein, zumal die bürokratische Abwicklung auch häufig chaotisch läuft.

      Zudem fehlt dann immer noch das Geld für die tagtägliche Lebenserhaltung des Selbständigen (sein »Unternehmergehalt«), seine Krankenversicherung oder seine Altersversorgung. Die verbleibenden Alternativen, Kredite aufzunehmen, bei denen unklar ist, ob man sie jemals zurückzahlen kann, oder Hartz IV zu beantragen, sind auch nicht sonderlich attraktiv, sodass viele dieser Unternehmer ihr Geschäft eher einstellen werden.

      Auch Frauen und ihre Beschäftigungsfelder gehören zu denjenigen, die in den ersten Corona-Rettungspaketen des deutschen Staats eher vernachlässigt werden (von der Belastung durch zusätzliche Sorgearbeit noch ganz abgesehen). Während die eher männlich geprägten Branchen der (Export-)Industrie relativ gut bedacht wurden, fehlt ein analoger Mitteleinsatz für die von Frauen dominierten Gesundheits- und Pflegeberufe, worauf beispielsweise ein Positionspapier des Rats für Nachhaltige Entwicklung hinweist. Hinzu kommt, dass Frauen ganz besonders von der steigenden Arbeitslosigkeit erfasst werden – vier der fünf besonders betroffenen Berufe werden überproportional von Frauen wahrgenommen (Verkauf, Reinigung, Speisenzubereitung und Sekretariat), so Andre Wolf im Wirtschaftsdienst.

      Wenig bedacht sind auch die Kommunen, die nicht nur für die Finanzierung vieler solcher Dienstleistungsjobs zuständig sind, sondern auch für den Großteil der öffentlichen Infrastrukturinvestitionen, beispielsweise in Schulen, Straßen und den Klimaschutz. Diese Unterstützung der Binnennachfrage unterbleibt, obwohl solche Investitionen gerade in Krisen besonders hohe Multiplikator-Effekte sowie positive Erwartungseffekte für private Unternehmen zeigen, worauf Tom Krebs hinweist.

      Kommunale Gewerbesteuereinnahmen werden zudem in den nächsten Jahren drastisch einbrechen, wie ein Gutachten für den Deutschen Städtetag zeigt, auch wenn sie für 2020 noch im Paket abgesichert sind. In der Folge – und wegen des Einbruchs bei Gewerbeimmobilien – droht die Baubranche ebenfalls in die Krise zu geraten, auch wenn diese derzeit noch insbesondere von der guten privaten Immobilienkonjunktur zehren kann.

      Zu den klaren Verlierern der ersten beiden Corona-Pakete gehören also die binnenorientierten Wirtschaftssektoren. Für die Binnennachfrage relevant ist im Rahmen der Rettungspakete vor allem die Mehrwertsteuersenkung. Letztere umfasst mit 20 Milliarden Euro weniger als zehn Prozent der im Frühjahr/Sommer 2020 beschlossenen fiskalischen Maßnahmen für die deutsche Ökonomie (wenn man Bürgschaften und Steuerstundungen einbezieht sogar weniger als 1,5 Prozent), obwohl drei Viertel der Deutschen im Binnensektor arbeiten.

      Die Wirksamkeit der Mehrwertsteuersenkung in Bezug auf die Kaufkraft ist zudem ungewiss, da die Steuersenkung von den Unternehmen nur teilweise weitergegeben wird. Zudem ist fraglich, ob sie als Kaufreiz ausreicht. Erste Befragungen durch das IMK verweisen darauf, dass nur ein Viertel der Haushalte darauf mit Mehrkonsum reagieren wird. Schließlich kommt sie zu einem nicht geringen Teil auch ausländischen Unternehmen zugute, beispielsweise Amazon.

      Bei vielen Menschen sind aufgrund der Krise die Einkommen gesunken, sie können im täglichen Leben nun deutlich weniger Geld ausgeben. Hinzu kommt das »Angstsparen«: Die Menschen verzichten auf einen kleinen Luxus im Alltag, weil sie nicht wissen, ob sie in ein paar Monaten noch über eine Stelle verfügen. In der Folge droht die weitere Verödung der Innenstädte. Wenn Gastronomie, Clubs und Kultureinrichtungen


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