Exportismus. Andreas Nölke

Exportismus - Andreas Nölke


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für die Binnensektoren aufgelegt. Möglichkeiten gab es viele. In vielen anderen Ländern werden die Gastronomie und der Einzelhandel durch vom Staat (oder der Kommune) ausgegebene Konsumgutscheine unterstützt, die nur vor Ort eingelöst werden können. Diese könnten zudem mit einem im Zeitablauf sinkenden Wert (Schwundgeld) versehen werden, um einen Anreiz für eine zügige Einlösung vorzugeben, wie es Michael Hüther, der Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft, 2020 vorgeschlagen hat.

      Andere von Hüther zur Belebung der Binnennachfrage vorgeschlagene – und bisher nicht realisierte – Maßnahmen wären etwa eine befristete Absenkung der Sozialversicherungsbeiträge für Arbeitnehmer (jene sind bisher nur gedeckelt) oder Steuergutschriften als Kopfpauschale wie in den USA (»Trump-Schecks«). Die Befragungen des IMK zur Konsumwirksamkeit des Kinderbonus im Konjunkturpaket – gerade einmal vier Milliarden Euro – verweisen darauf, dass solche Maßnahmen recht gezielt die Binnennachfrage stimulieren.

      Das IMK selbst regt weitere Maßnahmen an, die in einem Konjunkturpaket die Binnennachfrage stimulieren könnten, etwa eine Aufstockung des Kurzarbeitergelds für kleinere Einkommen, ein höheres und längeres Arbeitslosengeld I und Hilfen für Minijobber, zumal jene beim Kurzarbeitergeld leer ausgehen.

      Musikclubs, Konzerthallen und Diskotheken, die aus gesundheitlichen Gründen vollkommen geschlossen bleiben müssen, benötigen eine pauschale Unterstützung, bis sie wieder öffnen können. Im November 2020 eingeführt wurde endlich ein Zuschuss in Anlehnung an ihren früheren Umsatz. Gleiches gilt für Unternehmen in Bereichen wie Kultur, Sport, Tourismus und anderen Unterhaltungssparten, die in der Corona-Krise nur mit einem Bruchteil ihrer Kapazitäten operieren können. Hier hätte viel energischer und früher gegengesteuert werden können, damit unsere Gesellschaft nach der Gesundheitskrise nicht wesentlich ärmer dasteht als vorher.

      Jenseits der konkreten Gestaltung aktueller Maßnahmen, um die Wirtschaft besser gegen die Corona-Krise zu schützen, stellt sich die Frage nach der langfristigen Tragfähigkeit des deutschen Wirtschaftsmodells. Krisensituationen sind regelmäßig Phasen, in (und nach) denen intensiv über die die künftige Ausrichtung der Ökonomie diskutiert wird.

      Angesichts der Beobachtungen, dass es vor allem die Exporte waren, die für die schweren Verwüstungen durch die Corona-Krise in der deutschen Wirtschaft verantwortlich waren, dass der Erfolg des deutschen Exportmodells maßgeblich darauf beruht, dass die Löhne großer Teile der Bevölkerung gedrückt werden und dass das Corona-Rettungspaket wieder überproportional die Exportsektoren begünstigt und die Verarmung der Binnensektoren in Kauf nimmt, stellt sich die Frage, ob es nicht an der Zeit für eine gründliche Abkehr vom deutschen Exportmodell ist.

      Bisher haben tiefe Krisen in der Bundesrepublik allerdings regelmäßig zu einer Vertiefung des Exportmodells beigetragen (siehe Kapitel 5).

      Die Corona-Rezession ist allerdings ein besonders lauter Warnschuss in Bezug auf die Fragilität des extremen deutschen Exportmodells. Das gilt umso mehr, als es sich schon vor Corona in einer tiefen Krise befand. Der breiten Bevölkerung war diese Krise kaum bewusst. Das lag zunächst daran, dass diese Krise formal nicht als Rezession zählt – von einer Rezession spricht man offiziell erst, wenn ein solcher Rückgang in zwei Quartalen hintereinander stattfindet –, das wurde nach den Zahlen des Statistischen Bundesamts haarscharf verpasst. Zudem waren die offiziellen Stellen bemüht, die Schwere des wirtschaftlichen Einbruchs herunterzuspielen. Diese Vorgehensweise hat Methode: Bei Berichten über eine Rezession reagieren die Verbraucher und Unternehmen in der Regel mit Angstsparen, um ein Polster für die Krise anzulegen. Damit verschlimmern sie allerdings die Rezessionsgefahr.

      Die Eintrübung der Wirtschaft wurde in Deutschland aus diesen Gründen zunächst als normale Abkühlung nach Jahren der Hochkonjunktur beschrieben. Sie wurde dann auf alle möglichen Sonderfaktoren zurückgeführt, die mit einer echten Rezession nichts zu tun hätten. Angeführt wurden 2018 beispielsweise die Probleme mit der Zulassung neuer Autos aufgrund der Umsetzung der neuen Abgasnorm. Oder es wurde auf den niedrigen Wasserstand in den Flüssen verwiesen, der in einem heißen Sommer die Auslieferung per Frachter erschwert habe.

      Hilfreich war bei dieser Schönfärberei, dass die Arbeitsmärkte – jener Aspekt der Wirtschaft, der für die breite Bevölkerung unmittelbar relevant ist – beim wirtschaftlichen Einbruch immer etwas hinterherhinken, wie derzeit auch in der Corona-Rezession. Erfahrungen aus den beiden letzten Rezessionen 2001 und 2008 zeigen laut Thomas Fricke, dass die Arbeitslosigkeit erst circa ein Jahr nach dem Wirtschaftseinbruch steigt. Zudem ist davon auszugehen, dass dieser Zeitraum sich inzwischen sogar noch weiter nach hinten verlagert hat, da der demographische Wandel die Unternehmen dazu bringt, erfahrene Fachkräfte in einer Krise nicht gleich zu entlassen.

      Besonders sensible Indikatoren für die Entwicklung der deutschen Wirtschaft zeigten allerdings bereits seit Ende 2017 eine deutliche Eintrübung. Die Anzahl der Arbeitnehmer in Zeitarbeit ging beispielsweise bereits seit 2017 kontinuierlich zurück. Spätestens seit Anfang 2018 waren die wichtigsten Indikatoren in einem systematischen Niedergang begriffen, sei es der vom Bundeswirtschaftsministerium erfasste Auftragseingang im verarbeitenden Gewerbe oder das ifo-Geschäftsklima.

      Die Erwartungen für die weitere Entwicklung der deutschen Wirtschaft – abgefragt vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) – waren im Herbst 2019 ausgesprochen negativ, so schlecht wie seit dem Höhepunkt der Eurokrise im Jahr 2011 nicht mehr, nachdem sie bereits seit dem zweiten Quartal 2018 quasi durchgehend negativ waren.

      Die Zahl der offenen Stellen ist seit dem zweiten Quartal 2019 zurückgegangen, in den stark exportabhängigen Branchen Maschinenbau, Elektrotechnik und Autoproduktion war sie bereits seit Ende 2018 rückläufig. Auch die Anzahl der Unternehmenspleiten stieg nach Angaben der Creditreform bereits 2019 an, wiederum sehr deutlich in der Industrie. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Ernst & Young kam es 2019 sogar zu einem neuen Rekord bei den Gewinn- und Umsatzwarnungen der an der Börse gelisteten Unternehmen.

      Auch ohne die Corona-Krise war die deutsche Wirtschaft auf Grund ihrer Exportlastigkeit also bereits 2018/19 im Niedergang begriffen. Die Ursachen für die Eintrübung der Exporte sind kein Geheimnis, neben dem Brexit stand vor allem der Handelskonflikt zwischen China und den USA und die Krise der Autoindustrie im Vordergrund.

      Das nächste Kapitel wird zeigen, dass alle diese Risikofaktoren auch nach der Corona-Krise weiter relevant sind – und sogar nur die »Spitze des Eisbergs« in Bezug auf die kommenden Risiken des extremen deutschen Exportmodells sind. Es ist also höchste Zeit für eine Debatte über die Meriten und Risiken dieses Modells.

      Eine Debatte ist umso dringlicher, als in einer wirtschaftlichen Krise in Deutschland regelmäßig die Devise zu hören ist – auch jetzt schon –, dass wir nun »den Gürtel enger schnallen müssen«, um uns aus der Krise zu sparen. Damit intensivieren wir das Problem jedoch nur durch Reduktion der Binnennachfrage und weitere Intensivierung der Exportfixierung.

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