Iss dich klug!. Manuela Macedonia

Iss dich klug! - Manuela Macedonia


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Auch in diesem Zwischenschritt habe ich weder gegessen noch ist mit dem Mann etwas Konkretes passiert. Die Vorfreude, die Auswirkung von Dopamin auf mein Gehirn, hat aber bereits Handlungen gesteuert, und ich freue mich auf den Braten oder auch auf die Einladung auf einen Drink. Raffiniert hat die Evolution diese Mechanismen gebaut: Man kann nicht anders! Zu Hause angekommen, stürze ich mich endlich auf meinen Braten, und er schmeckt mir, mhhh, das saftige Fleisch, die knusprige Kruste, ein Bissen, noch einer, leider ist es immer zu wenig!

      Dopamin, das wir im Allgemeinen als Glückshormon kennen, verstärkt Lust versprechende Reize und Lernprozesse, wodurch wir uns diese Belohnungen holen können. Mit anderen Worten motiviert uns die Belohnung auch zu Handlungen, die wir sonst nicht setzen würden. Sind Sie auch schon ein paar Kilometer extra zu einem Eissalon gefahren, um dort diesen besonderen Geschmack zu finden? Mango & Minze oder die cremigste Sahne dieser Welt? Ja, man ist bereit, einen Aufwand zu betreiben, um zur Belohnung zu kommen. So funktioniert dieses System! Seine Entdeckung, ein Meilenstein in der Geschichte der Neurowissenschaft, war ein Produkt des Zufalls. Mitte der 1950er Jahre experimentierten James Old und Peter Milner am California Institute of Technology an Lernprozessen bei Ratten. Dafür setzten sie in das Gehirn der Tiere Tiefenelektroden ein, also winzige Kupferdrähte, die viel dünner als ein menschliches Haar sind. In der jeweiligen Region des Rattenhirns gaben sie einen Stromreiz ab. Es sollte eine gewisse Reaktion im Tier bewirken.

      Stellt man sich die Dimension eines Rattengehirns vor – vielleicht so groß wie eine halbe Erbse – ist es klar, dass es sehr schwer ist, die gewünschte Stelle punktgenau zu erreichen. Es kann auch knapp daneben gehen, sodass man eine völlig andere Gehirnstruktur erwischt. Und so war es auch bei Old und Milner. Sie merkten, dass etwas schief gegangen war, weil die Ratte immer wieder an jene Stelle der Experimentbox ging, wo sie die Elektrode und somit auch den ersten Stromstoß bekommen hatte. Die Wissenschafter schlossen daraus, dass der Stromstoß für das Tier »angenehm« sein musste, dass es in der Hoffnung hinging, wieder Angenehmes zu erleben. Aber warum?

      Darauffolgend bauten sie eine Experimentbox mit einem Hebel, welcher mit der Elektrode direkt verbunden war. Durch das Betätigen des Hebels konnte die Ratte den Stromstoß selbst auslösen. Genau das tat sie, und genau das taten auch die nächsten hundert Tiere, die eine Elektrode in einen der Dopamin produzierenden (dopaminergen) Kerne eingesetzt bekamen. Die Nager betätigten den Hebel immer und immer wieder, sogar im Fünf-Sekunden-Takt, bis fünftausendmal am Tag. Am Ende brachen sie erschöpft zusammen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war den Wissenschaftern klar, dass eine Stimulierung dieser Stelle das Verhalten der Tiere wie sonst nichts anderes beeinflusst. Lust ist das oberste Prinzip, nach dem wir handeln. Sie ist die einzig wahre Motivation.

      So versteht man auch, warum der Schweinsbraten oder der Flirtblick in unserem Verhalten Priorität haben, und es überrascht nicht, dass Essen auch als »Sex des Alters« bezeichnet wird. Essen belohnt, wenn wir etwas geschafft haben: Nach einem Erfolg feiern wir mit etwas Gutem, ob zu Hause oder im Restaurant. Es belohnt aber auch, wenn wir Frust erleben oder unglücklich sind. Unbewusst wollen wir den Dopaminspiegel erhöhen. So gehen wir immer und immer wieder zum Kühlschrank oder zur Schublade mit den Süßigkeiten, manchmal zur Weinflasche. Auch Alkohol löst die Dopaminausschüttung aus und gibt uns ein wohliges Gefühl. Sind wir unglücklich verliebt, stürzen wir uns auch auf Schokolade. Wir suchen nach Belohnung, nach ein bisschen Glück! Umgekehrt vergessen wir aufs Essen und Trinken, wenn wir verliebt sind. Es heißt, dass die Verliebtheit den Magen zuschnürt. In diesem Fall haben wir so viel Dopamin im Umlauf, dass der Nahrungsverzicht nicht auffällt, man lebt gerne von Luft und Liebe! Und was mit dem Mann ist, der mir den Flirtblick zugeworfen hat? Er hat sich nie gemeldet. Möglicherweise war sein Drang mich wiederzusehen nicht ausreichend groß, ich dürfte in seinen Nucleus accumbens und Substantia nigra nicht den erhofften Dopaminsturm ausgelöst haben. Aber der Blick hat gut getan, ein bisschen Glück ist immer gut!

       Experimentbox

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      Eine Schwangere soll für zwei essen

      Meine Nonna (Oma) Irene war eine kleine Bergbäuerin im italienischen Aostatal. Ihre Wiesen waren karg und abschüssig. Ihr Gemüse baute sie auf Terrassen an, die von Trockenmauern gestützt, mühsam mit einem umgeleiteten Bach bewässert wurden. Sie belieferte uns mit allem, was wir brauchten: Gemüse, Obst, Eier, Wurst, Suppenhühner und Kaninchenfleisch. Als meine Mutter mit mir schwanger wurde – damals eine Spätgebärende, weil 33 –, fing Nonna Irene an, Wachteln zu züchten, in der Meinung, meine Mutter müsse öfter Fleisch essen: Zwei oder drei Wachteln in der Woche zu schlachten, sei ja kein großer Aufwand für sie, ja, für die Oma.

      Eine Schwangere soll für zwei essen, heißt es. Diese Vorstellung stammt aus einer Zeit, als die Menschen von einer Mahlzeit nicht satt wurden. Dass ich es im Mutterleib nicht länger als sechseinhalb Monate aushielt, lag bestimmt nicht an der Ernährung meiner Mutter, die sehr abwechslungsreich, und man würde heute sagen »bio«, war. Meine Mamma behauptete, ich sei früher auf die Welt gekommen, weil ich zu neugierig war, um im Mutterleib zu bleiben. Schön gesagt. Gut war es für mich aber nicht. Mein Frühchen-Gehirn war nach sechseinhalb Monaten nicht so entwickelt wie jenes eines Babys, das neun Monate im Bauch seiner Mama verweilen darf. Mein Gehirn war kleiner, und vor allem war die Rinde, also die Oberfläche, die in den letzten drei Monaten vor der Geburt dicker wird, bestimmt noch relativ dünn und glatt, wenig gefaltet. Dies führt nicht selten zu Problemen in der kindlichen Entwicklung, zum Glück wusste meine Familie nichts davon.

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       Gehirnrinde (Kortex) und ihre Funktionen

      Die Oberfläche unseres Gehirns, auch Kortex genannt, lateinisch für Rinde, besteht aus besonderen Zellen, den Neuronen. In sechs Schichten angeordnet, bilden sie eine Landkarte dessen, was wir sind, wissen und können. Für das Baby ist sie die Basis für sein künftiges Leben. Nachvollziehbar ist, dass die beste Entwicklung nur durch einen neunmonatigen Verbleib im Mutterleib gegeben ist. Im Fötus bildet sich die Rinde aus Stammzellen, also Zellen, die noch in einem »Rohzustand« sind. Aus dem Neuralrohr kommend, einer Struktur in der Tiefe des Gehirns, wandern sie – man sagt dazu »migrieren« – in jene Region des Kortex, wofür sie vorgesehen sind1. Erreichen sie ihre Bestimmungsorte, differenzieren sie sich: Sie werden zu Neuronen für unsere Sinne, also für Seh-, Gehör-, Riech-, Geschmacks- und Tastsinn sowie das Gleichgewicht, aber auch für Bewegung, Sprache, Denken, Lernen und Fühlen – für all das, was wir sind, wissen und können. Die »Zellproduktion« wird ab der siebten Schwangerschaftswoche auf 1.000 Neurone pro Minute hochgefahren. Bis zum Ende des neunten Monats müssen es ja um die 100 Milliarden werden. Während der fötalen Entwicklung ist unser Gehirn eine Großbaustelle, die ordentlich über die mütterliche Nahrungsaufnahme versorgt gehört.

      Zur optimalen Ernährung des Babys im Mutterleib sind im Lauf der Jahrzehnte zahllose Vorschläge gemacht worden. Sie beziehen sich aber auf die allgemeine körperliche Gesundheit des Fötus, somit auch auf jene seines Gehirns als Organ, allerdings nicht auf die Auswirkungen der Ernährung auf die kognitiven – also geistigen – Fähigkeiten oder auf die Psyche des Kindes. Alle Ernährungsvorschläge richten das Augenmerk auf Lebensmittel, die Folsäure, Vitamine, Eisen, Jod, Kalzium und andere Spurenelemente enthalten. Unter diesen Substanzen ist Folsäure für die Entwicklung des kindlichen Gehirns tatsächlich unentbehrlich. In Lebensmitteln als Vitamin B9 vorkommend und künstlich als Folsäure hergestellt, unterstützt ihre Einnahme die Teilung und das Wachstum von Zellen. Dieses Spurenelement wird meistens am Anfang der Schwangerschaft als Nahrungsergänzung empfohlen, um das Risiko von Fehlbildungen des Neuralrohrs zu reduzieren. Bei Wirbeltieren ist das Neuralrohr jene Struktur, die im Lauf der fetalen Entwicklung zum zentralen Nervensystem wird, somit auch zum Gehirn.

      Fehlbildungen des Neuralrohrs finden in den ersten vier Schwangerschaftswochen statt: Sie betreffen das Rückenmark, das sich spalten kann (Spina bifida), aber auch das Gehirn selbst, in dem noch


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