Iss dich klug!. Manuela Macedonia
Prozent gesteigert. Heißt es, dass jede Frau, deren Body-Mass-Index eine gewisse Zahl überschreitet, ihrem Kind oben genannte Probleme vererbt? Soll jede Schwangere oder bereits gewordene Mutter anfangen, sich Vorwürfe zu machen, oder sollen wir unseren Müttern Vorwürfe machen? Die Antwort auf beide Fragen lautet »Nein«! Nicht jedes Kind wird die diese Probleme bekommen, zum Glück! Nochmal von vorne: Statistisch gesehen, haben Kinder mit solchen Problemen eher übergewichtige Mütter. Das ist eine empirisch bewiesene Tatsache. Allerdings spielen neben dem mütterlichen Übergewicht eine Menge zusätzlicher Faktoren in der Entstehung von Verhaltensstörungen und Krankheiten eine wesentliche Rolle. Seelischer Stress, zum Beispiel, also psychosozialer Stress, der aus Konflikten resultiert26, ist ein übler Akteur in diesem Zusammenhang. Im Gegensatz zum Übergewicht sieht man ihn nicht.
Während des Schreibens dieser Zeilen reflektiere ich darüber, dass ein guter Teil des Wissens, welches in dieses Buch fließt, seit mindestens zehn Jahren in den Datenbanken der Forschung ruht und selten nach außen dringt. In dieser Zeit sind unsere Essgewohnheiten zunehmend schlechter geworden. Immer mehr macht Übergewicht den Menschen zu schaffen, immer mehr Burger-Restaurants entstehen, und Pommes Frites sind allgegenwärtige Beilage zu Fast-Food-Gerichten. Es genügt nicht, den Menschen zu sagen, dass sie sich gesund ernähren sollen. Oft wird Junk-Food in Kantinen, Schul- und Universitätsmensen angeboten, sogar in Krankenhäusern, alles eine Frage der Kosten. Wir können uns nicht wehren, wenn wir abhängig sind. Aber auch am heimischen Herd setzt sich industrielles Essen durch. Meist aus Zeitmangel: Im Tiefkühler ist immer etwas Fertiges, eine Pizza zum Beispiel, die sich am Ende eines stressigen Tages schnell zubereiten lässt. Die Erkenntnis, dass Übergewicht dem Gehirn des Fötus schadet, ist für mich schwer zu ertragen. Allerdings würde mir das Zurückhalten von wissenschaftlichen Resultaten moralisches Unbehagen bereiten. Ich muss es sagen: Die Datenbanken sind auch dazu da, Wissen zu speichern und es zugänglich zu machen. Die Welt außerhalb der Forschungszentren, deren Arbeit mit Steuergeldern bezahlt wird, soll die Wahrheit erfahren und selbst entscheiden. Wir können nicht die Gehirne unserer Kinder für die Konzerne der Lebensmittelindustrie ruinieren.
Aber warum wirken sich mütterliches Übergewicht und Junk-Food auf das Gehirn des ungeborenen Kindes negativ aus? Untersuchungen haben ergeben, dass übergewichtige Menschen einen erhöhten Spiegel an entzündungshemmenden Zytokinen (Eiweiß) im Körpergewebe haben27. Diese besondere Art von Zytokinen wird vom Immunsystem freigesetzt, um Bakterien und Viren zu bekämpfen. Im Gewebe von übergewichtigen Schwangeren ist der Zytokin-Spiegel erhöht. Dadurch gelten sie als Anzeiger (Marker) für eine Dauerentzündung. Über die Plazenta werden sie in den Kreislauf des Fötus gespeist und erreichen sein Gehirn. Sie beeinflussen eine Reihe weiterer Prozesse, wodurch Gene »eingeschaltet« werden. So können Zytokine die Entwicklung von Gehirnregionen verändern, welche Emotion steuern, aber auch jene von Kernen, die wichtige Botenstoffe ausschütten – wie Dopamin und Serotonin. Letzteres macht unser Gemüt ausgeglichen und ist bei Depressionen in nicht ausreichender Menge vorhanden. Bei einem erhöhten Zytokin-Wert der Mutter erblickt ein Kind das Licht der Welt mit einem Gehirn, das durch die Dauerentzündung bereits einen Umbau der ursprünglichen Pläne erlebt hat.
Zytokine
Ein weiterer Grund für die erhöhte Anfälligkeit der beschriebenen neuropsychischen Störungen liegt im oxidativen Stress der Zelle. Als solchen bezeichnet man einen Prozess im Zellstoffwechsel, in dem die Zelle sozusagen »angegriffen« und geschwächt wird. Das kann durch Umweltgifte, aber auch Substanzen passieren, die über die Ernährung aufgenommen werden, freie Fettsäuren zum Beispiel. Sie kennzeichnen minderwertige Fette wie Frittierfett, Margarine und pflanzliche Öle, die aus der Warmpressung der Samen gewonnen werden. Kaltgepresste Öle haben hingegen einen niedrigen Wert an Fettsäuren, hochwertiges Olivenöl wird dafür immer erwähnt. Ernährt sich die Schwangere »westlich«, nimmt sie besonders viele freie Fettsäuren auf, die durch Lipolyse (Spaltung von Fetten durch Enzyme) ins Blut gelangen. Über die Plazenta kann das »verfettete« Blut den Fötus28 erreichen und den oxidativen Stress in seinen Zellen verursachen, auch in jenen des sich entwickelnden Gehirns. Die Folge ist die Zuschaltung von Genen, die den Bau des kindlichen Gehirns beeinflussen, es verändern und neuropsychische Störungen verursachen. Currywurst mit Pommes? Nein, bitte, wenn es geht, nicht in der Schwangerschaft!
Freie Fettsäuren
Bewusste Ernährung für das Kind im Mutterleib und ja kein Mangel!
Meine Nonna Irene hatte ein besonderes Power-Food für meine schwangere Mutter: Sie ging in den Hühnerstall, nahm ein frisch gelegtes Ei aus dem Nest, schlug es auf und reichte meiner Mutter den Dotter in der halbierten Schale, zum »Trinken«. Diese Praxis musste auch ich in meiner Kindheit, weil Frühchen, über mich ergehen lassen, einmal am Tag und das ohne Erbarmen. Der Dotter war dunkelorange und riesig, viel größer als jener von Eiern, die man heute im Geschäft kauft. Manche Hühner legten Eier mit zwei Dottern (pfui!), mir grauste davor. Noch warm und gallig erreichte die Flüssigkeit meine Zunge, mit fadenartigen Teilen im Eiweiß, ich machte die Augen zu und durch!
Unser Bewusstsein und auch unser Wissen bezüglich Ernährung wachsen täglich. Wir informieren uns über altbekannte und neuartige Lebensmittel, keine Diät geht »unbemerkt« an uns vorbei. Und wir bedenken die Umstände der Tierhaltung und wollen Nachhaltigkeit in der Gewinnung von Lebensmitteln. Viele Menschen sind in den letzten Jahren auf vegetarische und vegane Kost umgestiegen. Wie wirken sich diese Arten der Ernährung auf das Gehirn des Fötus aus? Ein Übersichtsartikel aus dem Jahr 201929, in dem zahlreiche Studien zusammengefasst werden, kommt zum Schluss, dass vegetarische und vegane Diäten zu einem Mangel an Eiweiß, Eisen, Vitamin D, Kalzium, Iod, Omega-3-Fettsäuren und Vitamin B12 führen können, allerdings nicht müssen. Wenn gut geplant und mit ausreichend Abwechslung, spricht nichts gegen diese Ernährung, so die Autoren. Die Botschaft ist auch ohne wissenschaftliche Untermauerung verständlich: Damit der Fötus all das hat, was er für seine Entwicklung braucht, ist eine große Abwechslung an »gesunden«, frischen Lebensmitteln, inklusive Eiweißlieferanten, das Gebot der Stunde.
Es darf auf keinen Fall zu einer Mangelernährung der werdenden Mutter kommen. Diesbezüglich kann die Neurowissenschaft auf Studien an Menschen zurückgreifen, die aus mehreren Ländern stammen. Sie haben schwangere Frauen während Hungersnöten erfasst und die Kinder über Jahrzehnte in ihrer Entwicklung begleitet. Hongerwinter steht im Niederländischen für die Hungersnot zwischen Oktober 1944 und April 1945, während der deutschen Besatzung der Niederlande vor allem in der Region Holland (in der sich Amsterdam befindet). Die Menge verfügbarer Lebensmittel pro Person sank von Monat zu Monat drastisch. Während im November 1944 für eine schwangere Frau noch 1.000 Kalorien täglich zur Verfügung standen, anstatt mindestens 2.300 plus circa 250 Kalorien für den Fötus, sank die Kalorienzufuhr im Frühling 1945 auf 400 Kalorien am Tag. Zu dieser Zeit aßen die hungernden Menschen alles, was überhaupt essbar war, mitunter auch Tulpenzwiebeln, die sie aus den öffentlichen Parks in Amsterdam ausgruben.
Wie wirkte sich der Hunger auf die Kinder aus, die zu jenem Zeitpunkt im Mutterleib waren? Wie nicht anders zu erwarten, verheerend aus mehrfacher Sicht. Tessa Roseboom, Wissenschafterin an der Universität Amsterdam, forscht bereits seit zwei Jahrzehnten zu verschiedenen Aspekten der Mangelernährung im Fötus. Ihre Langzeituntersuchungen30 begleiten die Betroffenen des Hongerwinters. Sie hat herausgefunden, dass Menschen, deren Mütter in der ersten Hälfte der Schwangerschaft gehungert haben, an Übergewicht und höherem Cholesterinspiegel leiden, während der umgekehrte Effekt – Untergewicht – eintritt, wenn die Mutter in der zweiten Hälfte der Schwangerschaft unterernährt war. Die erste Erscheinung lässt sich aus Sicht der Evolution verstehen: Bei Ressourcenknappheit stellt sich der Stoffwechsel auf verbesserte Verwertung der Nahrung um. Selbst wenn der Körper wenig bekommt, kann er durchkommen. Bekommt er mehr, wird er übergewichtig.
Wichtig sind allerdings die