Frankfurter Fake News. Robert Maier

Frankfurter Fake News - Robert Maier


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Beziehung, sondern die Familie. Wir haben zwei erwachsene Töchter.«

      Olaf fühlte sich immer unwohler. Sollte er Frau Yousef geradeheraus zu den Gerüchten befragen, ihr Mann wäre ein Kinderschänder gewesen? Bisher hatte sie nicht die geringste Andeutung hierzu gemacht, obwohl sie sehr offen zu ihm war. Ob sie tatsächlich nichts davon gehört hatte? Oder versuchte sie, es zu verheimlichen? Vielleicht war Yousef wirklich pädophil gewesen. Dann könnte er sich möglicherweise auch an den eigenen Kindern vergangen haben. Frau Yousef könnte eine der Mütter sein, die den Missbrauch ihrer Kinder nicht wahrhaben wollen oder versuchen, ihn auszublenden, statt ihn zu unterbinden.

      »War auch das Verhältnis Ihrer Töchter zum Vater in Ordnung?«, fragte Olaf schließlich.

      Sie sah ihn einen Moment lang verständnislos an. »Beide wohnen nicht mehr zu Hause. Trotzdem sehen wir uns oft, und einmal im Jahr machen wir eine gemeinsame Radtour den Main entlang bis nach Würzburg. Kasim hat diese Familientradition ins Leben gerufen, als die Mädchen noch recht klein waren. Ich weiß nicht, ob wir sie ohne ihn fortsetzen werden.«

      »Sind Ihre Töchter verheiratet?«

      Sie schien über die Frage verwundert. »Nina studiert in Göttingen«, sagte sie schließlich. »Sie ist sechsundzwanzig und schreibt an ihrer Masterarbeit. Vor etwa zwei Jahren hat sie sich von ihrem Freund getrennt. Seitdem hat sie keine Zeit für eine Beziehung, sagt sie.« Sie lächelte. »Isabel ist vierundzwanzig und studiert ›Sustainable Development‹, oder wie immer das offiziell heißt, in Fulda.«

      Das klang nicht nach Missbrauchsopfern, sondern nach zwei ganz normalen, selbstbewussten jungen Frauen. Olaf beschloss, Sabine Yousef nicht mit den ungeheuerlichen Anschuldigungen zu konfrontieren, von denen ihm erzählt worden war. Wie es schien, hatte sie nie davon gehört.

      »Laut Polizei wurde Ihr Mann von einem Kunden aufgefunden. Was wissen Sie über die Umstände?«

      »Ich wurde in der Kita angerufen.« Sie öffnete die Schublade neben der Spüle, entnahm ihr eine Packung Taschentücher und putzte sich erneut die Nase. »Ich weiß nicht, wie Kasim umgebracht wurde. Ich kenne den Mann nicht, der ihn entdeckt hat. Vermutlich war es einfach jemand, der eine Reise buchen wollte. Die Waffe wurde auf die Schläfe aufgesetzt und Kasims Kopf …« Sie brach ab.

      »Ich kenne die Presseerklärung der Polizei«, beeilte Olaf sich zu sagen. Er konnte nachempfinden, was in Sabine Yousef vorging. Er hatte denselben Schmerz gespürt, das erste Mal vor zwei Jahren. Es war ein Schmerz, der immer wieder zurückkehrte, wenn er an seine Frau Carola dachte, an ihren Unfall.

      »Das reicht für heute«, sagte er schließlich. »Ich werde weiterrecherchieren.«

      Er erhob sich von seinem Stuhl. Es war ein spontaner Impuls, einen Schritt auf Sabine Yousef zuzugehen und sie zu umarmen. »Es tut mir so leid für Sie.«

      Sie ließ es geschehen, legte sogar für einen Augenblick ihren Kopf an seine Schulter. Dann löste sie sich von ihm und trat einen Schritt zurück.

      »Vielen Dank.« Es klang, als sagte sie es zu sich selbst.

       10

      Olaf war nicht überrascht, als Gottfried anrief.

      »Wie ist es mit der Witwe gelaufen?«

      Er war gerade auf dem Weg zur U-Bahn. Vor wenigen Minuten erst hatte er mit Sabine Yousef gesprochen. Zum Glück hatte der gelangweilte Kerl nicht angerufen, als er noch bei ihr gewesen war. Gottfried brauchte unbedingt eine sinnvolle Beschäftigung!

      In wenigen Worten berichtete Olaf, was er in dem Gespräch erfahren hatte.

      »Und von den Anschuldigungen, ihr Mann sei pädophil gewesen, war keine Rede?«, fragte Gottfried.

      »Sie schien nicht die geringste Ahnung von den Vorwürfen zu haben. Außerdem brachte sie überzeugend rüber, dass die Familie intakt sei. Auch das Verhältnis der Töchter zum Vater schien gut gewesen zu sein.«

      »Dann ist es die Organisierte Kriminalität«, stellte Gottfried fest.

      »Das oder vielleicht der türkische Geheimdienst«, erwiderte Olaf.

      »Auch dazu sollten wir schnellstmöglich mehr herausfinden.«

      »Das habe ich gestern bereits getan«, sagte Olaf. Er fasste die wichtigsten Fakten zusammen, die er im Internet gefunden hatte.

      „Es gibt tatsächlich ein so großes Netz von Spitzeln in Deutschland?“, sagte Gottfried beeindruckt.

      „Sechstausend türkische Agenten. Das sind mehr, als die Amis in Deutschland haben. Und die leiten es sofort an die Behörden weiter, wenn jemand über ihren Präsidenten herzieht oder sich positiv über eine in der Türkei verbotene Organisation äußert. Ruckzuck gelten solche Leute dann als Terroristen.“

      »Ich verstehe«, sagte Gottfried. »Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass der türkische Geheimdienst Landsleute in Deutschland exekutiert, so wie es bei Yousef den Anschein hat. Die warten darauf, dass die Leute zum Urlaubmachen in ihr Heimatland kommen, und sperren sie dann ein.«

      »Deshalb arbeiten viele der Spitzel in Reisebüros. So kriegen sie mit, wenn ein in Ungnade gefallener Landsmann eine Türkeireise bucht.«

      Gottfried lachte zynisch.

      »Wenn also jemand türkischen Boden betritt«, fuhr Olaf fort, »der sich irgendwann irgendwo irgendwie kritisch geäußert hat, kann es sein, dass er vom Fleck weg verhaftet wird.«

      »Und Yousef hatte ein Reisebüro«, sagte Gottfried nachdenklich.

      »Richtig. Yousef soll allerdings völlig unpolitisch gewesen sein. Dann wiederum Verachtung für den Präsidenten empfunden haben. So richtig neutral klingt das für mich nicht.«

      »Wir sollten uns mal diesen Bücherclub ansehen«, schlug Gottfried vor.

      »Den Deutsch-Kurdischen Literatursalon.«

      »Genau den. Es werden bestimmt nicht alle kurdischen Autoren nur über die Liebe und die Schönheit der Berge schreiben. Bei der Geschichte, wie sie die Kurden in den letzten hundert Jahren erlebt haben, muss da zwangsläufig eine Menge politische Literatur entstanden sein.«

      »Hatte ich sowieso vor«, sagte Olaf. »Ich werde mich mal mit diesen Literaten unterhalten. Und zum Thema Organisierte Kriminalität mach ich mich auch noch schlau.«

      »Dem Vorwurf, Yousef hätte Kinder missbraucht, sollten wir aber ebenfalls nachgehen.«

      »Ich denke, wir parken das Thema erst einmal. Die anderen Optionen sind viel wahrscheinlicher.«

      »Du denkst nun, dass die Vorwürfe nichts anderes als Gerüchte sind, die jemand gestreut hat?«

      »Gestreut, lanciert, oder irgendein Waschweib läuft im Viertel herum und erzählt haarsträubende Dinge über Yousef.«

      »Du solltest selbst am besten wissen«, Olaf glaubte Gottfrieds spöttisches Totenkopfgesicht zu sehen, »dass Gerüchte heutzutage nicht mehr von alten Tratschtanten gestreut werden. Das Internet kann so was viel effektiver.«

      Natürlich war Olaf ebenfalls der Gedanke gekommen, dass die Anschuldigungen von irgendeiner dubiosen Quelle im Internet herrühren könnten. Deshalb hatte er vor, dazu einige Recherchen anzustellen, allerdings erst nachdem er sich mit den anderen, derzeit viel lohnenderen Themen beschäftigt hätte. Solche Recherchen könnte aber auch Gottfried übernehmen. Olaf gefiel der Gedanke: Er würde die Aufgabe an einen Abteilungsleiter eines Großkonzerns delegieren. Damit hätte Gottfried die Beschäftigung, nach der er so offensichtlich lechzte. Und er würde nicht mehr ständig anrufen, um nach dem aktuellen Stand der Nachforschungen zu fragen. Er war einfach nicht der Typ Patient, der sich in einem Krankenhaus ausruht, also konnte er genauso gut etwas Sinnvolles zu den Recherchen beitragen.

      »Gottfried, du kannst mich unterstützen. Versuche herauszufinden, woher die Gerüchte stammen. Facebook ist gewiss ein guter Ausgangspunkt dafür.


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