Frankfurter Fake News. Robert Maier

Frankfurter Fake News - Robert Maier


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       5

      Bis jetzt hatte Olaf bloß zwei Anknüpfungspunkte, zu denen er recherchieren konnte. Neben den Gerüchten über Yousef war es das Reisebüro. Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, machte er sich auf den Weg dorthin. Es galt, sich einen Eindruck von dem Ort zu verschaffen, der zugleich Yousefs Arbeitsplatz und der Tatort für seinen gewaltsamen Tod gewesen war. Wenn es ihm darüber hinaus gelänge, einen Draht zu Yousefs Angestellten zu bekommen, könnte er hoffentlich weitere Hinweise erhalten.

      Das Reisebüro befand sich in der Nähe der Bockenheimer Warte. Als Olaf vor dem Schaufenster stand, wurde ihm bewusst, wie oft er schon daran vorbeigelaufen war. Dass es einmal der Schauplatz eines Mordes sein könnte, war ihm nie in den Sinn gekommen.

      Die Werbebilder im Schaufenster zeigten glückliche Menschen an Sandstränden: ein eigentümlicher Kontrast zu dem Verkehrslärm auf der Straße. Über dem Fenster war der Schriftzug »Reisebüro Yousef« zu lesen, »Ihr Türkei-Experte«. Durch die Scheibe konnte Olaf einen Verkaufstresen erkennen. Davor standen gepolsterte Stühle für die Kunden. An der Scheibe der Eingangstür klebte von innen ein DIN-A4-Blatt. »Wegen Trauerfall geschlossen« war darauf zu lesen. Olaf probierte dennoch, die Türe zu öffnen, spürte aber sogleich, dass sie zugesperrt war.

      »Der Laden wird so schnell nicht mehr aufmachen.«

      Der Mann hinter ihm musste aus dem Nichts gekommen sein. Er trug ein legeres Freizeithemd über einer modischen Jeans. Der Streifen Bart an seinem Kinn war nicht ungewöhnlich für einen Mittvierziger, wirkte aber wie ein vertikaler Schnurrbart.

      »Ich habe es gerade gelesen: Trauerfall«, sagte Olaf.

      »Ich frage mich, ob das wirklich ein Fall für Trauer ist.« Der Mann grinste spöttisch.

      »Wieso sollte es das nicht sein? Ich schätze, es ist jemand aus der Familie gestorben?«

      »Der Chef von dem Laden«, sagte der Mann. »Er wurde erschossen.«

      »Erschossen?« Olaf spielte den Verblüfften. »Jetzt fällt es mir wieder ein: In der Zeitung stand ein Artikel über einen Mord in einem Reisebüro. Das ist hier passiert?«

      »Genau hier. Letzte Woche Mittwoch«, bekräftigte der Andere mit einem Kopfnicken.

      »Wie schrecklich für die Familie.« Olaf tat beeindruckt. »Sie wird unter Schock stehen.«

      Der Mann nickte knapp.

      »Was weiß man mittlerweile über den Mord? In der Zeitung stand, er könnte mit der Organisierten Kriminalität zu tun haben.«

      »Das habe ich auch gelesen«, sagte der Andere. »Auf jeden Fall hat es mit Yousef nicht den Falschen erwischt.« Er sagte das mit der Überzeugung eines Mannes, der sich seiner Sache sicher ist.

      »Wissen Sie mehr über den Mord, als in der Zeitung steht?«, fragte Olaf.

      Der Mann grinste bitter und trat einen Schritt auf ihn zu. Er senkte die Stimme. »Seit einiger Zeit ist bekannt, dass Yousef auf kleine Mädchen stand.«

      »Er war ein Kinderschänder?«

      Der Mann nickte. »Hier in diesem Haus, im Keller, hat er sich an unzähligen Kindern vergangen. Aber nicht nur das: Er hat einen regelrechten Pädophilenring betrieben. Das muss ein einträglicher Handel sein. Die vermieten kleine Mädchen oder verkaufen sie an die Höchstbietenden.«

      »Das ist ja monströs!«

      »Verstehen Sie jetzt, warum ich über den Tod dieses Typen alles andere als traurig bin?«

      Olaf betrachtete sein Gegenüber. Er wirkte sympathisch und offen, wie einer, in dessen Gesellschaft man sich wohl fühlte. Nicht wie jemand, dem man nicht glauben sollte, was er erzählt. Wie aber sollte Yousef all diese schrecklichen Dinge getan haben, wenn die Nachbarschaft darüber Bescheid wusste?

      »Wenn bekannt war, dass in diesem Reisebüro Kinder missbraucht wurden, wieso ist dann die Polizei nicht eingeschritten?«

      »Es gab mehrere Anzeigen gegen Yousef, aber die sind alle im Sande verlaufen.«

      »Man hat ihm nichts nachweisen können?«

      »Eine einzige Hausdurchsuchung hätte gereicht, um unzählige Kinder zu retten. Die Polizei hat aber überhaupt nichts getan. Wahrscheinlich stellen Polizisten lieber Radarfallen auf, als den Laden eines Kinderschänders zu durchsuchen«, setzte der Mann sarkastisch hinzu.

      »Wer, glauben Sie, hat ihn erschossen? Jemand aus der Nachbarschaft?«

      »Ich war es ganz bestimmt nicht.« Der Mann trat mit gespielter Unschuldsgeste einen Schritt zurück. »Vielleicht war es jemand von hier. Ich glaube aber eher, ein Angehöriger eines der missbrauchten Kinder, vielleicht ein Vater, hat sich eine Waffe gekauft, um den Typen selbst zu richten. Es könnte aber auch jemand aus Yousefs Pädophilenring gewesen sein. Mit Kinderprostitution kann man viel Geld verdienen. Vielleicht ist er einem Konkurrenten zum Opfer gefallen.«

      Der Mann verstummte und blickte finster durch das Schaufenster in das verwaiste Reisebüro.

      »Missbrauch von Kindern, Pädophilenring und das alles – woher wissen Sie das überhaupt?«, fragte Olaf schließlich.

      »Ganz gewiss nicht aus den Zeitungen.«

      »Woher dann?«

      »Durch eigene Recherche.«

      »Sind Sie Journalist?«, entgegnete Olaf.

      Der Mann sah ihn mit einem Grinsen an. »Nein. Aber ich kann zwischen den Zeilen lesen und achte darauf, was nicht gesagt wird.« Er wartete nicht auf eine Antwort. »Ich muss dann mal.« Er wandte den Blick ab. »Hoffentlich ist dieser Spuk bald vorüber.«

      »Welcher Spuk?«, fragte Olaf, aber der Mann setzte sich bereits in Bewegung.

      Olaf blickte ihm eine Weile hinterher. Ein Spuk?

       6

      Olaf wartete an einer roten Fußgängerampel, als das Handy in seiner Tasche vibrierte.

      Ein Gewitter von Bildern zog durch seinen Kopf, als er sah, wer der Anrufer war: Sara. Sie hatte in seinem letzten Fall eine Schlüsselrolle gespielt. Noch heute konnte er es nicht fassen, dass er mit dieser jungen, hübschen Frau im Bett gelandet war.

      »Ich bin zurück aus Mallorca und möchte dich treffen.« Diese geradezu geschäftsmäßig anmutende Feststellung hatte nichts mit der verführerischen Stimme zu tun, die er sonst von ihr kannte.

      »Hast du dir eine nette Finca gekauft?«

      Sie lachte. Das sinnliche Lachen, das er an ihr mochte. »Ich habe keine Finca gekauft«, erwiderte sie in demselben sachlichen Tonfall wie vorher, »sondern eine zu Geld gemacht.«

      Sara hatte gut für sich gesorgt. Gewiss würde sie nicht auf ihre Designerklamotten verzichten müssen, auch nicht auf das riesige Haus in Kronberg, denn nun hatte sie einen Millionenbetrag mehr auf der Bank.

      »Dann kannst du mal einen ausgeben.« Er erschrak, noch während er sprach, über den dämlichen Spruch. Für den ›Krummen Hund‹ wäre das eine angemessene Antwort gewesen. Für eine Frau wie Sara, die es gewohnt war, von distinguierten Herren aus dem höheren Management umworben zu werden, musste es banal klingen. Hoffentlich hatte er nicht gerade die letzte Chance verspielt, ihr wieder so nahe zu kommen wie zuvor.

      »Das werde ich gerne tun«, sagte sie in dem Tonfall, in dem sie vermutlich mit ihrem Opa sprach. »Um sieben im Restaurant Enrico?«

      Also ein Treffen auf neutralem Boden. »Um sieben«, bestätigte er. Er fühlte sich ernüchtert, als er das Handy zurück in die Jackentasche steckte. Er musste sich mit dem Gedanken vertraut machen, den väterlichen Freund zu geben.

      Während des Telefonats mit Sara war die Fußgängerampel


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