Dan Henry - Blas zum Angriff. Stig Ericson

Dan Henry - Blas zum Angriff - Stig Ericson


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ich das nicht gehabt. Ich fand mich nicht zurecht, kannte den Rhythmus noch nicht – ebensowenig die unentbehrlichen Schlupfwinkel. Die Trompetensignale jagten mich durch die Tage, und nachts schlief ich schwer und traumlos auf der Strohmatratze.

      Die Trompeten beherrschten unseren Lebensrhythmus. Ich erinnere mich an graukalte Morgenappelle zum vereinten Klang von 12 Trompeten, während das Sternenbanner gehißt wurde. Ich erinnere mich an das eilige Getrampel vieler Stiefel nach den Essensignalen und an die Flüche, die auf die Signale für Drill und Arbeitsdienst folgten.

      Nach ungefähr einem Monat hatte ich die 16 Trompetensignale, die Tag und Nacht bestimmten, gelernt. Die Welt von Fort Abraham Lincoln, vorher so groß und geheimnisvoll, begann um mich herum zu schrumpfen, und an jenem Sonntag im Dezember, von dem ich eben berichtete, war sie ziemlich klein.

      In jenem Herbst waren viele neue Rekruten nach Fort Lincoln gekommen. Man benötigte viele Leute, um die fünf Kompanien zu ersetzen, die bei der Schlacht am Little Bighorn vernichtet worden waren. Schon gingen Gerüchte um, daß ein neuer Feldzug in das gefährliche Gebiet am oberen Yellowstone gestartet werden sollte. Das war die Gegend, in der Sitting Bull hauste, der Führer der Prärieindiander, von dem man allgemein nur mit Schrecken, zugleich aber auch voll trotziger Rachegelüste sprach.

      „Soll ja ein schlauer Satan sein, der Kerl! Aber wir werden ihm schon die Flöhe aus dem Fell peitschen, daß er nie mehr sitzen kann!“

      „Und das sagst ausgerechnet du! Dein Arsch sieht doch aus wie eine überreife Tomate!“

      „Was weißt denn du!“

      „Jedesmal, wenn du dich auf deine Schindmähre setzt, machst du doch ein Gesicht, als würde dir jemand ein Messer reinjagen!“

      „Quatsch! Bald hat man sowieso überall Schwielen ...“

      Stallgeplänkel zwischen den Neulingen der Kompanie F. Ich nahm an ihren Reitübungen teil, um die anderen im Musikkorps einzuholen. Ich kann mich besonders an einen kleinen, dunklen Kerl erinnern, der nie still war. Er hatte verschwommene Augen und lachte heiser über seine eigenen Witze, während er zu den anderen hinüberschielte.

      „Na, hast du heute was Schönes gespielt?“ pflegte er zu sagen, wenn ich in den Stall kam.

      „Auf jeden Fall spielt er verdammt viel besser als du!“ kam es von dem Mann in der Nachbarbox.

      Und ein anderer:

      „Aber jetzt wird hier nach Noten geritten! Daß es nur so zwitschert, was?“

      „Geritten? Das ‚Halfter‘ hat ja keine Ahnung vom Reiten. Er hat nur sein verfluchtes Lehrbuch auswendig gelernt!“

      Jedesmal dieselben Worte, dasselbe Lachen, dieselben Bewegungen, dieselben Laute und Töne. Auf Fort Lincoln war alles Schablone.

      Das „Halfter“ war der Sergeant, der die Übungen zu Pferd abhielt.

      „Die Halfterkette zwei Faustbreit hinterm Maul festhalten!“ hatte er geschrien, als wir die Pferde zum ersten Mal hinausführten. „Und die Nägel nach unten! Die Nägel nach unten ...“

      Sein beflissenes Soldatengesicht schien mit der Mütze zusammengewachsen zu sein, und fast alle Linien in seinem Gesicht waren gerade – die Nase, der Schnurrbart, der kleine Mund.

      „Fertig zum Aufsitzen! Aufsitzen! Packt sie an der Mähne, das halten sie aus! So ...“

      Wir saßen in den Sätteln, während sich der Nebel über dem Missouri lichtete und das „Halfter“ mit herausgedrückter Brust schnarrte:

      „Die Daumen entlang der Zügel ... die Hände so hoch wie die Ellenbogen, mit einer Faust Abstand ... gerade Rücken, weiter vor im Sattel ... und die Nägel nach unten, die Nägel nach unten! Sitzt gefälligst wie Soldaten im Sattel und nicht wie Pißnelken! Und ihr wollt Sitting Bull den Schwanz hochknüpfen?!“

      Da war er wieder! Der Schreckliche. Der Feind hinter den Hügeln im Nordwesten.

      Conrad Beck schien von Sitting Bull nicht sonderlich beeindruckt zu sein. Wenn die Rede auf die Indianer kam, zeigte er nur freundliche Gleichgültigkeit.

      Manchmal, wenn ich aus dem Stall zurückkam, saß er auf dem Bett und würfelte mit sich selbst. Er schüttelte die knöchernen Würfel mit den fast abgewetzten Augen zwischen gewölbten Händen und warf sie dann auf der Decke aus. Immer wieder ...

      „Woran denkst du?“ fragte ich eines Nachmittags, und ich weiß noch, wie er mit dem Zeigefinger eine Acht um die beiden Würfel herum zeichnete.

      „Das möchte ich auch gerne wissen“, sagte er. „Vielleicht an Wärme. Und du selbst ... Er blickte hoch. „Kannst du sagen, woran du denkst?“

      Er machte mich verwirrt. Meine Gedanken schossen mir schneller durch den Kopf als die dazugehörenden Worte.

      „Tja, gegen Wärme hätte ich auch nichts einzuwenden“, versetzte ich schließlich.

      „Nein, nein ...“

      Conrad Beck spielte weiter mit seinen Würfeln. Ich erreichte ihn nicht; ich hatte das Gefühl, ihn enttäuscht zu haben.

      „Bald gibt’s Essen“, sagte ich. „Ich habe Hunger!“ Conrad sagte nichts, und ich faßte sein Schweigen als Kritik an meinen Worten auf. Ein dummer Ausländer. A crazy Swede. Ich legte mich aufs Bett, schloß die Augen und versuchte, auf Englisch zu denken. Jetzt polterten auch die anderen in die Mannschaftsstube herein. Einer von ihnen war Otto Arndt, das hörte ich an seinem Pfeifen und an dem trampelnden Tanz, den er zwischen den Betten aufführte. Er pfiff laut und musikalisch und markierte den Takt durch Fingerschnippen. Ich mußte mich anstrengten, um ihm nicht zuzuschauen; in seiner Art zu pfeifen, in seinem Blick lag etwas Herausforderndes. Begegnete man erst einmal seinem Blick, war es schwierig, wieder loszukommen. Ein Trompetensignal vom Wachgebäude drang durch das Stimmengewirr und das Getrampel.

      „Suppe, Suppe, Suppe“, sang einer. „Nie ein Stückchen Fleisch ...“

      Zu allen Signalen gab es die entsprechenden Worte und Liedchen, die sich im langjährigen Soldatendasein zusammengefunden hatten.

      Otto pfiff immer noch. Ich wandte mich ab. Er machte mich verlegen: er zwang mich, immer an meinen Mund, an mein Aussehen zu denken. „Du hast hübsche Lippen, Danny“, hatte er in der ersten Woche gesagt, in der ich beim Regiment war. „Nur schade, daß sie in deinem Gesicht sitzen. Jemand in Röcken wäre mir lieber!“

      Schließlich wurde es still. Die Stille brachte mir erneut die Feuchtigkeit und die Kälte im Raum zu Bewußtsein. Ich sehnte mich fort.

      „Kommst du jetzt?“ Conrad stand am Fußende und schüttelte die Würfel in seiner Faust.

      „Sicher“, sagte ich und dachte, daß er an diesem Wort bestimmt nichts aussetzen konnte. So sagen ja alle hier. Sicher. Sure. Alles war sicher in Amerika. „Wird gut tun, sich ein bißchen abzukühlen“, sagte Conrad. Wir gingen in das Schneetreiben hinaus.

      Ich weiß nicht, warum Conrad in die Armee eingetreten war. Er schien alles zu mißbilligen, was mit der Armee zu tun hatte. Sein schlanker, drahtiger Körper paßte nicht in die Uniform. Immer saß etwas schief an ihm, ohne daß er es selbst merkte.

      Vielleicht hatte ihn die Musik verlockt. Er liebte seine Trompete. Wenn er Trompete blies, wurde sein feingeschnittenes Gesicht eins mit dem Instrument, und seine schmalen Augen funkelten vor katzenhaftem Wohlbefinden.

      „Mmm, lecker! Ausnahmsweise Bohnen heute!“ sagte er, als wir um das Essen anstanden. „Das haben wir ja seit mindestens fünf, sechs Stunden nicht mehr bekommen!“

      2

      Morgens war die Kälte am schlimmsten. Oft wachte ich vom Frieren auf, und wenn ich hinterher mit einem Schluck Kaffee und ein paar Bissen Brot im Magen vor der Kaserne zum Appell antrat, schüttelte es mich vor Kälte. Am liebsten hätte ich mich zusammengekrümmt wie ein Wurm und wäre einfach vom Erdboden verschwunden.

      Alle mußten antreten, Kranke und Gesunde,


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