Dan Henry - Blas zum Angriff. Stig Ericson

Dan Henry - Blas zum Angriff - Stig Ericson


Скачать книгу
an den Indianer, der an die Wand gelehnt stand, kann ich mich gut erinnern. Ein Zipfel seines Hemdes hing unter der Decke hervor, in die er gehüllt war. Sein Gesicht war flach und blank und ausdruckslos. Wie ein dunkles, krankes Gewissen stand er dort, wie ein Zeichen dafür, daß etwas nicht in Ordnung war ...“

      Bretterwände, mit ein paar aufgehängten Waffen, ein Bild von einem Pferd, ein rostiger Eisenofen, Sägemehl auf dem Boden, eine lange Bartheke, an der ein Mann in einem karierten Hemd vor seiner Freundin schwadronierte und sich dabei mit den Händen durchs Haar fuhr ...“

      „Halloo! Hier kommen ja unsere Krieger!“

      Aus irgendeinem Grund weiß ich noch, daß der Mann hinter der Theke einen glatten Ring an der rechten Hand trug: vielleicht, weil ich vor verheirateten Männern einen gewissen Respekt empfand, vor Männern, die mit einer Frau zusammenlebten, die wußten ...“

      „Das sind doch die Musikanten, was?“ Er hatte unsere dunkelblauen Jackenaufschläge bemerkt.

      „Ja, Musik muß sein. Die erste Runde geht auf Rechnung des Hauses!“

      Wir tranken Whisky aus eckigen Gläsern, redeten und lachten albern; plötzlich scharten sich eine Menge Leute um uns, und irgend jemand spielte auf einem ungestimmten Klavier.

      Otto trommelte auf der Theke.

      „Siehst du den Fleck?“ Er deutete zur Tür hinüber. Durch das Sägemehl schimmerte ein dunkler, unregelmäßiger Fleck.

      „Das ist die Stelle, wo sie letzte Woche auf den Jungen geschossen haben! Den in F. Du weißt doch!“

      Ich wußte. Er hatte Widerstand geleistet, als die Wachpatrouille kam und der Sergeant hatte ihm in den Schenkel geschossen.

      „Sind alles Schweine, die ganze Bande“, sagte Otto Arndt.

      „Kaum haben sie ein paar Winkel am Ärmel, dann fühlen sie sich schon allmächtig. Hier bestimme ich, und wehe euch, wenn ihr nicht gehorcht! Wie dieser Junge zum Beispiel. Da sitzt er ganz friedlich vor seinem Glas, genau wie du und ich, und da kommt die Scheißpatrouille reingestürmt und brüllt, daß er kommen soll, und da läßt er sich vielleicht einfach ein bißchen Zeit – und liegt dann mit aufgerissener Schlagader da und verblutet!“

      „Woher weißt du das alles?“ fragte ich.

      „Man hat doch Ohren! Du – weißt du eigentlich, wie lange ich schon in den Klamotten hier rumlaufe?“

      „Und was tun wir, wenn sie heute abend kommen?“

      Der Fleck war groß. Ich fühlte mich gar nicht wohl in meiner Haut.

      „Heute abend! Zwei Tage vor Zahltag! Keine Chance, Danny, keine Chance! Ich will dir was sagen, und zwar, daß ...“

      Otto Arndt wurde langsam betrunken. Er schob sein Gesicht dicht an mich heran und erzählte von der Plackerei im Regiment; ich konnte die feinen blauen Adern auf seinen Nasenflügeln sehen und seinen sauren Atem riechen; als er sich kurz wegdrehte, nahm ich rasch mein Glas und setzte mich an einen der leeren Tische an der Längswand. Meine Phantasie beschäftigte sich mit dem Fleck. Er wuchs, wurde glänzend, rot und warm; ich hörte den Schuß und das Aufbrüllen des Getroffenen, sah, wie er versuchte, den Blutstrom zu stoppen. Blut und Sägespäne, Gelächter und Jammer. Der Whisky brannte mir im Magen.

      Inzwischen waren die Mädchen gekommen. Sie standen an der Bartheke. Ihre Nacken zeichneten sich weiß gegen die farbenfrohen Kleider ab. Die Nähe der Mädchen hatte das Lokal verändert, den Geruch, die Geräusche. Die plötzliche übertriebene Heiterkeit an der Theke kam mir unwirklich vor, wie schlechtes Theater–, sie stimmte mich eher düster.

      Eine der Frauen trug ein hellgrünes Kleid. Sie war fett und hatte dunkle Haare, die ausgebreitet über ihre Schultern fielen. Bill Hardy hatte den Arm um ihre Taille gelegt, und sie lachte mit zurückgebeugtem Kopf, kehlig und heiser.

      Das erste Liebespaar.

      „Na, kommst du drauf?“

      Die etwas belegte Stimme weckte mich aus meinen Grübeleien. Sie stand schräg hinter mir. Ich sah sie rasch an und nahm nur wahr, daß sie blond war und ein rotes, glänzendes Kleid anhatte.

      „Worauf?“ brachte ich heraus.

      „Das, worüber du nachdenkst!“

      Sie setzte sich zu mir. Ich weiß nicht, ob ich etwas sagte. Auf jeden Fall war mir sehr heiß. Ich führte das Glas zum Mund und entdeckte, daß es leer war.

      „Willst du etwas zu trinken haben?“

      „Nein ...“

      Sie roch nach Parfüm und nach etwas Anderem, Warmem, und sie war sehr wirklich. Es war gar nicht so, wie ich es mir vorgestellt hatte. In der Phantasie kann man wählerisch sein, sich das aussuchen, was man haben will; hier dagegen saß ich der Wirklichkeit gegenüber.

      Während der Pianist spielte und die anderen hinten an der Bartheke grölten, fragte sie mich, wie ich hieße und woher ich käme.

      „Schweden?“ sagte sie. „Ich glaube, daß eines der Mädchen in Bismarck von dort kommt. Oder vielleicht war es auch ihre Mutter.“

      „Was macht sie in Bismarck?“ fragte ich.

      Ich spürte, daß sie mich ansah.

      „Sie ist Lehrerin. In der Sonntagsschule!“

      Ich hatte etwas Dummes gesagt. The crazy Swede war wieder da.

      „Wie alt bist du?“ wollte sie wissen.

      „Achtzehn ...“

      Meine Wangen und Lippen glühten. Sie strich mir über den Kopf. Ich bewegte meinen Kopf in ihrer Hand, und sie atmete auf eine bestimmte Art – schwer, fast einschläfernd ...“

      Otto Arndt winkte mir mit einem albernen Grinsen auf seinem alkoholseligen Gesicht von der Bar aus zu.

      „Na, machst du Fortschritte?“

      „Scher dich um deine eigenen Angelegenheiten, du alter Bock!“ schrie die blonde Frau neben mir mit harter Stimme.

      „Paß gut auf ihn auf!“ schrie Otto zurück. „Er ist sehr empfindlich.“

      „Scher dich um dich selbst, hab ich gesagt!“

      Ihre plötzlich so scharfe Stimme brachte mich dazu, den Arm um sie zu legen und sie an mich zu ziehen. Ich packte ihren Körper, hart, krampfhaft, drückte mein Gesicht an ihren Hals ... Der Duft von ihren Haaren und dieser andere, unbekannte Duft waren sehr stark.

      „Beruhige dich ...“

      Sie versuchte sich zu wehren.

      „So nicht. Beruhige dich! So geht das nicht ...“

      „Aber ich will!“

      Sie legte mir den Arm um die Schultern, zum ersten Mal sah ich ihr Gesicht: ein ovales, ernstes Frauengesicht mit einem weichen Zug um den Mund. Ich nahm es undeutlich wahr, wie durch einen warmen Schimmer.

      „Willst du wirklich?“

      „Ja, ja ...“

      „Aber ich muß dem Kerl da das Zimmer bezahlen.“

      „Ich habe Geld ...“

      Sie stand auf. Ich hielt sie am Handgelenk fest.

      „Aber vielleicht bereust du es?“

      „Ich bereue es nicht!“

      „Na, dann komm ...“

      Sie nahm meinen Arm und ging langsam mit mir die Treppe hinauf.

      Das Folgende ist mir nicht mehr so deutlich in Erinnerung, aber gewisse Bilder sind noch da: das große Bett, die Vorhänge mit dem Blumenmuster, die Petroleumlampe, deren Docht sie hinunterschraubte.

      Ich erinnere mich auch noch an den Glanz ihres Halses und an den Schatten, der sich an der Wand bewegte.

      Dann weiß ich nur


Скачать книгу