Dan Henry - Blas zum Angriff. Stig Ericson

Dan Henry - Blas zum Angriff - Stig Ericson


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betete die Sonne an. Im Februar, wenn die Sonnenstrahlen den Appellplatz erreichten und wenn es vom vorragenden Kasernendach tropfte, redete man in Gedanken die Sonne voll Verzücken an: „Du wunderbare Sonne, du Lebensspenderin“; man saugte die Wärme in sich hinein, entspannte sich, fing an, von der Welt zu träumen.

      Ich erinnere mich an einen sonnenwarmen Februarmorgen, als Louis Schick die Tagesordnung durchging. Es war Samstag, und die Kompanie würde in Bismarck, der kleinen Stadt am Ende der Bahnlinie jenseits des Flusses, einen Ball geben.

      „Heute abend müssen wir unser Bestes geben, Jungs“, sagte er. „Und das will nicht wenig heißen! Sonst werden die Kerls aus K uns was erzählen!“

      Louis Schick war chief musician, der Leiter des Musikkorps. Er war lang und hatte blanke Stiefel, und während er sprach, ging er würdevoll auf und ab, gleichsam seine Schritte abwägend, wobei er gleichzeitig seine Schnurrbartspitzen betastete.

      „Volle Parade natürlich. Konzert und Tanz. Um fünf Uhr fahren wir ab. Um eins wollen wir noch ein paar neue deutsche Walzer üben, die Leutnant Wallace gerne hören will. Es ist auf jeden Fall besser, sie ordentlich einzustudieren, um seine Gefühle nicht zu verletzen ...“

      Vereinzeltes Gelächter. Leutnant Wallace war der Fortsadjutant und der Offizier, der für das Musikkorps verantwortlich war.

      „... und bis zum Repetieren muß das große Blech geputzt sein. Beck und Henry sind dafür verantwortlich. Ihr könnt unmittelbar nach dem Stalldienst damit anfangen. Die übrigen, die nicht abkommandiert sind, üben auf ihren Instrumenten. Hat irgend jemand noch Fragen?“

      Keiner hatte Fragen, und Louis Schick, der vor ein paar Monaten noch ein einfacher Korporal gewesen war, kommandierte rechts- und linksum marsch.

      Das Putzen der Blechinstrumente ... Der stechende Geruch von Essig, Salz und Grünspan. Conrad auf einem Schemel mit einer Tuba auf dem Schoß. Er hält den Kopf schief, und die helleren Haarsträhnen glänzen im Licht eines schmalen Fensters. Er sagt nichts, starrt nur den Fleck an, den er mit dem Essiglappen reibt. Seine Mütze liegt auf dem Boden – eine schmutzige dunkelblaue Schildmütze mit einer Sieben und zwei gekreuzten Säbeln auf dem Kopf.

      Er spiegelt sich in dem glänzenden Messing, lächelt seinem verzerrten Spiegelbild übertrieben zu. Das Lächeln verleiht ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit einer Katze.

      Dieses Bild steht noch sehr deutlich in meiner Erinnerung. Und ich kann ihn noch immer Garry Owen, Custers Lieblingslied, in Moll spielen hören.

      Plötzlich warf er den Lappen weg, legte die glänzende Tuba behutsam auf den Boden, nahm seine Trompete und begann zu blasen.

      Breit und kraftvoll und etwas heiser strömten die Töne aus dem Instrument. Er spielte den flotten, mitreißenden Kavalleriemarsch langsam und würdevoll wie einen Begräbnismarsch. Seine Augen funkelten. Der Trompetenklang erfüllte das Zimmer, und zwei Korporäle, die im Nebenzimmer gesessen und Karten gespielt hatten, kamen herein und lauschten. Sie standen in der Türöffnung, die Uniformjakken aufgeknöpft und die Mützen im Nacken, während Conrad die letzte Wiederholung des Marsches blies. Als noch zwei Takte übrig waren, legte er eine unerwaretete Pause ein – dann ging er die Tonleiter hinauf, statt, wie erwartet, hinab. Einer der Korporäle zupfte seine Mütze zurecht und fing an zu dirigieren.

      Die immer heller in die Höhe steigenden Trompetentöne riefen in mir eine seltsame Erregung hervor, ein Gefühl, daß dieser Augenblick von unerhörter Bedeutung sei – und als der letzte Ton verklungen war, hinterließ er eine schmerzende Leere.

      Conrad fingerte an den Trompetenklappen und sah zu Boden. Auf seinen Lippen hatte das Mundstück der Trompete einen hellen Ring hinterlassen.

      „Ich dachte schon, du seist übergeschnappt, als du so loslegtest“, bemerkte der Korporal, der dirigiert hatte.

      „Vorläufig besteht kein Grund zur Besorgnis“, sagte Conrad ohne aufzuschauen.

      „Spiel, wie du willst, auf jeden Fall muß das Blech bis um zwölf fertig sein“, sagte der andere Korporal. „Warum hast du das gemacht?“ fragte ich, als wir wieder alleine waren. „Ich meine ... warum ...“

      Wieder konnte ich die Worte nicht finden. Schon wieder war ich ein crazy Swede. Was spielte die Ursache schon für eine Rolle? Alle diese dummen warum ...

      Conrad hatte angefangen, ein anderes Instrument zu putzen.

      „Sagen wir mal, es war für John Mulligan?“, sagte er.

      „Wer ist John Mulligan?“ fragte ich.

      „Ein Kerl aus Fort Rice, der sich vor ungefähr einer Woche das Leben nahm. Nach fünf Jahren in der Armee nahm er sich das Leben ...“

      Repetieren deutscher Märsche, Bohnen und Speck im Speisesaal hinter der Kaserne, rein in die Paradeuniform – und dann los.

      Wir fuhren in einem Ambulanzwagen über den gefrorenen Fluß. Auf der anderen Seite gelangten wir zuerst nach Whisky Point, das war eine Ortschaft, bestehend aus ein paar Bruchbuden, die sich Saloons und Dance-Halls nannten. Hier kam plötzlich Leben in die Soldatenreihen, die auf den Wandbänken des Karrens saßen.

      „Ist Danny bei unserer Fuhre dabei?“

      Das war Otto Arndts Stimme. Er befand sich irgendwo weiter vorne im Karren.

      „Wo sollte ich denn sonst sein?“ fragte ich zurück.

      Es wurde allmählich dunkel. Um die billigen Lampen vor den Saloons wirbelten Eiskristalle.

      „Vor diesem Ort mußt du dich in acht nehmen, Kleiner!“ rief Otto Arndt.

      „Weiß ich“, versetzte ich.

      „Hier gibt’s Weiber und Flaschen“, schrie einer vorne im Wagen. „Und noch einiges mehr!“

      „Eigentlich sollten wir ihn ja an einem Abend mitnehmen“, sagte Otto Arndt. „Damit er das Leben kennenlernt!“

      „Ruhe jetzt!“ rief Louis Schick durch das Gelächter. „Ihr gefährdet die Moral des jungen Mannes!“

      Wir rollten die gefrorenen Sandbänke hinter dem Ufergebüsch hinauf, über die Hügel der Prärie auf Bismarck zu, den Endpunkt der Northern-Pacific-Bahnlinie – und der Zivilisation des weißen Mannes. Eisenbahnschienen, ein langer Zaun aus Pfählen auf der einen Straßenseite, Holzhäuser auf der anderen Seite – dann bogen wir in die Hauptstraße ein, Main Avenue, wo der Lehm im gelben Schein der Fenster und Halbtüren glänzte.

      „Ist das eine große Stadt, aus der du kommst?“ fragte Conrad, der neben mir saß.

      „Stockholm, oh ja“, antwortete ich. „Das ist eine große Stadt.“

      „Stockholm“, murmelte er halblaut. „Stockholm ...“

      Es war ein eigenartiges Gefühl, so im Ambulanzkarren durch die Dakotafinsternis zu rumpeln und den Namen der Stadt zu hören, in der man aufgewachsen war. Plötzlich überkam mich unwiderstehliche Lust, meine eigene Sprache zu sprechen.

      „Das ist was ganz anderes – was ganz anderes als diese Budenstadt“, sagte ich laut auf schwedisch. „Das Bauernnest hier! Das ist doch keine Stadt!“

      Ich sagte, was ich von Bismarck und der 7. Kavallerie und vom Dasein im allgemeinen hielt, und benützte dazu lange, verschachtelte Sätze und alle Flüche, die ich kannte, die Worte strömten nur so aus mir heraus ... Ein paar lachten, andere baten mich, den Mund zu halten, einer der Korporäle stand mit erhobenen Händen auf. „Du brauchst dir gar nicht einzubilden, daß du der einzige bist!“ rief er. „Mit einer fremden Muttersprache, meine ich!“

      Er fuhr auf Deutsch fort, und plötzlich schwirrten die vielfältigsten Sprachfetzen zwischen den Segeltuchwänden des Karrens hin und her, tschechisch, italienisch, spanisch ...

      „Beruhigt euch wieder, Jungs!“ brüllte der Korporal, der deutsch gesprochen hatte. „Beruhigt euch! Ist jemand hier im Wagen, der von sich zu behaupten wagt, er sei ein echter Amerikaner?“

      „Was


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