Die Narrentour der Liebe. Robert Heymann

Die Narrentour der Liebe - Robert Heymann


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aus dem Gebiete der Reiterei behandelte, rechtfertigen sollte.

      Das Publikum war erst über den geschmacklosen Aufzug verdutzt, dann brach es in ein mitleidloses Gelächter aus. Aber die Kindlichkeit der Erscheinung, die in einer Atmosphäre der Sinnlichkeit aufging, erregte bald Befremden, allmählich Interesse und nahm schliesslich gefangen.

      Nun begann Mie mit ihrer ungeschulten Stimme zu singen. Es war kein Singen, sondern ein Zwitschern, das nervenerregend sich in die Sinne stahl und dort in dunklen Tiefen ein zitterndes Echo weckte.

      Augenblicklich wurde es still. Die Augen der jungen Männer glänzten dunkel. Man horchte; das gab Mie, die erst schon dem Weinen nahe war, neuen Mut. Mit Mischung von Naivität und Lasterhaftigkeit, die der Inbegriff ihres Lebens und ihrer Gefühle war, sang sie ihr dummes, freches Chanson zu Ende, in dem der abgeschmackte Refrain immer wiederkehrte: „Das Reiten, das ist mein Vergnügen.“

      Dabei lächelte sie, halb ungeschickt, halb berechmend, das hell-laute Lachen eines Kindes und das tiefe, lüsterne Lächeln einer Dirne, das süsse Mundspitzen der Unschuld und das breite Versprechen des Lasters, ein Lächeln, das unbeschreiblich widerspruchsvoll, vielartig, schillernd, dunkel und tief war, wie eben Mie selber einen Zusammenhang der verschiedensten Leidenschaften bildete, die langsam ihre Akkorde anschlugen, ehe sie zu machtvollen Tönen wurden, die den jungen Leib durchzitterten. Als sie geendet, klatschten sich die Studenten in einen Rausch des Beifalls. Das Publikum, selbst die Frauen, auf welche dieses Kind mystisch erregend wirkte, wurden mitgerissen.

      Sie sah sich veranlasst, noch eine Zugabe zu gewähren und taumelte schliesslich glückstrahlend, zu Tode erschöpft, hinter die Kulissen, wo der Direktor sie in den Armen auffing. Sie hatte den Abend gerettet. Er küsste sie im Enthusiasmus der Dankbarkeit und schalt sich im stillen einen Toren, der dieses Talent, diese Wunderblume nicht gleich entdeckt und beinahe gewaltsam unterdrückt hatte.

      Der Kapellmeister kam herbei und drückte Mie die Hände. „Sie sind ein Stern,“ stammelte er. „Wir werden etwas aus Ihnen machen ... Sie brauchen nur noch das grosse Repertoire und eine schmeichelnde Musik ...“

      „Und eine Regie, die aus diesem geschmeidigen Talent hervorholt, was noch verborgen schlummert,“ setzte der Direktor mit einem halben Lächeln hinzu.

      Mie enteilte in ihre Garderobe, nicht ohne mit überlegenem Triumph einige hasserfüllte Blicke von Kolleginnen aufzufangen.

      „Was sagen Sie?“

      Kapellmeister und Direktor sahen sich an.

      Vallier gab ein neues Klingelzeichen. Unter dem nachhaltigen Eindruck Mies gefielen auch die anderen Attraktionen. Aber in jeder Pause, die zwischen den einzelnen Nummern entstand, verlangten einige kecke Studenten von neuem nach Mie.

      „Sie wird morgen berühmt sein.“

      „Wir müssen ein eigenes Repertoir für sie schaffen.“

      „Sehr richtig. Ein Schlagwort, das durch alle Gassen klingt. Das wie eine Fanfare ihre Erscheinung, ihre Eigenart, ihr Demiviergetum ankündigt. Sie werden die Musik schreiben. Aber wer schafft uns für diese Kraft das Chanson?“

      Der Kapellmeister schlug Namen vor ... Namen ... der Direktor schüttelte den Kopf. Plötzlich:

      „Ich hab’s! Dieser oder kein anderer.“

      Am nächsten Tage sprach man in den Kreisen, die den Nächten pikante Sensationen ablauschen, von nichts anderem als von Mie. Man wusste eigentlich nichts Bestimmtes von ihr zu sagen. Man konnte nicht behaupten, dass sie gut sang, noch weniger, dass sie gut vortrug. Man wusste nicht, sollte man sie schön oder hässlich, lasterhaft oder naiv nennen, aber man sprach, und gerade das verlegene, doch überquellende Stammeln in dem öffentlichen Urteil machte auch andere neugierig. —

      Direktor Vallier klopfte am nächsten Morgen in einer stillen Hinterstube eines alten Hauses in der Amalienstrasse an. In einem mit Papieren und Büchern, mit Folianten und alten Stichen vollgepfropften Zimmer, das durch den uralten Lehnstuhl noch trödlermässig aussah, sass vor einem Riesenschreibtisch, im Angesicht eines alten Lindenbaumes, der durchs offene Fenster lugte, ein hagerer junger Mann mit slavischem Typ und schrieb:

      Das war der kaum mehr als zwanzigjährige Herausgeber des „Eselspiegels“, einer radikalen Zeitschrift unsicherer, aber jedenfalls ungemein freier Tendenz, eines Blattes, das gleich einem feurigen Schwert alle tollen Einfälle der Sturm- und Drangperiode eines kleinen, leidenschaftlichen Dichter- und Malerkreises ins Publikum trug und wie die Posaunen vor Jericho gegen die festgefügtesten Mauern der gesitteten Gesellschaft Sturm blies. Es war ein Risiko, gerade den Herausgeber des „Eselspiegels“, der noch drei ähnliche Zeitschriften leitete und über dem beständig das Damoklesschwert der Staatsjustiz schwebte, als den berufensten Dichter für Mie gewinnen zu wollen. Aber Direktor Vallier hatte einen sicheren Blick für Gegensätze, die sich ergänzen. Und er war seit dem gestrigen Abend entschlossen, alles zu riskieren, literarische Beachtung zu erringen um jeden Preis, die Konkurrenz niederzurennen, selbst auf die Gefahr hin, die eigene Existenz bei dem Unternehmen einzubüssen.

      Der Herausgeber der vier radikalen Zeitschriften war so mit seinen Artikeln beschäftigt, dass er nur zerstreut auf die Vorschläge Valliers hörte. Er lehnte halb ab, versprach aber, sich Mie anzusehen.

      Er arbeitete gerade an einem Werk, das Vorbilder wie Mie suchte. So kam er abends in das Kabaret der „Sieben Tantenmörder“, hörte Mie, schrieb in derselben Nacht ein Chanson und sandte es dem Kapellmeister, der es augenblicklich komponierte. Direktor Vallier las es und sagte: „In einem Vierteljahr werde ich das bestgehende Theater Münchens leiten.“

      Es gab sich, dass Mie seine Geliebte wurde. Vallier hatte erst vor kurzem eine bittere Erfahrung machen müssen, denn Lola Lolette, ein früheres Dienstmädchen, aus dem er eine Varietégrösss gemacht, war mit einem simplen Schauspieler durchgegangen. Der äusserliche Unterschied zwischen Lola Lolette und Mie war zu gross, als dass Vallier ohne weiteres in Mie hätte verliebt sein können. Lola war gross, breitbrüstig und blond, hingebend und lieblich gewesen. Mie war knabenhaft, wechselnd in ihren Gebärden und Stimmungen, schlank und schmal und voll verhaltener Gluten. Ihre Beweglichkeit äusserte sich fast nur in ihren Beinen. Es war, als habe sich ihr Charakter auf diese Beine kapriziert, und diese waren vielleicht das einzige, was Direktor Vallier Lola vergessen liess und ihm die Illusion ermöglichte, Mie zu lieben. Dass er sie so schnell an sich gezogen, war Berechnung. Mie sollte an ihn gefesselt sein, denn Mie musste erst die Schule der Liebe durchmachen, ehe sie in der Kunst biegsam und empfänglich genug war, um Valliers künstlerische Inspirationen, die wirklich stilvoll waren, weil er sie in ihren Anfängen den Berufensten abgelauscht, zu erfassen.

      Mie also war die Geliebte des Direktors. Das fiel nicht weiter auf, denn es war so Tradition. Nur zeigte sich, dass Mie stärker als dieser Mann war, der auf Frauen ihres Schlages einen ungewöhnlichen Einfluss ausübte. Sie beherrschte auf dem Felde der Liebe ihren Lehrmeister bald vollkommen, und Vallier, der durch alle möglichen Kunstmittel das Interesse des Publikums an Mie wachgehalten hatte, konnte daran gehen, den grossen Schlager aufs Programm zu setzen, das Chanson, das der Herausgeber des „Eselspiegels“ geschrieben hatte:

      „Rasse.“

      Ehe Vallier dieses Gassenlied, auf das er alle Hoffnungen seiner Existenz setzte, herausbrachte, vertauschte er das kleine und schlecht renommierte Lokal am Karlstor mit einem Raum, der ihm von vornherein die ernste Kritik der Presse sicherte. Er richtete sich ein bunt ausgestattetes Lokal in der Tonhalle ein, jenem breit ausladenden Eckgebäude in der Türkenstrasse, das der um das Münchner Musikleben so verdiente und so schnöde abgedankte Dr. Keim begründet hat.

      Die Zeitungen nahmen von der äusseren Wandlung befriedigt Notiz. Ein Gastspiel Yvette Gilberts gab dem Unternehmen französisches Signum. Die Elf Scharfrichter waren an ihren künstlerischen Inspirationen gescheitert, und schon gingen einige der ehemals so erbitterten Feinde zu der Fahne des Siegers in das „Intime Theater“ über, wie das neue Unternehmen sich von jetzt an nannte.

      Die ersten Proben von „Rasse“ waren selbst für die Mitglieder ein Ereignis. Wie Direktor Vallier immer neue Nuancen aus Mies Beinen formte, wie er ihre natürliche Begabung bis


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