KINDERGEFÄNGNIS und andere verlassene Orte. Группа авторов
und plötzlich wurden aus den rissen grenzen wurden flüsse und gebirge und aus den durch diese risse gebildeten flächen wurden länder und meere und schon war ich nicht mehr in diesem mir verhassten keller in dem wir auch kurz zuvor noch bei fliegerangriffen im letzten kriegsjahr gesessen waren sondern ich befand mich plötzlich und wieder einmal denn ich hatte dieses spiel schon des öfteren gespielt wenn ich hier eingesperrt war also ich befand mich plötzlich in einer weiten unbekannten welt in einer welt von der ich aus büchern die ich gerne las wusste dass es sie gab in der ich aber noch nie gewesen war außer in meinen vorstellungen oder im traum aber da vernahm ich wieder ohne dass sie im raum gewesen wäre die schneidende stimme der erzieherin die sagte nein fast schrie eine halbe stunde hast du hier unbeweglich zu stehen und mach ja nicht in die hose sonst stehst du noch eine verlängerungshalbestunde zur strafe also verkneif dir dein lulu ansonsten setzt es noch was zu dieser strafe dazu erziehungsmaßnahmen nannte sie das ich glaube die eltern wussten nichts davon denn diese erzieherin die selbst nur eine unausgegorene göre wie die deutschen so was nannten war sagte immer wieder beim strafvollzug und zu deinen eltern brauchst du gar nichts zu sagen die wissen das sowieso und ich bin die erzieherin ich soll dich erziehen und einen folgsamen anständigen buben aus dir machen du missratenes stück kind du ja so ähnlich sprach sie für mich damals unbegreiflich und heute das gesamte szenario unverständlich das geschehen diese art von strafe und erziehung unmenschlich eine einzige kindesmisshandlung und sonst nichts aber es sollte ja auch ein anständiger bub aus mir werden ich war ja wie man sagte völlig aus der art geschlagen ich war aufsässig nein nicht von natur aus sondern durch diese erzieherin geworden und nur bei ihr war ich so und manchmal auch bei meinen eltern sozusagen aus kindlicher rache dafür dass sie mich einer solchen erzieherin aussetzten wenn sie doch wussten wie dieses weib dieses dem bdm-mädchentum entwachsene weib wirklich war nämlich bösartig sadistisch grausam gefühllos und hart im keller war es ganz still autos fuhren damals noch nicht über den marktplatz nur die schritte der vorbeigehenden konnte man hören man hörte das klappern von sandalen im sommer und das auftreten mit festeren schuhen zu einer kälteren jahreszeit da das eingesperrtsein in diesem keller noch schwerer zu ertragen war als im sommer wenn ich den kopf zur seite drehte sah ich auch die füße und ein stück von den beinen der am trottoir über mir am kellerfenster vorbeigehenden und ich stellte mir vor wer diese leute waren manchmal schrie ich auch aber ich wusste dass mich niemand hören konnte und so war auch mein schreien mein trotziges wehgeschrei mehr ausdruck meines zorns und meiner wut als ein hilferuf eine ewigkeit wie mir schien stand ich dann jedes mal so da ich unartiger ich der ich aus der art geschlagen war wie sie sagten eine halbe ewigkeit stand ich so da längst schon musste ich dringend aufs klo aber bloß nicht daran denken sonst wird es noch ärger das war meine erfahrung sich ablenken mit allem was nur möglich ist das war die devise das war das rezept um diese tortur halbwegs gut und heute würde ich sagen würdevoll zu überstehen und irgendwann ging dann wieder die tür auf und die erzieherin kam mit stolz geschwellter brust herein packte mich an den haaren und zog mich hinaus in den zweiten kellerraum und dann hinauf bis zur stiege ins sogenannte vorhaus in den eingangsbereich zwischen haustor und geschäftstür und ausgang zum hof und dann zischte sie noch wie eine schlange nur dass du es dir merkst du elender fratz nur damit du es dir auf ewig merkst du verdammter bengel du hast mir zu gehorchen und keine schwierigkeiten zu machen und brichst du dein versprechen brav zu sein so wanderst du gleich wieder einmal in den keller dann stehst du aber eine ganze stunde und das überstehst du nicht so leicht wie das soeben jetzt also gib endlich deinen trotz auf und mach das was ich dir sage und was ich will und zwar ohne widerrede sondern in blindem gehorsam denn ich bin deine erzieherin und du bist in wirklichkeit nichts also merk dir das und vergiss das nie und ich habe das alles auch nicht vergessen und heute mit fünfundsiebzig jahren da ich mich wie so oft daran erinnere an diese erziehungsmaßnahmen an diese grausamkeit an diese kindesmisshandlungen an diese quälerei spüre ich immer noch wie meine wut hochkommt mein zorn in mir brennt genauso wie damals als ich ein kind war
Schnee | Leveret Pale
Der Tod und das Eis knirschten unter den Sohlen, als Robespierre seinen Weg durch die Grabesstille bahnte, vorbei an gähnenden Fenstern und klaffenden Gassen, aus denen anklagend das Schweigen der Toten hallte.
Trotz der Handschuhe schmerzten seine Hände. Die kalte Luft stach in seinen Lungen. Schwerfällig stieg er unter der Last mehrerer Pullover und einem Rucksack voll mit seinem restlichen Hab und Gut über den Schutt.
Das gelbe Natriumdampflicht der Straßenlaternen schimmerte in den gefrorenen Pfützen, an den Bergen aus Schnee und den mit Frost überzogenen Mauern. Es schien ihm, als würde Eiter aus den Eingeweiden der Stadt quellen. Der schwarze Nachthimmel erstickte alles einem Sargdeckel gleich und begrub es im Schnee. Schneeflocken schnitten mit ihrer Kälte in Robespierres Gesicht. Er blinzelte, als er über die Leichen stieg, und trotz aller Mühe schaffte er es nicht, ihnen auszuweichen. Er zuckte jedes Mal zusammen, wenn die gefrorenen Knochen krachend unter ihm brachen. Überall lagen sie – in ihren steifen Kleidern und mit blauen Gesichtern, die Eiszapfen aus Nasen und Lidern ragend – und verschwanden langsam unter dem Schnee.
Ein Quieken ertönte und Robespierre erstarrte. Was war das gewesen? War es das Pfeifen seiner Lungen? Nein, er hörte es noch mal, ein Keuchen, menschliche Laute, die vor ihm aus dem Schnee drangen. Sein Magen zog sich zusammen. Er zitterte. Zwei blaue Augen starrten ihn aus halb offenen Schlitzen hinter den Gläsern einer Gasmaske an, die langsam, aber rhythmisch immer mehr beschlug. Ein Arm tauchte aus dem Schnee auf und streckte sich, um dann wieder kraftlos zu fallen. Robespierre kniete sich hin, nahm die schlaffe Hand des Überlebenden.
Dumpfe Silben drangen durch den Filter der Maske. »Ziee … Zaa … Ma …«
»Sie leben. Oh, mein Gott«, sagte Robespierre und beugte sich vor.
»Ziek … diii … Mak … die Maske.«
Robespierre zog sie dem Fremden vom Gesicht.
Kleine Dampfwolken stiegen auf und verschwanden in der Finsternis. Der Mann unter der Maske war nicht viel älter als Robespierre. Ein dichter, schwarzer Bart, auf dem sich die weißen Flocken niederließen, umrahmte das junge Gesicht, das fast genauso blass war, wie der Schnee drum herum. Die Augenlider und die Wangen hingen gelähmt herunter, nur die brüchigen Lippen bewegten sich kaum merklich.
»Danke«, wisperte der Überlebende.
»Sie werden dadurch nur schneller sterben, befürchte ich. Ich meine …« Robespierre hielt inne. Wie kalte Maden durchkroch ihn das Gefühl der Scham und Angst. »Es tut mir leid.«
»Bischt du … a … ein Geischt?«, fragte der Mann.
»Nein. Ich glaube nicht.«
»Hascht du … ein Gegen…mittel?« Die blauen Augen bewegten sich hinter den zufallenden Schlitzen langsam umher, als würden sie versuchen, Robespierre in der Ferne ausfindig zu machen.
»Nein.«
»Warum bischt … du dann hier?«
»Ich bin immun, nehme ich an.«
Der Sterbende schloss die Augen. Ein letzter Dampfschwaden entwich seinem Mund und löste sich vor Robespierre in Nichts auf.
»Bleib wach«, rief der junge Mann, aber seine Stimme erstickte im fallenden Schnee. Er packte die Leiche an der Jacke und schüttelte sie, dass die Spucke und das Blut ihm über den Mantel spritzten. »Lass mich nicht allein!« Er ließ die Jacke los und brach in Tränen aus. »Nicht allein. Ich kann das nicht.«
Die kalte Luft drang tief in seine Lungen ein wie ein Schwert.
Er schniefte den kalten Rotz in seine taube Nase und zwang seine Knie, ihn dem Himmel entgegenzustemmen.
Er ging weiter. Er hatte keine andere Wahl, denn zurücksehen konnte er nicht.
Das rhythmische Knacken des Eises unter ihm war sein einziger Begleiter in der Stille.
Er kam an den dunklen Schaufenstern der großen Tech-Riesen vorbei. Erschöpft lehnte er sich an einer der gelblich leuchtenden Straßenlaternen an.
Sein Blick wanderte über die Straße