Der Prinz ist tot - Skandinavien-Krimi. Kirsten Holst

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so. Der andere hatte keine Möglichkeit, Hilfe zu holen. Er würde es nicht bis ins Haus schaffen und vor dem nächsten Vormittag würde hier mit Sicherheit keine Seele vorbeikommen.

      Ja, es war am besten so.

      Der verletzte Mann hörte die Schritte. Sie klangen fern, als steckte sein Kopf unter einer Bettdecke. Sie hielten ein einziges Mal inne, dann kamen sie näher, und er spürte, dass jemand still neben ihm stehen blieb und ihn ansah. Wenig später hörte er die Schritte wieder und dann quietschte das Tor, als der andere den Ort verließ. Jetzt war er allein mit den Schmerzen, die er noch nicht fühlte.

      Doch bald würden sie kommen. Die Schmerzen. Und die Gespenster. Und keine Lampen konnten sie vertreiben.

      2

      Flemming Rosgård schob sein Fahrrad den Gartenweg hinauf in die Garage, stellte es in den Ständer, nahm den Instrumentenkoffer vom Gepäckträger und betrat das Haus durch die Seitentür, die über den hinteren Gang in den Windfang führte.

      Er stellte den Koffer auf den Tisch, während er die Überschuhe abstreifte. Er betrachtete sie kritisch. Sie wurden langsam unbrauchbar. Tina verabscheute sie. Sie fand Überschuhe lächerlich. Noch lächerlicher hatte sie es gefunden, dass er sie letzten Frühling hatte vulkanisieren lassen.

      »Wie geizig kann man eigentlich sein?«, hatte sie ihn gefragt.

      Er konnte nichts Lächerliches daran finden. Es war viel alberner, sich seine guten Schuhe von Salz und Schneematsch ruinieren zu lassen. Und es bestand kein Grund, Geld für neue Überschuhe zum Fenster hinauszuwerfen, wenn man die alten reparieren lassen konnte.

      Doch jetzt hatten sie ausgedient. Er warf sie in den Müllsack in der Ecke, bevor er den Instrumentenkoffer nahm und durch die Küche in die Diele ging. Er öffnete den Garderobenschrank, stellte den Koffer hinein und hängte seinen Mantel auf einen Bügel.

      Im Wohnzimmer war Licht, aber er ging zunächst zum Kinderzimmer, öffnete die Tür und schaute hinein. Er stand einen Augenblick da und betrachtete die zwei schlafenden Kinder im Lichtschein, der von der Diele hereinfiel. Sie verblüfften ihn immer wieder, die Kinder. Selbst wenn er mit ihnen spielte, sie badete oder mit ihnen spazieren ging, versetzten sie ihn in Verwunderung. Wo kamen sie her? Natürlich wusste er, wo sie herkamen. Er hatte sie zum Teufel nochmal selbst gemacht, hatte mitgeholfen, sie zu machen, aber trotzdem blieben sie für ihn zwei kleine, seltsame Wesen, die aus dem Weltraum in sein Leben gefallen waren. Faszinierend, rührend und ein ganz klein wenig erschreckend. Aliens.

      Vielleicht lag das daran, dass er sich nicht erinnern konnte, selbst einmal so klein gewesen zu sein. Er hatte nicht die leiseste Erinnerung an sich als Kind. Natürlich hatte er Fotos und sogar kurze Schmalfilme von einem Kind gesehen, das er sein sollte, aber sie sagten ihm nichts. Es hätte jeder x-beliebige kleine Junge sein können. Seine erste Erinnerung stammte aus der Schulzeit, als er zehn Jahre alt gewesen war. Er hatte seine Milch verschüttet und war erschrocken gewesen, wie viel Flüssigkeit in einen Zwei-Deziliter-Becher passte. In seiner Erinnerung war das fast wie ein Traum. Milch spritzte nach allen Seiten, lief über den Boden, die Wände hinunter und wurde schließlich zu einem riesigen See, der die ganze Klasse überschwemmte. Eine peinliche Erinnerung, auf die er gern verzichtet hätte. Er hatte keine Ahnung, was sonst noch passiert war. Ob er ausgeschimpft worden war oder ob jemand die Milch für ihn aufgewischt hatte. Idiotisch.

      Tina glaubte ihm nicht, wenn er sagte, dass er sich nicht an seine Kindheit erinnern konnte. Sie behauptete, dass es das nicht gäbe oder dass er sich nicht erinnern wollte. Dass er etwas verdrängte.

      Unsinn! Warum sollte er sich nicht erinnern wollen? Er hatte eine gute Kindheit gehabt, dessen war er sich sicher. Das Kind auf den Bildern lächelte und sah zufrieden aus. Es war mit Sicherheit ein glückliches Kind.

      Vorsichtig schloss er die Kinderzimmertür und ging weiter zum Wohnzimmer. Unwillkürlich zögerte er kurz und holte tief Luft, bevor er eintrat.

      Alles sah aus wie immer. Und warum sollte es das auch nicht? Tina saß in ihrem Lieblingssessel, die Beine auf dem Fußschemel.

      »Ach, du bist es«, sagte sie.

      Er bezwang seine Lust zu fragen: »Wer sollte es denn sonst sein? Hast du jemand anderen erwartet?« Mitunter brauchte es nicht viel, dass sie einen Streit anfing. Manchmal hatte er den Eindruck, dass sie das richtiggehend genoss. Er genoss es nicht. Streit erschreckte ihn.

      Er ging zum Barschrank, nahm ein Glas und schenkte sich einen Whisky ein.

      »Hast du noch nicht genug?«, fragte sie.

      Er biss die Zähne fest zusammen. Aus ihrem Mund klang das, als hätte er ein Alkoholproblem, doch wenn er das sagte, würde sie erwidern, dass er überempfindlich reagierte.

      Mit dem Whisky in der Hand setzte er sich in eine Ecke des Sofas.

      »Ich habe meine Überschuhe weggeworfen«, sagte er und hörte selbst, wie idiotisch das klang.

      Eine Gabe. Eine Opfergabe. Ein paar alte Überschuhe!

      »Das wurde auch Zeit«, sagte sie.

      »Nächsten Winter kaufe ich mir neue«, sagte er ein klein wenig provozierend. »Ich habe die alten in den Müllsack gesteckt.«

      »Schön«, sagte sie. »Er wird morgen abgeholt, wenn du ihn rausstellst, bevor du gehst.«

      Er nickte.

      »Warum bist du noch auf?«, fragte er. »Du hättest nicht auf mich warten müssen.«

      »Das habe ich auch nicht«, sagte sie. »Ich habe nachgedacht.«

      »Aha«, sagte er wachsam. Er wurde immer nervös, wenn sie nachdachte. »Worüber?«

      »Über die Englandreise. Du weißt doch, dass Lone mich gefragt hat, ob ich mitkäme, da Laust nicht kann. Ich habe so gut wie zugesagt.«

      »Das ist eine gute Idee«, sagte er erleichtert. Sie hatte also nicht über ihre Beziehung nachgedacht. Warum rechnete er immer mit dem Schlimmsten?

      »Es ist ein bisschen kurzfristig, aber wir haben dieses Jahr schließlich keinen Winterurlaub gemacht.«

      Sie hatte ihre Argumente parat. Die Geschütze waren aufgefahren.

      »Ja, und deshalb halte ich das auch für eine gute Idee. Aber was ist mit den Kindern?«

      »Mutter hat versprochen, sie zu nehmen.«

      »Schön«, sagte er mechanisch, während er darüber nachdachte, ob sich hinter der Bemerkung über die Winterferien ein versteckter Vorwurf verbarg. Bestimmt nicht, aber es war nicht auszuschließen, dass sie ein anderes Mal darauf zurückkommen würde.

      »Das Problem ist, dass es bestimmt nicht billig wird. Wir haben zwar ein Superangebot, aber du kennst ja Lone. Sie nimmt nicht gerade das billigste Hotel. Ich kann immer noch Nein sagen, wenn du meinst, dass es für eine Woche London zu teuer ist.«

      »Nein, mach das ruhig. Ihr hattet doch letztes Mal so viel Spaß.«

      »Du findest nicht ...?«

      »Nein, ich finde, dass das eine gute Idee ist. Außerdem habe ich vorläufig ohnehin keine Zeit, Urlaub zu machen, und so habe ich kein ganz so schlechtes Gewissen.«

      »Ein schlechtes Gewissen?«

      »Ja, weil wir dieses Jahr keinen Winterurlaub gemacht haben.« Er trank einen Schluck Whisky. Jetzt war der Winterurlaub an ihre Londonreise gekoppelt. Falls das Gespräch wieder darauf kommen sollte. Dafür warst du ja mit Lone in London.

      »Wann geht es los?«

      »Morgen in acht Tagen. Von Kopenhagen aus. Wir fahren Mittwochabend hier los. Um auf Nummer sicher zu gehen.«

      »Fliegt ihr?«

      »Ja.«

      »Was ist mit den Kindern?«, fragte er, während er alles in Gedanken zu ordnen versuchte. »Soll ich sie zu deiner Mutter bringen?«

      »Nein,


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