Der Prinz ist tot - Skandinavien-Krimi. Kirsten Holst

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sagte er.

      Sie lachte. »Es ist doch nur für eine Woche. Und du kannst die Kinder am Wochenende besuchen, wenn du Lust dazu hast.« Sie sah zu ihm auf. »Und Zeit«, fügte sie hinzu.

      »Ich werde dich vermissen«, sagte er eigensinnig.

      Sie stand auf, ging zu ihm und fuhr ihm mit der Hand durchs Haar.

      »Ab und zu fällt es mir wirklich schwer, dich nicht zu mögen«, sagte sie lächelnd. »Ich gehe jetzt ins Bett. Kommst du auch?«

      »Gleich«, sagte er. »Ich muss nur noch etwas ...«

      Sie blieb einen Augenblick stehen, dann seufzte sie leicht und verließ das Wohnzimmer. Er musste immer nur noch irgendetwas. Aber im Grunde genommen war er süß. Kein bisschen geizig, was sie und die Kinder anging. Diese Reise zum Beispiel. Nicht der leiseste Vorwurf. Ab und zu mochte sie ihn wirklich, aber ab und zu trieb er sie auch in den Wahnsinn. Sein krankhafter Geiz bei Kleinigkeiten. Diese verdammten Überschuhe. Und sein Fahrrad. Er fuhr immer mit dem Fahrrad in die Stadt. Nicht wegen der Umwelt oder der Kondition, wenn es denn das gewesen wäre, nein, um zu sparen! Und gleichzeitig wohnten sie in einem teuren Haus, machten teure Reisen und hatten ein teures Auto in der Garage stehen, das sie nach Lust und Laune nehmen konnte. Sie verstand das nicht. Verstand ihn nicht. Er bewahrte Essensreste, Plastiktüten, Schnüre und allen möglichen ausrangierten Mist auf, trug aber nur maßgeschneiderte Anzüge. Er sagte, dass sie länger hielten. Das war bestimmt richtig. Seit sie ihn kannte, hatte er nie etwas weggeworfen. Woher hatte er das? Jedenfalls nicht von seinen Eltern. Die hatten das Geld immer mit vollen Händen ausgegeben. Und es war ihnen nie schlecht gegangen. Es ging ihnen ausgezeichnet. Wovor also hatte er Angst?

      Sie verstand ihn nicht. Würde ihn wohl nie verstehen. Doch vielleicht war das gar nicht nötig. Es funktionierte auch so. Im Großen und Ganzen. Sie dachte nicht im Traum daran, ihn zu verlassen. Sie wusste, dass sie Glück gehabt hatte, ohne genau sagen zu können, warum. Es war einfach so.

      Sie hatte sich in ihn verliebt, hatte geglaubt, in ihn verliebt zu sein, weil er sich offensichtlich gleich auf den ersten Blick in sie verliebt hatte. Sie war in der Anwaltskanzlei, in der er als Prokurist eingestellt worden war, Sekretärin gewesen, eine von vielen. Sie war keine besonders tüchtige Sekretärin, darüber war sie sich durchaus im Klaren, aber sie war freundlich, höflich und umgänglich. Schön, ohne attraktiv zu sein. Sie hatte mit ein paar Typen zusammengewohnt, ohne dass mehr daraus geworden war. Sie waren wieder aus ihrem Leben verschwunden und sie hatte ihnen keine Träne nachgeweint. Und dann war Flemming aufgetaucht und hatte stumm, mit vor Bewunderung großen Augen vor ihr gestanden. Er hatte ihr auf eine charmante, altmodische Art den Hof gemacht. Hatte sie belagert. In Konzerte eingeladen, ins Theater und ins Restaurant. Er hatte ihr Blumen geschickt, Schokolade und kleine Geschenke.

      »Der ist es«, hatten ihre Kolleginnen gesagt, aber sie war sich noch nicht ganz sicher gewesen. Sie war verliebt, ein wenig, aber reichte das?

      Als er dann um ihre Hand angehalten hatte, hatte sie Ja gesagt.

      Weder vor sich selbst noch vor anderen hatte sie jemals zugegeben, dass ihr Ja vielleicht damit zusammengehangen hatte, dass im Büro EDV eingeführt werden sollte. Der Gedanke hatte sie in Panik versetzt. Sie hatte gewusst, dass das ihre Fähigkeiten übersteigen, sie nicht mithalten können würde, dass ihr die Kündigung sicher wäre. Eine Ehe war der eleganteste Ausweg gewesen.

      Und sie hatte es nicht bereut. Sie war kurz nach der Heirat schwanger geworden und hatte, noch bevor das Kind auf der Welt war, zu arbeiten aufgehört. Einen Computer zu bedienen, hatte sie nie gelernt.

      Er sorgte gut für sie. Liebte sie und die Kinder und versuchte immer, es ihr recht zu machen. Er stand für Sicherheit und Stabilität. Hin und wieder war sie seiner etwas müde, der Sicherheit etwas müde. Stellte die Sicherheit auf die Probe. Stritt mit ihm. Tobte. Deutete an, dass es ihr in den Sinn kommen könnte, ihn zu verlassen. Zum einen, um ein wenig mit der Sicherheit zu spielen, sie herauszufordern, sie aufs Spiel zu setzen, und zum anderen, um sich immer wieder bestätigen zu lassen, dass er sie nie, nie im Stich lassen würde. Sie wusste auch, dass er alles tun würde, um sie zurückzuhalten, sollte es ihr eines Tages einfallen, ihn zu verlassen. Und dass er all seine Klugheit und all sein juristisches Wissen einsetzen würde, um zu verhindern, dass sie die Kinder bekäme.

      Deshalb wusste sie, dass sie ihn nie verlassen würde, niemals!

      Aber es bestand schließlich kein Grund, dass er sich ebenso sicher war.

      3

      Der Postbote kam um sechs Minuten vor zehn. Etwas früher als sonst. Donnerstag war einer der angenehmen Tage. Montag hatte er die ganze Werbung und Mittwoch die Wochenzeitungen, aber Donnerstag war ein angenehmer Tag.

      Die Hunde ließen eine erste leise Ahnung in ihm aufkommen, dass etwas nicht in Ordnung war. In der Regel spielten die verdammten Köter jedes Mal verrückt, wenn er kam. Er öffnete das kleine Türchen neben dem Gittertor in dem Eternitzaun und trat vorsichtig auf den Weg, der zwischen den beiden Zäunen entlanglief. Was, wenn die verdammten Köter ihm auflauerten? Sie waren normalerweise hinter dem Maschendrahtzaun, aber man konnte nie sicher sein.

      Er ging zu der kleinen Tür im Zaun, wo auch der Briefkasten war. Noch immer tauchten die Hunde nicht auf. Gaben keinen Laut von sich. Meistens versuchten sie, sich auf ihn zu stürzen, und nur der Zaun hielt sie zurück.

      Anfangs hatte er immer freundlich und beruhigend auf sie eingeredet, wie man das mit Hunden so macht, aber sie hatten nur die Augen verdreht, sich gegen den Zaun geworfen und gebellt und geknurrt. Inzwischen knurrte er zurück und beeilte sich, die Post in den Kasten zu werfen. In der Nähe der Köter fühlte er sich nicht sicher. Über Pitbulls hörte man die schrecklichsten Geschichten und er vertraute nicht darauf, dass der Zaun sie abhalten würde, wenn sie wirklich wütend wurden.

      Vielleicht hatten sie den Typen da drinnen aufgefressen. Vielleicht hatte er sie erschossen. Auf diesem Grundstück war schon so einiges passiert, doch da hatte die ganze Bande noch hier draußen gewohnt. Von ihm hörte man nicht viel, auch wenn er bestimmt nicht zu den bravsten Schäfchen unseres Herrn gehörte.

      Als Erstes sah er den Hund. Er war tot – daran bestand kein Zweifel. Er starrte ihn einen Augenblick lang an. Dann wanderte sein Blick weiter zu dem dunklen Fleck wenige Schritte neben dem Hund, blieb einen Moment an einem weiteren rotbraunen Flecken hängen, der an die Umrisse Italiens erinnerte, um dann automatisch dem breiten, dunklen Streifen zu folgen, der bis zur Haustür führte.

      Dort lag ein Mensch.

      »Alles okay?«, rief er, obwohl er sofort wusste, dass überhaupt nichts okay war. Er rief noch einmal, ohne eine Antwort zu bekommen, dann lief er zurück zu dem Postauto, das er mit laufendem Motor geparkt hatte.

      Hatte er es nicht immer gesagt? Dass es ein böses Ende nehmen würde mit den Kötern. Er konnte sich gut vorstellen, was passiert war. Heute Morgen, als der Mann aus dem Haus gekommen war, hatten sie ihn angefallen. Er hatte es noch geschafft, sie zu erschießen, war aber zu schwach gewesen, um ins Haus zu kommen und Hilfe anzufordern. Vielleicht hatte er die Tür hinter sich zugeknallt, als er das Haus verlassen hatte, und wieder hineinzukommen erwies sich als genauso schwer, wie eine Festung einzunehmen.

      Der Postbote setzte sich ins Auto und fuhr, so schnell er konnte, den unebenen Feldweg hinauf zur Landstraße und weiter zu dem Hof, von dem er gerade gekommen war. Er hatte dort seinen Vormittagskaffee getrunken und wusste, dass jemand zu Hause war.

      »Totgebissen?«, rief die Frau entsetzt und schlug die Hand vor den Mund.

      »Es sieht ganz so aus«, sagte der Postbote.

      »Wenigstens hat es ihn selbst erwischt«, meinte der Mann. Er hatte diesen Nachbarn nie gemocht.

      Es war 10.38 Uhr, als ein Streifenwagen, der zufällig in der Nähe war, zu dem Haus gerufen wurde. In der Nachricht über Funk hieß es, dass ein Mann ernsthaft, vielleicht sogar tödlich verletzt war, nachdem seine Hunde ihn angefallen hatten. Die Beamten wurden gewarnt, dass ein oder zwei Hunde möglicherweise noch lebten und gefährlich sein könnten.

      »Wie


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