Linus. Izzy O'Brian

Linus - Izzy O'Brian


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mäßig gut darin, die Mimik der Menschen zu entschlüsseln, aber dieses Lachen war eindeutig.

      Sie rief sogar: „Endlich! Ihr seid wieder da!“

      Das ‚ihr‘ hätte mich stutzig machen sollen, aber in diesem Moment war mein Ego größer als ein Schäferhund. Mit weiten Sprüngen wetzte ich Poppy entgegen – und wurde fast über den Haufen gerannt. Fassungslos sah ich, wie Poppy an mir vorbei lief und im Haus verschwand.

      Vielleicht wollte sie mir was zu fressen holen?

      Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt und so trabte ich ihr noch immer einigermaßen zuversichtlich hinterher. Ihr wisst ja, Kinder und alte Leute …

      Drinnen folgte die nächste Enttäuschung – und von da an ging es Schlag auf Schlag.

      Poppy kniete am Boden und herzte das Baby, wedelte mit einem Spielzeug vor dem feisten Gesicht herum und steckte Kekse in das Sabbermaul.

      Das musste ich erst einmal verdauen.

      Etwas unvorsichtig tappte ich rückwärts und stieß prompt gegen eine Vase. Es klirrte furchtbar, das Baby brüllte los und als sie mich entdeckten, schrien auch Poppy und die Mutter. Allerdings nicht vor Wiedersehensfreude. Im Gegenteil.

      Statt Leckerlis und Kuscheleinheiten gab es eine zusammengerollte Zeitung, eine Fliegenpatsche, ein riesiges Handtuch und schließlich einen engen, dunklen Pappkarton ohne Löcher.

      Dieses Mal stand ich in meinem Exil-Zuhause nicht am Fenster, um dem wegfahrenden Auto nachzusehen.

      Der Rest ist schnell zusammengefasst.

      Die neue Frau fand einen Mann. Sie bekamen Nachwuchs und ich strenge Regeln. In die Küche durfte ich nicht, in das Kinderzimmer sowieso nicht und in die Nähe des Babys schon mal gar nicht. Irgendwann begannen sie, mich in den Garten zu lassen. Angeblich, damit ich ein schönes Leben hätte. In Wirklichkeit wollten sie mich wohl eher loswerden. Die versprochene Katzenklappe gab es jedenfalls nie und als der Herbst kam, musste das ehemals offene Fenster natürlich geschlossen werden. Immer öfter saß ich vor der Terrassentür, vorsichtig mit der Pfote kratzend und leise um Einlass mauzend. Drinnen liefen die Menschen hin und her, spielten mit dem Kind, aßen, tranken – und ignorierten mich.

      Um auf mich aufmerksam zu machen, grub ich alle Blumen aus, warf den Wäscheständer um, verschleppte Stofftiere, pinkelte in die Sandkiste. Aber nichts half. Sie hörten sogar auf, mir das Futter rauszustellen. So, als gäbe es mich gar nicht mehr.

      Schließlich hörte ich, wie sie anderen erzählten, ich sei halb verwildert und wolle nicht mehr rein. Da wusste ich, dass ich keine Chance mehr hatte.

      Auf der Suche nach einem neuen Zuhause oder wenigstens etwas zu Fressen durchstreifte ich das ganze Viertel. Aber es war vergeblich. Hier lebten so viele Katzen, dass es noch nicht einmal mehr genug Beutetiere gab, geschweige denn Menschen, die uns alle durchfüttern wollten.

      Im zweiten Winter überfuhr mich ein Auto. Ich war noch nicht einmal traurig deswegen.

      Das vierte Leben

      Mein Wunsch:

      Ein Mensch, der sich nicht fortpflanzt, trotzdem Gesellschaft wünscht und die Grundbedürfnisse einer Katze respektiert.

      Das Ergebnis:

      Eine ständig unglücklich verliebte Single-Frau.

      Erster Eindruck:

      Nasses Katzenfell müffelt.

      Chantale bekam mich als Geschenk zum Auszug aus ihrem Elternhaus. Damit sie nicht so allein sei, hieß es. Tiere zu verschenken ist grundsätzlich eine miserable Idee, aber ich wollte mich nicht beklagen. Chantale wirkte nett, roch nicht übertrieben nach Chemie, stellte gutes Futter hin und spielte ausreichend mit mir, sodass ich mir keine Sorgen machen musste um mein Herz.

      Dafür aber bald um ihres.

      Das menschliche Herz, das lernte ich rasch, ist ganz anders gestrickt als das einer Katze.

      Bei uns geht, Pfote hoch und nicht gelogen, die Liebe gern auch durch den Magen. Wenn ihr dann noch diese eine Stelle – meist hinterm Ohr – findet und regelmäßig krault, könnt ihr euch unserer Zuneigung sicher sein. Wenn es außerdem keine anderen lästigen Mitbewohner gibt, bleiben wir gern ein ganzes Leben lang bei euch.

      Das klingt anspruchslos?

      Ist es wohl auch. Zumindest im Vergleich mit einem Menschen. Ich bin sicher, das liegt daran, dass wir weder Bücher lesen, noch Filme sehen. Zu glauben, dass man für ein Happy End erst leiden muss, ist gequirlte Mäusekacke. Wer seiner Katze wehtut, liebt sie nicht und ist es nicht wert, dass sie ihre Zeit an ihn verschwendet. Basta.

      Aber Menschen, vor allem die weiblichen, wie mir scheint, leiden einfach gern.

      Chantale war diesbezüglich ein Paradebeispiel.

      In unserer ersten gemeinsamen Zeit kamen und gingen die Männer. Manche brachten Blumen (lecker!), andere Parfüm (bäh!) oder Schokolade (würg!) mit. Einer Sackflöhe. War lustig, die kleinen Krabbeldinger zu jagen. Das anschließende Bad allerdings weniger. Vor allem roch ich tagelang wie das Sofa.

      Trotzdem konnte Chantale noch lachen. Halbe Nächte hielt sie sich dieses kleine Bimmelding ans Ohr und quasselte mit anderen Frauen. Es ist wirklich erstaunlich, wie lange sie über Dinge spekulierte, die sie ganz einfach hätte herausfinden können.

      Wenn ein Mann neu war, ging es zum Beispiel um Schwanzlängen. Der Punkt blieb mir bis zum Schluss ein Rätsel. Wo, bitte schön, soll der sein? Meiner ist wunderbar geformt, schön plüschig und mit einer leichten Quaste am Ende. Wenn sie darüber stundenlange geredet hätte – gut. Das hätte ich irgendwo noch verstanden. Aber über einen unsichtbaren Schwanz?

      Ebenfalls komisch erschien mir die Überlegung, ob der Aktuelle wohl Kinder wolle und wie seine Mutter sei. Was ist denn das für eine Frage? Kinder gehören zur Paarung, die Mutter nicht.

      Wenn derselbe Mann schon öfter bei uns gewesen war, wurden ihre Gespräche wirklich absurd. Da konnten sie die halbe Nacht darüber reden, wie er einen Satz gemeint hatte. Und was sie da nicht alles hineininterpretierten. Ehrlich, ein Märchenbuch ist ein Tatsachenbericht dagegen. Gern hätte ich ihr gesagt:

      Menschenskind, frag ihn doch einfach! Und hör dir seine Antwort auch an.

      So aber blieb mir nur der Rückzug ins Bad. Zwischen den Handtüchern eingerollt hörte ich fast gar nichts mehr von diesem Unsinn. Allerdings musste ich am nächsten Tag meistens ein Donnerwetter über mich ergehen lassen, weil Chantale nach dem Duschen überall Haare hatte.

      Trotz allem, im Großen und Ganzen, ging es uns gut.

      Das änderte sich, als der Baum aufs Essen fiel.

      Jeden Winter stellen die Menschen einen Baum ins Zimmer, hängen lauter verführerisches Glitzerzeug darauf und wollen, dass wir die Pfoten davon lassen. Dazu duftete es in der ganzen Wohnung nach Braten – den wir aber auch in Ruhe lassen sollen.

      Und das soll das Fest der Liebe sein. Bah! Katzenfolterfest trifft es eher. Dieses Weihnachten ist ein weiterer Beweis, dass Menschen unter Liebe etwas anderes verstehen als wir.

      Nicht einmal ihnen selbst macht es Spaß. Zumindest Chantale nicht. Die saß heulend vor dem Baum und schaufelte Eis in sich hinein. Ich konnte sie bereits jammern hören, wenn sie die Hose mal wieder nur im Liegen zu bekam. Um sie aufzuheitern, zeigte ich meine besten Kunststücke. Auch das „Ras-auf-den-Baum“-Spiel, bei dem es darum geht, möglichst schnell möglichst weit rauf zu klettern. Ich schaffte es auch tatsächlich bis zur Spitze! Stolz miauend verkündete ich noch meinen Triumph, als der Baum unter meinen Pfoten zu kippen begann. Mit einem gewagten Satz rettete ich mich auf den Esstisch. Eine Pfote landete im Kartoffelbrei, eine andere in der Sauce. Lecker!

      Chantal hatte weniger Glück. Sie wurde zusammen mit dem Fernseher unter den glitzernden Ästen begraben. Im Gegensatz zum Fernseher


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