Linus. Izzy O'Brian

Linus - Izzy O'Brian


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Blacky versuchte sogar mich zu trösten:‚Das erste Mal ist richtig schlimm. Aber beim nächsten Mal ist es schon leichter. Und ab dem dritten Mal siehst du es irgendwie sportlich.‘

      Am Abend wurde es früher als sonst still im Haus. Alle Menschen gingen heim zu ihren Familien und wir blieben zurück. Partystimmung ist was anderes, das könnt ihr mir glauben. Jeder saß in seinem Käfig und hing trübsinnigen Gedanken nach. Sogar Shiva, die sich sonst so abgehärtet gab, wirkte niedergeschlagen.

      Einzig Molly krakelte wie üblich, trällerte Lieder, ahmte eine Polizeisirene nach und schlug abwechselnd vor, die Fahnen zu hissen oder den Schwarzen am Fahnenmast aufzuhängen.

      Keine Ahnung wieso, aber der Satz rutschte über meine Lippen, bevor ich überhaupt wusste, dass ich daran gedacht hatte:

      ‚Warum sollte man einen Schwarzen aufhängen?‘

      Das brachte Molly aus dem Konzept. Sie war es gewohnt, angeschrien zu werden, aber eine Frage hatte ihr wohl noch keiner gestellt.

      Argwöhnisch beäugte sie mich von der Seite.

      ‚Ich meine es ernst, Molly. Oder weißt du es nicht?‘

      Sie trippelte näher.

      ‚Molly weiß.‘

      ‚Na dann. Erklär es mir.‘

      Ich machte es mir gemütlich, so als würde Shiva eine Geschichte erzählen.

      ‚Schwarze stinken.‘

      ‚Tu ich auch. Vor allem bei dem Fraß hier. Das reicht nicht als Grund. Sonst müsstest du ja uns alle hängen sehen wollen. Willst du das?‘

      Sie schien ernsthaft darüber nachzudenken und ich begann zu hoffen, dass die angebliche Klugheit der Papageien zumindest bei ihr nicht weit genug reichte, um Knoten zu knüpfen. Seile hingen nämlich genug am Baum.

      ‚Nicht alle.‘

      ‚Wen nicht?‘

      Langsam wurde es interessant. Auch für die anderen. Die ersten Zuhörer rückten näher an die Gitterstäbe.

      ‚Hasso guter Hund. Deutscher Hund.‘

      Ich warf einen skeptischen Blick in Richtung der armen Töle, die sich immer schlotternd in eine Ecke drückte, sobald sie etwas Flüssiges plätschern hörte. Daher die Sägespäne im Käfig.

      ‚Was ist mit Belle?‘

      ‚Ausländisches Gfraster. Erschießen! Sofort erschießen!‘

      Belle, eine wunderschöne Pudeldame, zog verächtlich die Lefzen hoch.

      ‚Und Blacky?‘

      ‚Unreines Blut. Schlechter Charakter.‘

      Blacky winselte und sofort hakte Molly nach:

      ‚Abschaum. Erschlagt den Abschaum.‘

      ‚Ok, Molly, das reicht. Warum gehst du nicht und reißt dir noch die letzten Federn vom Leib? Das ist sinnvoller als dein Geschwätz.‘

      Beleidigt verschwand sie in der Baumhöhle.

      ‚Blacky?‘

      Nichts.

      ‚Blacky? Du weißt, dass das Blödsinn ist.‘

      Stille.

      ‚Niemand denkt das. Stimmt doch, oder?‘

      Vereinzeltes Miauen und Bellen antwortete.

      Interessanterweise wandten einige den Kopf ab. Sieh an, sieh an. Anscheinend war Molly doch nicht die einzige, die so dachte. Selbst die vorher diskriminierte Belle wirkte ablehnend. Herausfordernd mauzte ich sie an – und sie ließ sich tatsächlich zu einer Antwort herab.

      ‚Weißt du Linus, es ist schon so, dass es, nun ja, wichtig ist, woher man kommt. Abstammung und so. Ich kann dir meinen Ahnen bis in die siebte Generation aufzählen. Wir haben keine dunklen Geheimnisse oder schlechte Gene. Sieh mich an: Ich bin perfekt. Kluger Kopf, starker Körper, geschmeidige Bewegungen.‘

      ‚Und trotzdem sitzt du hier. Wie erklärst du dir das?‘

      ‚Bah. Die Menschen haben eben keine Ahnung. Sie würden wahre Schönheit noch nicht einmal erkennen, wenn sie ihnen auf den Schuh pisst.‘

      ‚Dann bin ich lieber hässlich und darf gegen einen Baum pinkeln.‘

      ‚Blacky! Endlich. Du redest wieder. Ich hab mir schon Sorgen gemacht, du hättest es verlernt.‘

      Er lachte. Nur kurz und leise, aber er lachte.

      ‚Niemals.‘

      In den folgenden Wochen verlegte ich mich aufs Beobachten. Zuerst nur die anderen Tiere. Ich studierte meine Mithäftlinge wie ein Kätzchen die Mutter beim Jagen. Dann dachte ich tagelang darüber nach, um herauszufinden, warum sie sich so verhielten. Mit der Zeit fielen mir immer mehr Details auf und irgendwann konnte ich weiter denken, als von der Wasserschüssel zum Katzenklo. Mir fehlte nur jemand, mit dem ich mich darüber hätte austauschen können.

      Aber auch das sollte sich ändern.

      Während eines Auslaufs nahm mich Luchs zur Seite und dirigierte mich in eine ruhige Ecke. Mit ihrem ausgeblichenen, dünn gewordenen Fell und den milchigen Augen erinnerte sie mich immer an ein Stofftier, das zu viel lieb gehabt worden war. Ihre Geschichte interessierte mich schon lange, doch da ich angenommen hatte, ohne Zähne könne sie gar nicht mehr verständlich sprechen, hatte ich sie nie gefragt.

      Doch, sie konnte. Gut, es war etwas feucht und ich musste mich erst an die Aussprache gewöhnen, aber dann wurde mir klar, dass diese uralte Katze klüger war als wir alle zusammen. Ich schwor mir, nie wieder jemanden nach seinem Aussehen zu beurteilen. Oder ihm aufgrund seines Alters Fähigkeiten abzusprechen.

      Luchs war brillant! Sie verstand es sogar, mir Belles und Mollys Verhalten – und das der anderen – so zu erklären, dass meine Wut auf alles und jeden verrauchte.

      ‚Angst ist die treibende Kraft hinter den meisten falschen Dingen. Hasso versucht mit seinem aggressiven Verhalten jeden zu verjagen, bevor der in Schlagweite kommt. Er hat Angst, gequält zu werden. Belle hat insgeheim Angst davor, nicht gut genug zu sein, nicht gewürdigt zu werden. Darum betont sie ihre angeblichen Vorzüge. Sie will sich von den anderen absetzen, um gesehen zu werden. Selbst hinter Shivas Arroganz steckt nur Angst. Angst davor, dass sie jemand gern hat und sie dann aus Liebe leidet, wenn er geht.‘

      ‚Und Molly? Wovor hat Molly Angst?‘

      ‚Nicht mehr dazuzugehören. Sie wurde so erzogen. Ihr ganzes Umfeld war so. Wenn sie sich ändert, gehört sie nicht mehr zu ihrer Familie.‘

      ‚Aber die haben sie doch hier abgegeben. Warum hält sie trotzdem daran fest?‘

      ‚Warum hoffst du noch immer darauf, dass diese Menschenfrau dich holen kommt?‘

      Mist. Durchschaut. Und das von einer fast blinden Katze.

      ‚Linus, im Grunde sind wir alle gleich. Egal ob versnobter Pudel, nackter Papagei, Mischling oder Rassetier – wir sehnen uns nach einem Zuhause. Nach einer menschlichen Hand, die sich liebevoll um uns kümmert. Nach einem Platz, an dem wir in Frieden und Würde alt werden können. Und nach jemandem, der uns in der letzten Stunde zur Seite steht, uns festhält und im richtigen Moment gehen lässt. Dafür sind wir bereit, alles zu tun. Wir verleugnen uns selbst, verbiegen uns und schlucken jede Gemeinheit – in der Hoffnung darauf, dass sich alles zum Guten wendet.‘

      Wahrscheinlich hätten mich ihre Worte friedlich und nachsichtig stimmen sollen.

      Taten sie aber nicht.

      Im Gegenteil. Ich fühlte, wie die Wut zurückkehrte. Auf mich selbst, die anderen und ganz besonders auf die Menschen. Niemand sollte sein Wesen verändern müssen, um geliebt zu werden. Gut, ein bisschen Rücksichtnahme gehörte schon dazu. Aber wer mit einer Katze


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