Erster Preis: Du!. Lisa Honroth Löwe

Erster Preis: Du! - Lisa Honroth Löwe


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Angespanntes. Alles andere war vergessen. Herdith, Marion, Jobst, sie alle wussten nichts mehr Persönliches. Jetzt war nur noch das Boot, zu dem sie alle gehörten. Die Leistung, der sie zustrebten. Das Kommando des jungen Führers. Sie arbeiteten gleichmässig wie Maschinen. In gleichem Takt wurden die Arme zurückgerissen und wieder vorgeholt, tauchten die Skulls ins Wasser, trieben das Boot vorwärts.

      Unermüdlich kommandierte Jobst und verbesserte:

      „Kreuz hohl! Kläre, wollen Sie wohl den Kopf mitnehmen! Richtiger Einsatz. Zum Donnerwetter — eins, eins, eins!“

      Es ging tadellos im Takt und doch Jobst offenbar immer noch nicht präzis genug.

      „Langsam vorrollen! Marion, hören Sie nicht? Langsam! Steuerbord rückwärts! Alles rückwärts! Fertig! Ellbogen an den Körper — Sie wollen doch nicht Kiste schieben!“

      Tina Lüders wurde rot. Sie hatte sich immer noch nicht an den Sportgrundsatz gewöhnt: Nichts übelnehmen! Aber sie hielt nun die Ellbogen sportgerecht am Körper.

      „Mehr durchschwingen — Takt halten! Kläre, warum spritzen Sie so schrecklich?“

      Unermüdlich verbesserte Jobst. Seine Augen waren scharf zusammengezogen. Keine Bewegung der jungen Körper entging ihm. Und wie von seinem Willen zusammengehalten, gaben sie alle ihr Bestes her. Immer wieder verglich Jobst seine Uhr.

      „Zeit verbessert sich!“ rief er. Da strahlten sie alle und legten sich fester in die Ruder.

      Es war ein scharfes Training. Die braunen Gesichter glühten. Aber sie bissen die Zähne zusammen. Sie mussten jetzt noch mehr leisten als beim letzten Male.

      Zwei Stunden dauerte die Arbeit. Dann gab Jobst das Zeichen zur Rückfahrt. Bis zum letzten Augenblick hielten sie Takt, Zeit und Stil tadellos aus. Die Beste war, wie immer, Herdith. Sie hatte mit besonderem Ehrgeiz gekämpft. Jobst sollte an ihr nichts auszusetzen haben.

      „Komisch, der Herdith sagt er nie etwas!“ tuschelte Marion, als sie wieder am Landungssteg des Bootshauses waren.

      „Weil er keinen Grund dazu hat!“ Kläre sah Marion Karnau spöttisch an.

      „Na, so tadellos ist sie ja schliesslich auch nicht.“

      „Das kannst du gerade beurteilen! Aus dir spricht ja nur der blasse Neid, dass du nicht Schlagmann bist. Solltest lieber mal ordentlich helfen sauber machen. Aber das schätzt du nicht.“

      Marion zog ein Gesicht. Jetzt kam der unangenehmste Teil: das Boot reinigen. Es wurde vorsichtig vom Wasser her wieder auf die Laufbahn geschoben und von den Mädels unter Jobsts Hilfe auf die beiden Standböcke getragen. Dann ging das Putzen los. Man machte es nicht gern. Aber es war Ehrensache, das Boot in tadellosem Zustand wieder in den Bootsschuppen zu bringen. Die braunen Mädchenhände arbeiteten energisch an dem rotbraun glänzenden Holze. Jobst beteiligte sich wie selbstverständlich. Die Putzlappen glitten hin und her. Erst wurde das Boot von innen und aussen völlig trocken gewischt. Jobsts scharfe Augen entdeckten immer noch irgendwo ein Wassertröpfchen.

      „Das sind die Schweisstropfen, die immer wieder ’reinfallen, Reichardt!“ lachte Tina Lüders. „Da können wir putzen und putzen — und es wird immer noch was sein.“

      Jobst lachte über sein ganzes heisses, verbranntes Gesicht:

      „Dann kann ich Ihnen als Literaturkennerin nur mit einem Satz einer deutschen Dichterin antworten: ‚Der Künstler versäume nie, die Spuren seines Schweisses zu verwischen. Gesehene Mühe ist zu wenig Mühe?‘“

      „Huch, wie gebildet!“ spöttelte Tina. Aber sie rieb tapfer weiter.

      „Marion spielt wieder mal gnädige Frau!“ konstatierte Kläre. Sie liebte es, Marion immer etwas am Zeuge zu flicken. Marion, die eigentlich gar nicht zu ihnen passte — reich, verwöhnt, zu Intrigen geneigt —, war so ganz anders wie die anderen drei Mädels des Skull-Vierers. Die sollte nur wissen, was es heisst, sich allein durchs Leben zu schlagen!, dachte Kläre, dann würde sie vielleicht anders sein und kameradschaftlicher.

      „Wieso ‚gnädige Frau‘?“ gab Marion gereizt zurück.

      „Will ich dir erklären. Weisst du, wie unsere Familie noch reich war und wir drei, vier Angestellte im Hause hatten, da ging meine Grossmutter immer mit weissen Glacéhandschuhen und behauptete Staub zu wischen. Das heisst, sie fuhr an den Möbeln entlang, um zu sehen, ob die Mädchen abgestaubt hatten. Das nennen wir eben seitdem ‚Gnädige Frau‘ spielen.“

      „Na erlaube mal, wo habe ich weisse Glacéhandschuhe an?“

      „Aber du tust nur, als ob du was tust. In Wahrheit kontrollierst du nur, ob wir’s gut machen.“

      „Kinder, haltet doch Frieden!“ Herdith sagte es zwischen ihrer Arbeit. Sie war die Gleichmässigste. Systematisch fuhr ihr Putzlappen hin und her, bis alles blank gerieben war. Sogar die Dollenschmiere trug sie auf. Etwas, was am wenigsten beliebt war.

      „Noch böse?“ fragte sie leise Jobst, der gerade neben ihr stand.

      Es klang so weich und bittend, dass Jobsts Wut zerschmolz:

      „Ach, Herdith!“ sagte er, und machte eine vage Handbewegung durch die Luft, schwieg aber.

      Marion beobachtete die beiden mit glitzernden Augen.

      „Wir schwimmen doch noch!“ rief Tina Lüders und legte ihren Arm um den Hals Herdiths.

      „Natürlich! Jetzt kommt ja erst die Belohnung!“ lachte Herdith. Sie fühlte den Druck von sich weichen.

      „Die haben die Schinderei noch vor sich“, bemerkte Tina, als sie sah, dass ein Trainingsboot von ein paar Jungens vom Klub nebenan zu Wasser gelassen wurde und der Trainer dort in einem herzlichen, aber immerhin mächtig rauhen Ton seine Kommandos ertönen liess.

      Herdith reckte sich:

      „Ich weiss nicht — Schinderei? Wenn man sich so richtig ausgearbeitet hat, und es hat geklappt — Herrgott!, das ist doch das Schönste!“

      Und dann liefen sie alle in die Kabinen, um sich zum Schwimmen umzukleiden.

      Drittes Kapitel.

      Jobst war als erster fertig. Er ging vor dem Sprungbrett auf und ab und wartete auf die vier Mädels vom Boot „Frohe Fahrt“. Zwischendurch plauderte er ein paar Worte mit den jungen Männern und Mädchen, die hier herumwimmelten.

      Er war erst ein paar Wochen hier im Klub als Trainer und eigentlich noch einer der „Jüngsten“ hier. Aber dennoch, man kannte und respektierte ihn schon. Man hatte ihn erst kritisch begutachtet, den jungen Arzt, der hier als Sporttrainer erschien, um sich in wahrstem Sinne des Wortes „über Wasser zu halten“, wie ein witziges Klubmitglied sagte. Aber Jobst hatte es sehr bald verstanden, sich Respekt zu verschaffen. Er hatte seinen Skull-Vierer mit den vier Mädels so in Zug bekommen, wie kein anderer. Die Leistungen der Vier vom Skull „Frohe Fahrt“ wurden besser und besser. Die Entscheidungskämpfe innerhalb des Klubs waren immer mehr zugunsten von Jobsts Schutzbefohlenen ausgefallen. Der letzte Wettbewerb hatte ergeben: Der Vierer „Frohe Fahrt“ kam als einziger in Betracht, die Einladung des Prager-Deutschen Damen-Ruderverbandes anzunehmen und die deutschen Farben in der schönen Moldaustadt zu vertreten.

      Das hatte Jobsts Stellung mit einem Schlage zu einer überragenden gemacht. So wurde er auch jetzt von allen Seiten angesprochen. Man hatte das Training seines Skull-Vierers mit kritischen Augen beobachtet und die Verbesserung der Zeit mit viel Freude konstatiert. Man wusste, die Prager Damenmannschaft war aus verschiedenen Wettkämpfen bisher siegreich hervorgegangen. Nun die deutschen Farben auf der Moldau zum Siege zu führen, war der Wunsch aller.

      Jobst antwortete freundlich, aber ein wenig zerstreut. Er war jetzt, nun die Anspannung der Arbeit vorüber, wieder ganz bei der kleinen Szene von vorhin. Ob Herdith ihm erzählen würde? Da kam sie schon in der Mitte der anderen Mädels.

      Wie sich doch die Verschiedenheit der Charaktere bei den Mädels sogar im Schwimmdress ausprägt!, musste Jobst denken. Tina Lüders hatte


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