Es geschah in Heiliger Nacht. Группа авторов

Es geschah in Heiliger Nacht - Группа авторов


Скачать книгу
zwischen der Bank und der Insel tobte und schäumte noch die See. Kein Gedanke, dass ich hinüberkonnte. Ich war steif wie eine Handspake. Hoffentlich merkten sie drüben, dass hier noch jemand am Leben war. Vorläufig ließ sich keine Seele blicken. Dabei hatten sie mich auf dem Beobachtungsturm der Seenotfunkstelle längst entdeckt. Aber das wusste ich ja nicht. Der Rettungskreuzer Langeoog war schon ausgelaufen und wollte versuchen, mich von See aus zu erreichen. Die Insel hieß also Langeoog. Und da kamen sie endlich über die Dünen und am Strand entlang, die Inselbewohner. Sie winkten, und ich winkte zurück. Ich verstand nicht, dass sie mich auf den Rettungskreuzer hinweisen wollten. Er kam nicht heran, die Brandung ging viel zu hoch. Schließlich forderten sie einen Hubschrauber von Ahlhorn an. Im Handumdrehen war er da. Er ließ eine Strickleiter hinunter, ich streckte den Arm hindurch und krallte mich fest mit meiner letzten Kraft. Dann hoben sie mich ein paar Meter an und orgelten mich erst zum Strand hinüber und dann nach Esens. Das Ganze dauerte keine Viertelstunde. Und nun sitze ich hier und freue mich meines Lebens.«

      »Und ich freue mich, dass ich ihn bei mir habe«, sagte Frau Leiss. Sie stand auf, murmelte etwas vor sich hin und ging hinaus.

      »Junge, Junge«, sagte ich, indem ich meine Notizen zusammenraffte, »da sitzt wirklich Musik drin. Und jetzt wird es höchste Zeit, dass ich an meinen Schreibtisch komme. Vielen Dank, Herr Leiss, und gute Tage, und dass Sie bald ein neues Schiff kriegen!«

      »Wird schon werden.«

      Lille verabschiedete sich mit einer kleinen Verbeugung.

      »Wo ist Ihre Frau denn geblieben?«, sagte ich.

      Frau Leiss rief durch die offene Tür, sie käme schon. »Hier ist es, Alwin.« Sie hatte ein schwarzes Buch in der Hand. »Du wolltest es doch nachlesen.«

      »Jetzt nicht. Leg’s irgendwohin.« Er wies mit dem Arm ins Ungewisse.

      Frau Leiss brachte uns hinaus. Die Straßenlaternen brannten schon. Es fing wieder an zu schneien.

      »Was wirst du nun schreiben?«, fragte Lille, als wir im Wagen saßen.

      »Stoff genug. Viel zu viel. – Du fährst doch mit zu mir?«

      Sie fasste in ihr Haar. »Vom Eigentlichen wird wieder einmal nicht gesprochen.«

      »Darf ich ja nicht. Hat er mir doch ausdrücklich verboten.Und das ist sein gutes Recht. Leider.« Ich steckte den Zündschlüssel ins Schloss und ließ den Motor anspringen. »Außerdem will ich dir mal was sagen, Lille. Das Eigentliche ist außerdem schon nicht mehr das Eigentliche. Ist längst vorbei und abgetan. War nur, solange er in der Finsternis saß. ›Leg’s irgendwohin.‹ Das kennt man doch.«

      »Das kennt man doch«, wiederholte sie. Ihre Augenbrauen zogen sich gegen die Nasenwurzel zusammen.

      »Was ist denn los, Lille?«

      »Nichts. Bitte, nichts.«

      »Ist es dir so schrecklich, dass der Mensch so ist, wie er ist?« Ihre Fäuste drehten sich auf dem Schoß gegeneinander.

      Ein Flockenwirbel trieb durch die Helligkeit der Scheinwerfer. Ich fuhr langsam an.

      Manfred Hausmann

image

      Besuch in der Christnacht

      Der böhmische Wind sauste übers Gebirge. Es war fast kein Wind mehr, eher ein Sturm, der die Hänge hinaufjagte, über die Grate sprang, die Bäume zauste und sich in die Täler stürzte. Winzige Eisnadeln trieb er vor sich her, die aus der Höhe kamen, und dazwischen brachte er trockenen Schneestaub und mehlfeinen Erdsand, den er sich auf den Äckern errafft hatte. Es lag wenig Schnee in den Tälern, und da der kalte Wind vom Osten seit ein paar Tagen umging, war die Schneedecke im offenen Gelände allenthalben zerrissen, und staubig graue Dünen wanderten in unablässigem Gerinnsel über Weiden und gepflügtes Land. Wahrhaftig, es war ein Wetter zum Daheimbleiben, und wenn nicht gerade der Heilige Abend gewesen wäre, dann hätte heut auch kein Mensch über die Schwelle treten mögen, aber so musste man zur Christmette gehen. Es würde ein harter Gang werden in dieser Nacht.

      »Heut bleib ich daheim!«, sagte der Rauhwandner-Gregor, der Einödbauer, zu seinen Leuten, die ihn verwundert anschauten. So kannten sie ihren Bauern gar nicht. Der fürchtete sich doch sonst vor keinem Wetter, und die härteste Arbeit tat er allemal selber. Jeder hatte insgeheim gehofft, er dürfe daheim bleiben und das Haus hüten, und während die andern sich den Eiswind ins Gesicht blasen lassen mussten, könne er einmal seine Glieder pflegen und sich gütlich tun an den vielen schönen Dingen des Festes. Aber das half nun alles nichts. Was der Bauer sagte, das galt.

      »Ich hatte gemeint, Vater«, sagte die Bäuerin fragend, »heut sollt ich einmal das Haus hüten?«

      Aber der Bauer gab ihr ganz ruhig zur Antwort: »Nein, Mutter, das geht nicht. Heut muss ich daheim bleiben.«

      Sie verstand ihren Mann wieder einmal nicht ganz, aber sie gab sich in seinen Willen. Der Knecht zündete die beiden Stalllaternen an, denn es war draußen kellerschwarz und stockfinster; Bäurin, Mägde und Töchter wickelten sich in ihre wollenen, langfransigen Umschlagtücher, dass nur Augen und Nase noch herausschauten, der Knecht und die Söhne legten sich den Mantel an und zogen die Kappen tief ins Gesicht, dann nahm jeder seinen Hakelstecken, an dem Türstock besprengten sie sich mit einem Tröpflein Weihbrunn, und dann gingen sie in die stürmisch-kalte Nacht hinaus.

      Der Rauhwandner legte ein paar Buchenkloben auf die Herdglut, holte den berühmten Lederband, den sie alle in frommer Scheu nur »das lateinische Büchel« nannten, und setzte sich hinter den Tisch ins Eck unter das geschnitzte Heilandsbild.

      Der Rauhwandner-Gregor war nicht zum Bauern bestimmt gewesen. Er war der Jüngste unter sieben Geschwistern, und da er einen hellen Kopf hatte, war er auf Betreiben des Pfarrers auf die Schulen geschickt worden, hatte überall seine Sache gut gemacht und sollte nun geistlich werden. Seine vier Schwestern hatten fortgeheiratet, und Thomas, der Älteste, sollte den Hof übernehmen. Ludwig, sein anderer Bruder, hatte über Nacht fortgemusst; soviel man wusste, war er nach Amerika gegangen und konnte nicht wiederkommen, weil ihm bei einer Rauferei das Messer ausgerutscht war und der Kramer-Franz an der Wunde hatte sterben müssen. Und nun, als Gregor das letzte Jahr auf die Studi ging, hatte der Thomas einmal beim Gsottschneiden nicht Acht gegeben und sich eine Fingerkuppe abgeschnitten. Er hatte sich die Wunde mit einem Sacktuche fest verbunden und hatte seine Arbeit weitergetan, als wenn nichts geschehen wäre. Da war der Brand in die Wunde gekommen, und nach einer Woche mussten sie ihn schon zum Friedhof tragen. Nun hatten sie den Gregor heimgeholt, und wenn er es gleich nicht wollte, musste er den Hof übernehmen.

      Das alles war nun ziemlich lange her, und jetzt hatte er selber drei Buben und vier Töchter, die alle schon nicht mehr zur Schule gingen, sondern von früh bis zur Nacht mit im Hofe arbeiteten.

      Der Bauer überflog noch einmal mit einem scharfen Blick die Stube, dann schlug er das Buch auf und begann zu lesen. Es war kein Zauberbuch, wie seine Nachbarn meinten, sondern die Heilige Schrift, die er in der lateinischen Ausgabe las, um die Sprache nicht zu verlernen. Er brauchte einige Zeit, bis er sich in das Evangelium von der Christgeburt vertieft hatte, denn es war eine geheime Unruhe in ihm, die Ahnung irgendeiner Gefahr, die seinem einsamen Hof drohte. Deswegen war er auch daheim geblieben, und nicht etwa, weil er das bisschen kalten Wind fürchtete.

      Die Öllampe brannte mit rötlichem Licht über dem schweren Tische, der seit seines Großvaters Zeiten auf diesem Flecke stand. Das harte Holz knatterte im Ofen, und der Wind warf sich gegen die eisverblümten Fensterscheiben, die unter dem Anprall der zahllosen kleinen Eiskristalle unablässig leise klirrten.

      Halblaut las er den uralten, ewig neuen Bericht von den Hirten auf dem Felde, da hörte er draußen vor dem Haus Schritte und gedämpfte Männerstimmen. Jetzt hantierten sie vorsichtig an der Tür. Sie nahmen wohl an, sie sei


Скачать книгу