Es geschah in Heiliger Nacht. Группа авторов

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miteinander.

      Der Rauhwandner las unentwegt weiter und spannte zugleich mit allen Sinnen und Kräften. Also hatte er mit seiner Ahnung doch Recht gehabt! Es war nur gut, dass er selber daheim geblieben war. Er fürchtete sich nicht, aber die da kamen, die sollten sich noch fürchten!

      Jetzt rissen sie die Stubentür auf und polterten herein. Es waren drei Männer, dick vermummt und mit schwarzen Tuchlarven vor dem Gesicht, und die beiden vordersten hielten ihr Gewehr im Anschlag.

      Der Bauer las noch immer in singendem Flüstertone das Evangelium, und davon wurden die drei ganz verwirrt. Jetzt schaute der Rauhwandner von der Schrift auf und sah die drei Fremden mit einem Blick an, der ihnen bis ins Mark drang.

      Ziemlich leise, aber mit einem Tonfall, der voller Gewalt war, sagte der Bauer: »Stellt eure Kugelstutzen hinten ins Eck!« Da gingen die Kerle zum Küchenkasten, die beiden ersten stellten ihre Flinten fort, und der dritte zog eine Pistole unter seinem Rock hervor und legte sie auf den Fensterstock. Der Bauer sagte: »Sitzts nieder auf der Bank, Kolterer, ein jeder auf eine Seiten!« Und die Kolterer, drei Brüder aus Wachelried, setzten sich willenlos am Tische nieder.

      »Tut eure Masken herunter, Männer!«, sprach der Bauer wieder, »dass ich euch besser zuschauen kann.«

      Und die drei Männer konnten sich nicht widersetzen und nahmen ihre Larven ab.

      »Legt eure Händ auf die Tischplatte, Männer!«, sagte der Bauer. »Haltet euch stad, dass ich weiterlesen kann!« Und die drei Brüder legten gehorsam ihre Hände vor sich auf den Tisch, hatten die Augen weit aufgerissen und den Mund halb geöffnet und starrten den Rauhwandner an, der wieder eintönig und doch wie singend die Verse des Evangeliums in einer fremden Sprache zu lesen begann. Sie vernahmen die Worte wie eine Beschwörung aus weiter Ferne. Keiner konnte sich rühren. Sie waren blass geworden. Langsam entwich ihnen das Blut aus Gesicht, Händen und Füßen. Sie fröstelten und spürten mit Schaudern, wie eine eisige Kälte sie immer mehr durchdrang. Einmal machte der Kolterer-Peter in seiner Angst den Versuch, sich loszureißen, um zu entfliehen, aber da merkte er, wie er mit den Händen an der Tischplatte, mit den Füßen an der Diele festklebte und sich nicht bewegen konnte. Sie waren gebannt. Der lateinische Bauer hatte sie mit seinem Zauberbuche angefroren.

      Sie waren in dieser Nacht, die wie keine andere zu Einbruch und Raub lockte, losgerückt, um den Rauhwandnerhof auszuplündern. Um diese Stunde war ja alles in der Christmette, und den einzelnen Menschen, der das Haus bewachte, hatten sie schon in Schach halten wollen, wenn es Not tat, mit Gewalt, vielleicht so, dass er niemals mehr jemandem ein Wort sagen konnte – und nun hockten sie hier im Einödhofe um den Tisch, mit abgestorbenen Gliedmaßen, geronnenem Blute und einer entsetzlichen Kälte im Herzen. Unablässig fielen die fremden Zauberworte des Bauern über sie und spannten sie mit eisernen Ketten fest.

      Sie waren wach und doch wie im Schlafe, wussten nicht mehr, wie lange sie da saßen, wo sie waren und welche Stunde jetzt über die Welt ging, da hörten sie plötzlich zwischen versprengten Glockenrufen, die der Wind aus dem Pfarrdorfe herauftrug, die Stimme des Rauhwandners.

      »Steht auf, Männer! Die Christmetten läutet man aus!« Sie konnten sich wieder rühren, aber es war ein Krampf in ihren Gliedern, denen langsam wieder das Blut zuflog, und sie mussten sich an der Banklehne festhalten, sonst wären sie hingestürzt.

      Was würde der lateinische Bauer jetzt mit ihnen machen? Er hatte sie ja völlig in seiner Gewalt. Ob er sie der Polizei auslieferte oder sie von seinen Söhnen erschlagen ließ? Da hörten sie ihn wieder:

      »Eure Kugelstutzen lasst da, Männer, damit ihr nicht wieder in Versuchung fallt! Und jetzt schauts, dass ihr weiterkommt, alle drei, dass euch die Mettenleut nicht sehen!«

      Sie taumelten zur Tür, durch den Hausgang, ins Freie. Sie waren immer noch halb willenlos und von dem Zauber befangen, und auch der eisträchtige Wind, durch den jetzt aus den Dörfern das Lärmen und Krachen des Christkindelschießens tönte, weckte sie nicht völlig auf. Traumwandlerisch tappten sie dem Gangsteige nach, der ins Tal führte, wo sie dann den Fahrweg nach ihrem fernen Dorfe finden konnten. Plötzlich peitschte hinter ihnen ein Schuss, und dieser Knall band sie los, dass sie wach wurden und zur Besinnung kamen. Schoss jetzt der Rauhwandner hinter ihnen drein? In wilder Flucht rannten sie bergein. Es knallte wieder, und noch ein drittes Mal. Dann war es bei der Einöd wieder still. Der Bauer hatte nur ihre Flinten und die Pistole leer geschossen. Dann verschloss er die drei Waffen in dem alten Mauerkasten, zu dem nur er den Schlüssel besaß. Er erzählte auch keinem Menschen ein Wort von dem Besuche in der Christnacht und war nur an den Feiertagen noch schweigsamer als sonst.

      Johannes Linke

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      Weihnachten ist für mich das Tor, vor dem ich alles ablegen kann, was mich in ungebührlicher Weise belastet, um dann hindurchzugehen als einer, der wieder offen ist für das, was seinem Leben den Sinn gibt: für das Wort Gottes, das ihm die Richtung weist, die er einschlagen soll, für seine Mitmenschen in ihren Freuden und Leiden, ihren Hoffnungen und Enttäuschungen. Für die Probleme der Welt, an deren Entschärfung er zu seinem Teil mitzuwirken berufen ist.

      Weihnachten ist der Augenblick, in dem mir Gott am nächsten kommt. Meine Sache ist es, diesen Augenblick zu nutzen.

      Hans Graf von Lehndorff

      Selma, die Aufwartefrau

      Obgleich der Pfarrer bereits einige Jahre in der Gemeinde gewohnt hatte, war er noch nie in der Hütte Selmas gewesen. Und doch lag diese in nächster Nähe des Pfarrhofes, am Hang des zum Flusse abfallenden Hügels.

      Eine elendere Hütte konnte man sich schwerlich vorstellen. Wenn etwas die Bezeichnung »verfallen« verdiente, so jedenfalls die Hütte Selmas.

      Selma selbst sah jedoch alles andere als verfallen aus. Sie war eine hoch aufgeschossene, vierschrötige Frau in den Sechzigern und hätte vielleicht ganz gut ausgesehen, wenn sie nur nicht so schlampig angezogen gewesen wäre. Sie glich einem wandernden Kleiderbündel. Man wusste eigentlich nie recht, was sie anhatte. Röcke und Jacken baumelten und schlotterten an ihren Gliedern, und das Haar hing ihr in zottigen Strähnen um das graue Gesicht.

      Trotz ihres vernachlässigten Äußern flößte Selma doch stets einen gewissen Respekt ein. Die Kinder fürchteten sie, die Lehrer mieden sie, nur wenige besaßen den Mut, sie anzureden, und sie selbst suchte nie einen Menschen auf. Sie hatte die Fähigkeit, sich mit einem derartigen noli me tangere – lasst mich in Ruhe – zu umgeben, dass nicht einmal der Pfarrer, ihr nächster Nachbar, einen Besuch bei ihr gewagt hatte. Auch hatte er sie nie in der Kirche gesehen.

      Niemand wusste, wer sie war, noch woher sie stammte. Seit Menschengedenken war sie Aufwartefrau1 in der Schule gewesen. Die Eltern der heutigen Schulkinder erinnerten sich noch aus ihrer eigenen Schulzeit an Selma. Sie habe schon damals genauso ausgeschaut wie jetzt, behaupteten sie. Der Pfarrer hatte auch nie in den Kirchenbüchern nach Selmas Herkunft geforscht. Geistliche sind in dieser Hinsicht selten neugierig.

      Heute feierte der Pfarrer seine dritte Weihnacht in der Gemeinde. Er befand sich auf dem Heimweg von dem üblichen Besuch im Krankenhaus. Ein Gefühl großer Feierlichkeit bemächtigte sich seiner, während er im funkelnden Sternenlicht den Weg an der Uferböschung des Flusses entlangschritt. Die Lichter aus den Dörfern am jenseitigen Ufer glitzerten wie Perlenketten. Überall feierten die Leute Weihnachten. Jetzt tauchte die kleine Häusergruppe rings um den Pfarrhof vor ihm auf. Er gewahrte Licht hinter den Fenstern. Frau und Kinder harrten seiner, und er empfand ein dankbares Glücksgefühl, Weihnachten mit den Seinen feiern zu dürfen und für eine Weile seiner Amtspflichten ledig zu sein.

      Doch gerade in dem Augenblick, da er diesen Gedanken nachhing, gelangte


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