Die Reichen. Artur Hermann Landsberger

Die Reichen - Artur Hermann Landsberger


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also.“

      „Einen Schwiegervater, der fünfundsiebzig wird, umgeht man trotzdem nicht — wenn man klug ist.“

      „Hm — du hast recht. — Aber ich kenne den Ritus nicht.“

      „Was für einen Ritus?“

      „Ich war noch nie in einer Synagoge.“

      „Seit wann feiert man Geburtstage in der Kirche?“

      „Wenn du mir garantierst, daß wir uns drüben nicht öffentlich zu zeigen oder gar in einer jüdischen Prozession mitzuwirken brauchen, so bringe ich meinem Mann das Opfer.“

      „Ich garantiere dir, daß das Ganze mit einer Familienfeier im engsten Kreise abgemacht ist.“

      „Und man kann im Hotel wohnen?“

      „Das würde der Alte wohl übelnehmen.“

      „Vielleicht braucht man gar nicht zu übernachten.“

      „Das wird man herausfühlen, wenn man drüben ist.“

      „Also gut, wir kommen. — Aber was zieht man bei solcher Gelegenheit an?“

      „Ruf bei Resi an, die wird es dir sagen.“

      „Und sonstige Vorbereitungen sind nicht nötig?“

      „Das englische Adelsbuch brauchst du für den Besuch jedenfalls nicht auswendig zu lernen.“

      Elisabeth hing den Hörer an und schlug wütend Debrett’s Peerage zu. Zu ihrem Mann, der eben ins Zimmer trat, sagte sie:

      „Ernst, ich möchte den Talmud lesen.“

      Ernst Baron v. Rosen-Geldberg glaubte, ihn treffe der Schlag. Er trat an seine Frau, der man auf den ersten Blick die Aristokratin ansah, heran und fragte ängstlich:

      „Was fehlt dir, Elisabeth?“

      „Ich will mich vorbereiten.“

      „Worauf?“

      „Auf Frankfurt. — Dein Vater hat Geburtstag.“

      „Den hat er jedes Jahr — und es ist dir bisher noch niemals eingefallen ...“

      „Er wird fünfundsiebzig.“

      „Ach herrje!“

      „Da gehört es sich, daß seine drei Söhne mit ihren Frauen zu ihm fahren.“

      Ernst, groß und schlank wie seine Frau und ohne den leisen orientalischen Einschlag seiner Brüder — doch wie diese die gute Herkunft verratend — Ernst Baron v. Rosen-Geldberg wußte noch immer nicht, ob es seiner Frau Ernst war mit dem, was sie sagte.

      „Ich habe schon mit Adele telephoniert“, fuhr Elisabeth fort — „und werde mich jetzt mit Resi in Verbindung setzen.“

      „Du willst wirklich ...?“

      Die Verbindung war schon hergestellt. Als Resi v. Rosen-Geldberg sich meldete, sagte Elisabeth:

      „Tag, Resi! Ich staune. Mal nicht in Paris?“

      „Leider. Aber ich fahre morgen.“

      „Über Frankfurt — wenn ich bitten darf.“

      „Wieso?“

      „Weil dein und mein Schwiegervater fünfundsiebzigsten Geburtstag hat.“

      „Und da soll ich dich vertreten? — Ich denke nicht dran. Ich hasse Frankfurt.“

      „Es handelt sich nicht um eine Vergnügungsreise. Es ist unsere Pflicht unseren Männern gegenüber ...“

      „Ich entbinde meinen Mann von jeder Art Verpflichtung gegenüber meiner Mutter zu deren fünfundsiebzigstem Geburtstag.“

      „Deine Mutter ist eben fünfzig und leberleidend.“

      „Ihre Ärzte erhalten sie sich bis fünfundachtzig — verlaß dich drauf.“

      „Ich wünsche es dir.“

      „Das kann ich mir denken. — Aber du irrst! Ich liebe meine Mutter.“

      „Ich habe es nicht bezweifelt.“

      „Da fällt mir ein — das einzige, was ich von dem Alten in Frankfurt weiß, ist, daß er seit über fünfzig Jahren kostbare Gläser sammelt. Ich habe im Frühjahr in Venedig auf dem Biennale ein altes venezianisches Glas gekauft — ich sage dir — das wird dem Alten mehr Freude machen als meine Gegenwart.“

      „Ich will dich nicht kränken, Resi, aber soviel ich weiß, sind deine Eltern doch früher einmal Israeliten gewesen.“

      „Juden waren sie — das sieht man mir doch an — bis sie eines Tages katholisch wurden — das galt damals für schick — und der päpstliche Adel war leichter zu erreichen als der preußische.“

      „Du solltest den Talmud lesen — besonders, was darin über das jüdische Familienleben steht.“

      „Elisabeth! Bist du das wirklich?“

      „Ich für meine Person nehme jedenfalls Rücksicht auf die Gefühle Andersgläubiger und fahre nach Frankfurt — Adele übrigens auch.“

      „Dann schließe ich mich natürlich nicht aus.“

      „Ich werde die Schlafwagen für morgen abend bestellen.“

      „Wollen wir denn nicht in unseren Autos reisen?“

      „Wie ich unseren Schwiegervater nach den Erzählungen meines Mannes einschätze, ist’s ihm lieber, wenn wir mit der Bahn fahren.“

      „Du bist ja plötzlich von einer Liebe und Rücksichtnahme, die ich gar nicht an dir kenne.“

      „Einmal in fünfundsiebzig Jahren kann man das ja wohl sein.“

      „Gewiß! Aber bedenke, daß wir das dann in jedem Jahre wiederholen müssen.“

      „Davon ist keine Rede. Sollte er aber achtzig werden, so rufe ich wieder bei dir an. Bis dahin auf Wiedersehen!“

      Resi v. Rosen-Geldberg, eine kleine, nicht hübsche, aber pikante Frau mit intelligentem Gesicht, saß nach diesem Gespräch etwas ratlos vor dem Apparat. Von dieser Seite kannte sie ihre sonst so stolze Schwägerin nicht — kannte sie sie überhaupt? — Kannte sie ihre Schwägerin Adele, ihre Schwäger — ja, kannte sie ihren eigenen Mann?

      „Lächerlich!“ sagte sie laut und machte mit der Hand eine Bewegung, als wenn sie unangenehme Gedanken verdrängen wollte. Weil der Herr Papa dieser drei Söhne, an denen wahrhaftig nichts zu kennen war, fünfundsiebzig wurde, lief sie Gefahr, sentimental zu werden.

      Vom Talmud, vom jüdischen Familiensinn hatte die gräßliche Schwägerin gesprochen. Wo hatte sie das her? — Was bezweckte sie damit? War es Hohn oder flößte auch ihr der Fünfundsiebzigjährige plötzlich Gefühl und Achtung ein?

      So nahe dem Tode! — Der Gedanke kam ihr, und der mochte es auch sein, der auf Elisabeth und auf Adele wirkte. Jedenfalls waren die Empfindungen, mit denen sie die Reise nach Frankfurt vorbereiteten, andere, als wenn sie zum Zeitvertreib — und welchen anderen Sinn hatte ihr Leben bisher, als sich möglichst angenehm die Zeit zu vertreiben? — nach Paris, London, Brioni, Cannes oder San Sebastian fuhren.

      Ein neues Gefühl schwang mit, teils Scheu vor dem Unbekannten, teils die Folge einer Leere, die — so grotesk es klingt — ihr Leben bisher ausgefüllt hatte, sie nun aber für eine Zeit fürchten ließ, in der sie nach einem Inhalt suchen würden. So regte der Greis in Frankfurt Gedanken an und rief Gefühle wach, die ihnen, wäre er gestorben, und hätte ihre Reise seiner Beisetzung gegolten, nie gekommen wären.

      Um so gleichgültiger und unbeschwerter traten die drei Brüder die Reise zu ihrem Vater an.

      II.

      Am Vorabend seines fünfundsiebzigsten Geburtstages saß


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