Die Reichen. Artur Hermann Landsberger
Appartements für euch im Frankfurter Hof bestellt.“
„Ausgezeichnet“, sagte Resi. — Und da die Tante eben dicht bei den Autos wieder den kleinen Herrn auftauchen sah, so fragte sie:
„Wieviel seid ihr denn?“
„Wir sechs und dann drei Zofen“, erwiderte Richard.
„Und der Herr da?“
„Richtig, Tete!“ rief Resi — „der ist uns unterwegs zugelaufen.“
Iwan Tetenborn war herangetreten und verbeugte sich. Richard stellte ihn vor. Die beiden Damen bewegten nur leicht die Köpfe.
„Sie sind mit meinem Bruder, dem alten Baron, befreundet?“ fragte die Tante.
„Ich habe leider nicht den Vorzug, ihn persönlich zu kennen.“
Die Dame wandte sich an ihre Neffen und sagte:
„Euer Vater hat den Wunsch, den heutigen Abend allein mit euch zu verbringen — auch wir werden daher an der Feier, die übrigens nur in einem kleinen Essen besteht, nicht teilnehmen.“
Die drei Schwägerinnen lächelten sich zu — Iwan Tetenborn, der noch immer den Hut in der Hand hielt, wandte sich an die alten Tanten und sagte:
„Vielleicht, daß die Damen mir dann die Ehre erweisen .....?“
„Was für eine Ehre?“ fragte die Tante, die stets auch für ihre Schwester sprach, beinahe ängstlich.
„Als meine Gäste bei einem kleinen Essen im Frankfurter Hof den Geburtstag ihres Herrn Bruders zu feiern.“
Die Tanten waren sprachlos — die Schwägerinnen lachten laut — Richard sagte:
„Ich glaube, Tete, Sie haben die Namen meiner Tanten nicht verstanden: die eine heißt Fuld und die andere Cohnheim — ohne das leiseste ‚von‘ davor.“
„Aber“, wehrte der kleine Herr, dessen jüdische Herkunft unverkennbar war, ab und verbarg nur schlecht seine Enttäuschung — „als wenn ich auf derartige Äußerlichkeiten Wert legte!“
„Ich kenn’ Sie doch, Tete“, sagte Frau Resi ganz ungeniert, — und daß sie ihn richtig einschätzte, verriet er, indem er erwiderte:
„Als ob nicht jeder Kellner und Gast im Frankfurter Hof weiß, daß die Damen die Schwestern des alten Barons v. Rosen-Geldberg sind.“
Die Tante, die immer auch für die andere sprach, verabschiedete sich sehr unvermittelt von ihren Neffen und deren Gattinnen, indem sie sagte:
„Ich schlage vor, ihr sagt alle erst schnell einmal meinem Bruder guten Morgen — Sie natürlich nicht, Herr Tetenborn! — und fahrt dann ins Hotel. Mein Bruder hat das Diner für fünf Uhr festgesetzt, damit ihr den 10-Uhr-Zug nach Berlin noch erreicht.“
Elisabeth fing bereits an, den alten Herrn gern zu haben. Auch Resi, die in Frankfurt weitreichende Beziehungen hatte, dachte:
„Fein! da brauche ich nirgends Besuche zu machen.“
Sie verabschiedeten sich und verteilten sich in die Autos. — Die Zofen standen hilflos herum. — Die beiden Tanten fuhren als erste davon.
„Tete!“ rief Ernst dem kleinen Herrn zu: „Besorge unser Gepäck ins Hotel und kümmere dich um die Zofen!“
„Mit Vergnügen“, rief der zurück und sah etwas enttäuscht den drei Autos nach, die im Schneckentempo davonfuhren.
VI.
Als die beiden Autos vor der Villa des alten Barons v. Rosen-Geldberg hielten, gab der Hauswart dem Diener Jacob nach oben ein Klingelzeichen. — Jacob ging und meldete es seinem Herrn, der auf der Veranda seines Gartens beim ersten Frühstück saß.
„Die jungen Herrn Barone mit ihren Gattinnen fahren eben vor.“
Der Alte setzte die Tasse auf den Tisch und stand auf.
Unten in der Halle gab es eine kleine Verzögerung. Die Türen zu den Wohnzimmern standen offen und waren mit Blumen und anderen Geschenken angefüllt.
„Wir hätten doch wenigstens eine Blume mitnehmen sollen“, meinte Elisabeth, die im Gegensatz zu den anderen, die völlig teilnahmslos schienen, unsicher und nervös war.
„Es sind ja genug da“, erwiderte Resi, lief durch die Zimmer und kam, während die andern sich schnell in Ordnung brachten, mit einem großen Strauß Nelken zurück.
„Da“, sagte sie und legte die Blumen Elisabeth in den Arm. „Mach dich bei deinem Schwiegervater beliebt.“
Im selben Augenblick erschien oben auf der Treppe der alte Baron. Die hohe, schlanke, trotz des Alters kaum gebückte Gestalt mit dem feinen, schmalen, bartlosen Gesicht ließ trotz des leichten jüdischen Einschlags auf einen Aristokraten schließen. Er trug einen eleganten, wenn im Schnitt auch nicht ganz modernen grauen Gehrock, dazu einen dunklen Plastron, eine Blume im Knopfloch und eine etwas zu hoch geschlossene Weste, über der vom Hals herab eine goldene Kette hing.
Elisabeths erster Eindruck war: das könnte ebensogut ein alter Königsmarck oder — sie dachte an ihren Großvater mütterlicherseits — ein Graf v. Seydlitz sein.
„Guten Tag, meine lieben Kinder!“ rief der Alte und breitete die Arme aus.
„Guten Tag, Papa!“ riefen sie nicht gerade leidenschaftlich zurück. — Nur Elisabeth, die den Alten verwundert ansah, schwieg. Sie sah plötzlich all die alttestamentarischen Gestalten vor sich, die sie aus böhmischen Bädern und wohl auch von Abbildungen her kannte — und an die sie immer hatte denken müssen, wenn von dem Vater ihres Mannes die Rede war. Das war auch der Grund gewesen, warum sie sich bis jetzt gesträubt hatte, Mutter zu werden. — Und nun stand plötzlich ein Gentleman vor ihr, der in jedem Londoner Salon eine gute Figur gemacht hätte.
Mechanisch ging sie mit den anderen die Treppe hinauf. Adele legte als erste den Arm auf die Schultern des Alten, küßte ihn auf die Wangen und sagte:
„Ich gratuliere, Papa!“
Genau dasselbe tat Resi. Bei beiden wirkte es herzlos und konventionell. Auch der Alte schien unberührt, lächelte und dankte. Als jetzt Elisabeth mit den Nelken im Arm vor ihm stand, sah er sie gütig an, dachte, was für ein schönes Bild — und sagte:
„Ich freue mich — Elisabeth“ — man merkte, er hatte diesen Namen noch nie ausgesprochen — „daß Sie gekommen sind!“
„Ich mich auch!“ rief sie — und es kam ihr aus dem Herzen. Sie ließ die Blumen fallen, ergriff die Hand des Alten und küßte sie.
„Nicht doch, mein Kind!“ wehrte er gütig ab und schloß Elisabeth in die Arme. Denn er fühlte, daß sie allein mit dem Herzen bei ihm war.
„Die kann sich verstellen“, — sagte Adele leise — und Resi erwiderte:
„Fällt mir nicht ein.“
Dann umarmten und küßten die drei Söhne ihren Vater — auch sie sagten wenig oder nichts — und zehn Minuten später saßen sie alle sechs wieder in ihrem Auto und fuhren in das Hotel. —
Am Nachmittag um 5 Uhr saß der alte Baron im Frack mit seinen Söhnen und deren Frauen, die lange Abendtoiletten trugen, an dem festlich gedeckten, runden Tisch. Rings um den schweren Silberkandelaber, auf dem zwölf Kerzen brannten, stand kostbares Glas und Porzellan; Maiglöckchen, die Lieblingsblumen der vor Jahren verstorbenen Baronin, schmückten die Tafel.
Es wurde Kaviar und 1911er Riesling gereicht, aber die Unterhaltung kam nicht in Gang. Schließlich sagte der Alte:
„Also, Kinder, was haben wir uns zu erzählen?“
Er gab sich nicht der Hoffnung hin, den seit der Mutter Tod verlorengegangenen Kontakt mit seinen Söhnen wiederherzustellen, von deren Leben während der letzten zehn Jahre er nicht viel mehr wußte, als daß sie zwischen Berlin, Paris und London, zwischen Trouville,