Die Reichen. Artur Hermann Landsberger
was haben Sie mit dem Geburtstag unseres Schwiegervaters zu tun?“ fragte Elisabeth.
„Le père de mes amis est mon ami.“
„Gott! Wie geistreich!“ sagte Resi spöttisch, — und Elisabeth erklärte:
„Die Feier findet im allerengsten Familienkreise statt.“
„Das alles wird sich morgen finden“, erwiderte Iwan Tetenborn, der klein, rund und etwa vierzig Jahre alt war. — „Zunächst einmal habe ich, da ich die Weinkarte der Mitropa kenne, dafür gesorgt, daß Sie auf Ihrer Expedition nicht verdursten.“
Er nahm dem Schaffner, der inzwischen eingeschenkt hatte, das Tablett aus der Hand und reichte es herum.
„Auf den alten Herrn Baron in Frankfurt!“ sagte er und stieß an. Und dann holte er aus seinem Abteil einen kleinen Klapptisch, den er mitgebracht hatte, und stellte ihn in Ernsts Kabine auf. Vier saßen auf Ernsts, drei auf Elisabeths Bett. Sie tranken und sprachen von den letzten gesellschaftlichen Ereignissen in Berlin. Als die Unterhaltung ins Stocken kam, kommandierte Adele:
„Bridge!“
Iwan Tetenborn griff in die Tasche und zog mehrere Spiele funkelnagelneuer Karten hervor, legte sie auf den Tisch und sagte:
„Bitte!“
Adele, die beste Spielerin, und Iwan Tetenborn, der in seinem Nebenberuf Bankier war, den eigentlichen Zweck seines Daseins aber darin sah, in der guten Gesellschaft geduldet zu werden, gewannen. Resi, die — nicht des Geldes wegen, vielmehr aus Ehrgeiz, überall die Erste zu sein, ungern verlor, wandte sich ärgerlich an Iwan und fuhr ihn an:
„Wie kommen Sie eigentlich dazu, in diesem Aufzug bei uns Besuch zu machen?“
Der kleine Herr Tetenborn berief sich auf ein paar englische Modeblätter, in denen das als besonders schick bezeichnet war — was zur Folge hatte, daß man das Spiel auf fünf Minuten unterbrach, um sich ebenfalls aus- und umzukleiden.
Sie spielten bis in den Morgen hinein. Als Iwans Diener nach der vierten Flasche meldete, daß der Pommery zu Ende sei, sagte Adolf vorwurfsvoll:
„Alles machen Sie halb, Tete!“
„Sie werden doch noch ein Bad nehmen wollen“, erwiderte Iwan. „In einer Stunde sind wir in Frankfurt.“
„Ein Bad? — Im Schlafwagen? — gibt es das endlich?“ fragte Adele.
„Im Schlafwagen nicht“, erwiderte Iwan stolz — „aber ich habe für Sie alle ein japanisches Trockenbad mitgebracht — in Europa noch völlig unbekannt — es ersetzt das Wannenbad vollkommen.“ — Er zog aus der Tasche sechs mit japanischen Schriftzeichen bemalte Tuben und gab jedem eine.
„Wie macht man das?“ fragte Resi.
„Ich habe es Ihren Zofen schon beigebracht — warten Sie einen Augenblick — ich rufe sie.“
Iwan lief den Gang entlang.
„Ein aufmerksamer Mensch“, sagte Elisabeth.
„Etwas schautig“, erwiderte Adolf — doch Frau Adele meinte — ohne daß sie dabei jemanden besonders ansah:
„Eine Schaute ist noch immer mehr als eine Null.“
V.
Als der Zug in die Halle des Frankfurter Bahnhofs lief, sagte Frau Resi:
„Das erste, was ich jetzt tue, ich lege mich bis mittags ins Bett.“
Frau Adele erwiderte gähnend:
„Ich kann mich auch kaum auf den Beinen halten.“
Aber die rassige, überschlanke Elisabeth reckte sich und rief:
„Ihr reist nicht zu eurem Vergnügen! Also nehmt euch zusammen.“
Der Zug hielt.
„Wer wird wohl zu unserem Empfang an der Bahn sein?“ fragte Adolf.
„Die liebe Familie“, erwiderte Resi — „die mich nicht riechen kann.“
„Was denn?“ fragte Elisabeth — „existieren außer dem Papa etwa noch Onkel und Tanten?“
„Du wirst staunen“, erwiderte Resi, „was du heute alles zu sehen und — zu küssen bekommst!“
„Ich denke nicht daran .....“
„Aber die anderen denken daran — und die sind in der Überzahl.“
Wirklich standen da zwei feine, alte jüdische Damen, von denen eine den Arm erhob, als sie die Barone v. Rosen-Geldberg mit ihren Frauen am Fenster sah.
„Die Tanten!“ rief Resi spöttisch — und Elisabeth meinte:
„Die sehen gar nicht so übel aus.“
„Ihre Familie ist älter als deine“, erklärte Richard.
„Inwiefern?“ fragte Elisabeth erstaunt — und er erwiderte, während er zu den alten Damen hinüberwinkte:
„Insofern es auch einen jüdischen Adel gibt.“
„Mach keine Witze, mir ist nicht danach zumute.“
„Der sich“, fuhr Richard fort, während er seiner Schwägerin aus dem Wagen half, „im Lauf der Jahrhunderte freilich mehr mit Pflege der Kultur als mit Raubbau beschäftigt hat.“
„Im Ghetto?“ erwiderte Elisabeth spöttisch.
„Vielleicht beschäftigt ihr euch jetzt statt mit jüdischer Kulturgeschichte mit euern Tanten“, erklärte Resi und wies auf die beiden alten Damen, die nicht, wie Elisabeth erwartet hatte, die Arme ausstreckten, um ihre Neffen zärtlich an sich zu ziehen, sondern sehr reserviert dastanden und ihnen nur kühl die Hände reichten.
Da sie Elisabeth nicht kannten, so stellte Richard sie vor. Er nannte zwei Namen — wohl absichtlich so leise, daß man sie nicht verstehen konnte. — Die Damen reichten Elisabeth die Hand — und eine von ihnen sagte:
„Mein Bruder freut sich sehr, daß Sie kommen. Ich habe den Auftrag, Sie alle in seinem Namen zu begrüßen.“
„Wie geht’s Papa?“ fragte Richard.
„Er ist von einer geistigen Frische, die man selbst bei jüngeren Menschen selten findet.“
Die drei Neffen fühlten sich getroffen und sahen ängstlich ihre Frauen an, während die Dame fortfuhr:
„Er arbeitet noch täglich vier bis fünf Stunden — liest Bücher und sammelt kostbare Gläser — mit derselben Liebe wie vor dreißig Jahren.“
„Bewundernswert ist das“, sagte Elisabeth — während Resi erklärte:
„Ich verstehe nicht, wie man in dem Alter noch Gefallen daran haben kann, zu sammeln. Man erschwert sich doch damit nur den Abschied.“
„Daran denkt er nicht“, sagte die Tante mit dem jüdischen Namen, den Elisabeth nicht verstanden hatte. Und sie wollte hinzufügen: das überläßt er Gott — unterdrückte es aber mit Rücksicht auf Elisabeth, obschon Gott ja eigentlich neutral war.
Den kleinen Iwan Tetenborn, der in einiger Entfernung stand, übersah sie absichtlich. Denn da er sich jedesmal verbeugte, wenn ihn zufällig ihr Blick traf, so wußte sie, daß er zu ihnen gehörte. Aber sie hatte zuviel Seltsames über die modernen Ehen in Berlin, vornehmlich über die ihrer Neffen, gehört, um nicht zu fürchten, daß der Herr in irgendeiner Form in eine der drei Ehen hineinspielte. Damit aber wollte sie nichts zu tun haben. Sie warf ihm daher einen Blick zu, der ihn veranlaßte, den Abstand zwischen sich und der Gruppe noch um ein paar Schritte zu vergrößern.
Vor dem Bahnhof standen drei Autos. Zwei davon waren für die Rosen-Geldbergs bestimmt, während das dritte den beiden Damen gehörte.
„Wohnen wir zu Haus?“ fragte Ernst, — und dies