Kratz. Skye MacKinnon
lacht böse. „Hab nur Spaß gemacht. Die musst du dir schon selber besorgen. Ich unterstütze deine Sucht nicht, nicht seit dem letzten Mal.“
Dieser Vorfall ist mir beinahe peinlich. Beinahe. Schließlich kann es den anderen ja egal sein, wenn ich mit einem Wollknäuel auf dem Boden rum rolle. In meiner menschlichen Gestalt. Das kommt doch mal vor, oder?
Lily lehnt an der Wand, wobei einer ihrer schmutzigen Stiefel Spuren an der Tapete hinterlässt. Vorher hätte mir das nichts ausgemacht, aber jetzt ist das mein Haus. Mein Eigentum.
„Füße von der Wand“, knurre ich und ziehe die Augenbrauen zusammen.
„Wassn nu los?“
Ich zucke mit den Schultern. „Unser mysteriöser Unbekannter ist gestorben, das Haus gehört jetzt mir. Kein Dreck an der Wand, kein Dreck auf dem Boden, nirgends Blut außer im Keller. Verstanden?“
Sie grinst. „Du bist jetzt Hauseigentümer? Wie so’n ganz normaler Mensch? Wie jemand, der einen Job hat und zur Arbeit geht und Fernsehen schaut und niemanden umbringt?“
„Sieht so aus. Ich hoffe nur, das bedeutet nicht, dass ich jetzt Steuern zahlen muss und eine Versicherung brauche und so’n Zeug.“
Lily lacht. „Ich kann mir kaum vorstellen, wie du dasitzt und Versicherungsprämien vergleichst. Aber vielleicht macht das Benjamin ja Spaß. Ich hab erst begriffen, wie gern der mit Zahlen arbeitet, als er die ganzen Unterlagen von Kindler durchgegangen ist.“
„Nur zu, soll er machen. Vielleicht gibt’s ja auch eine Versicherung gegen einen Angriff von Horden versklavter Gestaltwandler. Die könnten wir gebrauchen.“
Ihr Lächeln verschwindet. „Glaubst du, die Meute wird uns angreifen?“
„Das war immer nur eine Frage der Zeit“, seufze ich. „Ich glaube, die wussten, dass ich einen mächtigen Unterstützer hatte, also haben sie gewartet, bis sie Genaueres wussten. Sobald die herausfinden, dass der geheimnisvolle Unbekannte gestorben ist und mich niemand mehr beschützt, werden sie mich zurückholen wollen. Sie können nicht zulassen, dass ich zum Präzedenzfall werde, wie man ihrem Einflussbereich entkommen kann. Dann müssten sie mit einer Revolte rechnen.“
„Vielleicht sollten wir selber sie beginnen“, sagt Lily nachdenklich.
„Hä?“
„Die Revolte. Du solltest es öffentlich machen, den Mitgliedern der Meute sagen, dass es möglich ist, ihre Halsmanschetten zu entfernen und ein Leben in Freiheit zu führen; dann könntest du ihre Anführer vielleicht so weit ablenken, dass sie nicht gleich hinter dir her sind.“
Ich stöhne. „ Du hörst dich schon wie Lennox an. Er meint auch, Angriff sei die beste Verteidigung.“
Lily grinst und stößt sich von der Wand ab. „Gut. Dann muss ich jetzt nur noch die anderen auf meine Seite bekommen, dann werden wir dich alle gemeinsam überzeugen.“
Ich werde ihr nicht sagen, dass mich der Gedanke selber reizt, gegen das Meute vorzugehen. Es gibt Gründe, warum ich das nicht einmal in Erwägung ziehen sollte, Gründe, die die anderen nicht kennen.
„Übrigens“, beginnt Lily und kommt zu mir an den Schreibtisch, beugt sich dabei weit vor, so dass ich ihre Brüste sehen kann und ihr diebisches Lächeln.
„Was willst du?“
Sie klimpert mir mit den Wimpern zu. Echt jetzt? Sie sollte inzwischen wissen, dass man mich so nicht rumkriegt. Sie mag ja attraktiv sein, ist aber nicht mein Typ.
„Also…Ich weiß ja, dass wir keinen Arbeitsvertrag haben…“
„Willst du eine Gehaltserhöhung?“ frage ich misstrauisch, aber sie schüttelt den Kopf.
„Urlaub.“
Mir fallen fast die Augen aus dem Schädel. Urlaub? Gibt’s noch was Banaleres?
„Wieso?“, frage ich mit schwacher Stimme. Ich hatte noch nie im Leben Urlaub und war davon ausgegangen, dass das auch auf Lily zuträfe. Allein der Gedanke an ein paar freie Tage … also eigentlich hört sich das gar nicht schlecht an. Aber ich bin Geschäftsinhaberin. Selbständig. Da nimmt man nicht einfach frei. Der Tod muss zuverlässig sein.
„Es gibt da was, wo ich hin will“, sagt sie und sieht mir dabei nicht in die Augen. „Es ist…also, es ist was, was ich schon immer mal machen wollte.“
„Einzelheiten“, fordere ich, eigentlich nur aus Neugier, nicht, weil ich ein so strenger Boss wäre. Natürlich kann sie ihren Urlaub haben. Ist mir eigentlich egal. Es stört mich höchstens, dass sie mich nicht mitnehmen will, aber das ist was anderes.
„Es ist eine Versammlung“, murmelt sie. „Für Leute wie mich.“
„Killer mit Vorliebe für Giftmorde?“
„Muss ich’s dir wirklich haarklein erklären?“ Sie seufzt. „Es ist ein Treffen von Succuben.“
Ich starre sie an. „Succuben? Du hast doch immer behauptet, die gibt’s gar nicht. Immer wenn ich gesagt habe, du wärst ein Incubus, dann hast du … mich also belogen!“
Sie schüttelt den Kopf und schaut mir noch immer nicht in die Augen. „Incubus. Du hast mich immer Incubus genannt, und die gibt es nicht. Das wären die männlichen Gegenstücke zu einem Succubus, aber die gibt es wirklich nicht. Succuben dagegen… Tut mir leid. Ich hab mich so daran gewöhnt, niemandem davon zu erzählen und hab das natürlich auch bei unserem ersten Treffen nicht getan. Und als wir dann Freunde geworden sind, hatte ich das Gefühl, es sei jetzt zu spät.“
Endlich sieht sie mich an, in ihrer ganzen Verletzlichkeit. Jemand anderes an meiner Stelle würde sie jetzt in den Arm nehmen. Ich dagegen starre sie nur an und sammle meine Gedanken. Sie hat mich belogen, aber umgekehrt habe ich das auch getan. Wie sie bin ich es gewöhnt, nicht die Wahrheit zu sagen, sie zu verbiegen, wichtige Details auszulassen. Ich sollte mich nicht so verletzt fühlen, wie ich es gerade tue.
„Tut mir echt leid“, wiederholt sie. „Ich hätte es dir sagen sollen.“
Ich seufze. „Ist ja nicht so, dass ich nicht den Verdacht gehabt hätte. Hab nur geglaubt, du wüsstest es nicht oder wolltest es dir nicht eingestehen.“
Lily schüttelt den Kopf. „Ich wurde in eine Succuben Familie hineingeboren und bin auf eine ihrer Schulen gegangen. Mir wurde die Kunst der Verführung beigebracht, aber ich war immer mehr an Giften und Morden interessiert. Ich habe die Akademie und das Leben als Succubus hinter mir gelassen und versucht, ein eigenständiges Leben zu führen, nicht das, was mir durch meine Erziehung vorbestimmt war. Aber ich vermisse meine Familie und dachte, es wäre vielleicht schön, zu der jährlichen Succubus Versammlung zu gehen.“
Ich schenke ihr ein dünnes Lächeln. Hört sich wirklich danach an, als ob sie das tun sollte. Für mich wäre das viel zu viel Gemeinschaft, aber Lily ist da anders. Sie liebt es, von anderen Menschen umgeben zu sein; ich dagegen bin mir selbst die beste Gesellschaft.
„Wenn ich dir ein paar Tage frei geben soll, musst du meine Fragen beantworten“, sage ich, und jetzt wird aus meinem Lächeln ein breites Grinsen. „Und ich kann dir sagen, ich will alles über Succuben wissen.“
Kapitel 2
Wir sitzen schließlich im Wohnzimmer mit vier Packungen Kartoffelchips und einer halbleeren Tüte karamellisiertem Popcorn.
„Es gibt also keine männlichen Succuben?“ frage ich zum zweiten Mal. Das will mir nicht in den Kopf.
„Nö, Succuben haben nur weibliche Nachkommen“, wiederholt Lily. „Wir bedienen uns der menschlichen Männer, um schwanger zu werden, aber dann werden die nicht mehr gebraucht, und den Rest erledigen die Frauen. Normalerweise leben mehrere Generationen von Succuben zusammen und helfen sich gegenseitig in