Kratz. Skye MacKinnon
ist niemand, der je über seine Gefühle spricht. Ich kenne ihn gut genug um sein Mienenspiel zu lesen, zu erkennen, wenn ihn etwas beunruhigt, aber die meisten anderen könnten das nicht.
Mein Opfer macht einen verzweifelten Fluchtversuch, aber ich werfe ein Messer nach ihm, ohne genau hinzusehen. Dem gurgelnden Laut nach zu urteilen, hat es sein Ziel nicht verfehlt. Er sackt auf dem Boden zusammen.
„Du hast mich bei der Arbeit gestört“, beschwere ich mich bei Lennox.
Er kichert. „Das sah mehr nach Spaß als nach Arbeit aus. Hat dir nie jemand gesagt, dass man mit Essen nicht spielt?“
Ich grinse ihn an. „Wahrscheinlich hast du das ein paar Mal erwähnt, als wir noch Kinder waren. Hast es dann aber selber getan.“ Ich öffne den Kühlschrank und nehme eine Flasche Orangensaft raus. Töten macht mich immer durstig. Ich finde im Kühlfach auch noch Eiscreme, die Lennox mir sofort abnimmt. Ich sitze auf der Kochinsel und nippe an dem Saft.
„Was ist denn so wichtig, dass du mich stören musstest?“, frage ich und bin gespannt. Es muss schon einen guten Grund geben. Killer mischen sich nie in die Arbeit von Kollegen ein, es sei denn, es ist wirklich wichtig. Das ist eine Art ungeschriebenes Gesetz.
„Wir müssen reden.“
Ich stöhne. „Wir reden doch gerade.“
Er zeigt mit dem Kopf in Richtung Leiche. „Das willst du hier in seiner Gegenwart tun?“
„Ist ja nicht so, dass er die Geheimnisse ausplaudern würde, die du mir vielleicht anvertraust.“
Lennox gluckst. „Das stimmt schon“. Er seufzt. „Ich hab Probleme mit meinem inneren Wolf.“
Ich bin es gewöhnt, dass Lennox über seine andere Gestalt spricht, als sei sie wirklich ein anderes Wesen als seine menschliche. Er hat mir ihr offenbar ein anderes Verhältnis als ich mit meinem inneren Panther. Wir sind eins, ich werde nur ein bisschen wilder, wenn ich mich verwandle. Bei ihm ist das eher wie zwei eigenständige Persönlichkeiten, die im selben Körper wohnen. Manchmal finde ich das ein bisschen unheimlich, aber mittlerweile habe ich mich daran gewöhnt.
„Was für Probleme? Spuck’s schon aus.“
Lennox wendet den Blick ab. Ist ihm das peinlich? Das wäre was Neues.
„Er…er..“
Ich knurre ihn an.
„Er hat sich für jemanden entschieden.“ Er sagt das so schnell, dass ich es fast nicht verstehe. Mein Herz schlägt schneller, als ich die Tragweite des Gesagten erfasse. Lennox hat mir das vor langer Zeit schon erklärt. Wolfs-Wandler bleiben ihrem Partner ein Leben lang treu, und es ist nicht der menschliche Teil, der darüber entscheidet, wer dieser Partner ist. Lennox könnte zwar versuchen, dem inneren Wolf zu widerstehen und eine Partnerschaft mit jemand anderem einzugehen, aber der Wolf würde nie aufhören, sich nach dem von ihm gewünschten Gefährten zu sehnen. Manche Wandler werden verrückt, wenn sie sich ihrem Wolf widersetzen.
„Ich weiß nicht, was ich tun soll“, gibt Lennox ruhig zu. „Ich bin nicht bereit. Ich will mich nicht auf jemanden festlegen, den ich vielleicht noch nicht einmal kenne. Aber die Sehnsucht ist stark. Sie füllt meine Gedanken bei Tag und in der Nacht, es wird immer schwerer, ihr nicht nachzugeben. Ich weiß nicht, wie lange ich noch widerstehen kann.“
„Wer ist es denn?“, frage ich und habe fast Angst vor der Antwort. Über den Grund dafür will ich noch nicht einmal nachdenken.
„Ich weiß es nicht. Ich muss die Wolfsgestalt annehmen, um das herauszufinden, will das aber nicht. Was, wenn das eine fürchterliche Person ist? Was, wenn sie Mitglied der Meute ist? Oder jemand, der doppelt so alt ist wie ich? Es soll sogar vorgekommen sein, dass ausgewachsene Wölfe sich ein Kind ausgesucht haben und dann zehn Jahr warten mussten, bis sie tatsächlich zusammen sein konnten.“
„Was soll ich für dich tun?“ Es gibt schließlich einen Grund, warum er damit zu mir gekommen ist. Und ehrlich gesagt fühle ich mich auch ein bisschen geschmeichelt, dass er mir immer noch so weit vertraut, nach all den Jahren. Als ob wir nie getrennt gewesen wären.
„Ich möchte, dass du dabei bist, wenn ich mich verwandle. Folge mir, damit du siehst, wen sich der Wolf auserkoren hat. Wenn du denkst, dass es jemand ist, der mir nicht guttun würde, musst du mich wegziehen, mich stoppen. Es gibt Geschichten von Wölfen, die richtig ausrasten und liebestoll werden, wenn sie zum ersten Mal ihrem Partner begegnen. Ich will nicht, dass mir das passiert. Du musst dafür sorgen, dass ich bei Verstand bleibe.“
Ich nicke. „Ich werde mein Bestes tun, muss dich aber warnen. Ich könnte jemanden für ungeeignet halten, den du selber aber liebst.“
Er erschauert. „Ich glaube nicht, dass ich jemanden lieben könnte. Hab zu viel zu tun, um mich zu verlieben. Bin zu schwer geschädigt.“ Den letzten Satz flüstert er. Ich möchte ihn beinahe in den Arm nehmen, ihn an mich drücken, ihm sagen, mir geht es genauso, aber Gefühlsduselei geht bei mir nun mal nicht.
„Wann willst du das machen?“, frage ich.
„Heute Abend, nach Einbruch der Dunkelheit. Ich will dieses Gefühl so bald wie möglich loswerden.“
„Aber was, wenn sie dein Seelenverwandter ist? Wenn es Liebe auf den ersten Blick ist? Wäre das nicht was anderes?“
Er schüttelt den Kopf. „Ich will da nicht mal drüber nachdenken. Schon allein bei dem Gedanken fühle ich mich total hilflos, und das hasse ich. Auch, wie mein Wolf die Kontrolle übernimmt und ich nichts dagegen unternehmen kann. Es sollte doch meine freie Entscheidung sein, in wen ich mich verliebe, oder? Diese Wahl sollte mir niemand abnehmen, nicht einmal mein Wolf.“
„Das stimmt. Bin ich froh, dass das für Katzen nicht so ist. Aber kannst du dir vorstellen, dass eine Katze ein Leben lang nur einen Partner hätte?“ Ich kichere. „Keine Chance.“
Ein leichter Schatten legt sich über sein Gesicht, ist aber verschwunden, bevor ich näher darüber nachdenken kann.
„Glaubst du, dass du je irgendwo sesshaft wirst?“
Ich zucke mit den Schultern. „Vielleicht. Hab noch nicht drüber nachgedacht. Ich kann mir kaum vorstellen, einen Mann zu haben und mit ihm in einem Haus zu wohnen und so ein banales Leben zu führen.“
„Wer sagt denn, dass es banal sein muss?“
Ich lache. „Ich bezweifle, dass ich einen Killer finden würde oder jemanden, der in unserem Bereich arbeitet. Schau uns doch mal an. Jemand wie wir wird nicht sesshaft. Wir verlieben uns nicht. Mir ist noch nie ein verliebtes Mörderpärchen untergekommen, und das wird wohl auch nie geschehen.“
Lennox lächelt, aber es scheint ein bisschen gequält. „Du hast recht. Wir sind nicht für die Liebe gemacht. Leider denkt mein Wolf anders darüber. Aber vielleicht entscheidet er sich heute Nacht anders. Vielleicht denkt er nochmal darüber nach, wenn ihm klar wird, was für eine schreckliche Frau er gewählt hat. Vielleicht kommt er wieder zu sich.“
Ich nehme noch einen Schluck Orangensaft und verzichte diesmal darauf, mit der Wahrheit herauszuplatzen. Ich weiß, dass er sich Illusionen macht, will aber nicht, dass er unglücklich ist.
Was immer auch passiert, ich werde ihm beistehen. Er ist mein ältester Freund, und ich bin recht froh, ihn wiederzuhaben.
Kapitel 4
Die Nacht bricht schnell herein und taucht die Stadt in unterschiedliche Blautöne. Es ist Freitagabend, entsprechend voll sind die Straßen mit Menschen, die Stress und Mühen der Arbeitswoche hinter sich lassen wollen. Ich kann überall um mich herum den Alkohol riechen, noch frisch, aber bald schal werdend. In ein oder zwei Stunden werden die ersten Betrunkenen die Straßen entlang torkeln, nicht sicher, ob sie nach Hause gehen sollten oder in den nächsten Pub, ein letztes Bier trinken.
Lennox